Zum Saisonabschluss ging es für 24 deutsche Athleten noch einmal in den Süden – und zwar zur Cross-EM in Chia (Italien). Ich durfte im Rennen der U23 mitmischen und habe für euch ein paar Erinnerungen und Impressionen festgehalten…
Wenn man eine Cross-EM laufen möchte, reicht es nicht aus, nominiert zu werden. Nein, es gehört noch viel, viel mehr dazu: Man muss sich zunächst einmal zum richtigen Zeitpunkt zuhause befinden, um den Postboten zu erwischen, der – hoffentlich noch rechtzeitig vor Reisebeginn – das Paket mit der Nationalmannschaftskleidung abliefert. Diese wiederum hat nach einem Lotterie-ähnlichen System hin und wieder sogar die richtige Größe. Bei mir wurde es dieses Mal bei Größenangabe XS ein Top in Größe M und eine Hose in Größe S, also kein Volltreffer. Gut, dass ich noch ein paar andere verwendbare Sachen von vergangenen internationalen Wettkämpfen habe. Andere Mannschaftsmitglieder hat es da deutlich härter getroffen. Aber dazu später mehr. Denn unabhängig davon, ob das T-Shirt nun sitzt oder nicht, muss man wenig später auch schon auf mehr oder weniger direktem Weg zum Wettkampfort gelangen.
In meinem Fall sah das so aus: Nachdem ich meinen Vereinskameraden und ebenfalls EM-Starter Simon Boch eingesammelt habe, fahren wir von Regensburg nach München, wechseln in das Auto meines Freunds, lassen uns zum Flughafen kutschieren, steigen zusammen mit Patrick Karl in die Maschine von München nach Rom, nehmen hier den Flieger nach Cagliari, werden dort beim Warten auf das Shuttle von an ihren Zigaretten ziehenden Taxifahrern eingeräuchert und erwischen schließlich einen Bus, der uns kurz nach Mitternacht vor der Rezeption des Chia Laguna Resort ausspuckt. Da stehen wir nun: Müde, erschöpft und unschlüssig, wie es jetzt weitergeht.
Zum Glück ist unser Bundestrainer Henning von Papen auch zu späterer Stunde aktiv und nach kurzer Zeit zur Stelle, um uns die Akkreditierungskarten auszuhändigen. Diese sind normalerweise der einzige Weg zu Essen, Trinken, Toiletten und anderen Annehmlichkeiten – in den folgenden Tagen wird sie aber überraschenderweise niemand sehen wollen, ich will jetzt aber auch nichts mehr sehen – außer mein Bett.
In meinem Bungalow-Appartement angekommen, störe ich mit meinen zwei Koffern erst einmal die Nachtruhe von zwei Wuschelköpfen, die es sich schon in meinem Zimmer bequem gemacht haben – meine Freude über das Ende meiner Anreise-Odyssee können sie deshalb nur bedingt teilen.
Übrigens bin ich ein eigentlich ein ordentlicher Mensch. Aber nicht um ein Uhr nachts in der Dunkelheit, wenn ich am kommenden Tag bei einer EM laufen will. Ich putze also meine Zähne im Rekordtempo und fische irgendetwas aus meinem Koffer, das mir sinnvoll erscheint um mich darin gekleidet ins Bett zu legen.
Wenige Stunden später werde ich von sardischen Sonnenstrahlen geweckt. Sonne! Sofort ist alle Müdigkeit von der anstrengenden Anreise und auch jegliche winterdepressive Verstimmung aufgrund von Minusgraden in der Heimat verflogen. Zusammen mit den Wuschelköpfen, die ich bei Tageslicht als Alina Reh und Miriam Dattke identifizieren kann, mache ich mich auf den Weg zum großen Speisesaal. Hier gibt es für alle Sportler das Frühstücksbuffet, denn bei Cross-Europameisterschaften sind traditionell alle Teilnehmer auf derselben Hotelanlage untergebracht.
Nach unserer Speisung kommen wir dann auch (fast) pünktlich, um mit dem Rest der deutschen Mannschaft in Richtung Rennstrecke zu spazieren. Spätestens jetzt merke ich, dass es hier warm ist. Schön warm. Ich will mich schon beinahe freuen, später zum ersten Mal seit langem wieder eine kurze Hose beim Laufen zu tragen. Dann fallen mir meine käseweißen Beine ein, die ihre Sommerbräune restlos eingebüßt haben. Aber vielleicht bekommt man hier ja wenigstens einen klitzekleinen Sonnenbrand.
Bis zur Teamsitzung am Nachmittag ist es jedenfalls noch nicht so weit gekommen und langsam kündigt sich auch schon der Sonnenuntergang an. Deshalb wird noch flott ein Teamfoto gemacht und die Wettkampfbesprechungen abgehalten. Am meisten Interesse kommt währenddessen allerdings Bundestrainer Pierre Ayadi zuteil: Erstens ist er Herr über den großen Koffer voller Kleidung, die noch an un- oder unterversorgte Mannschaftsmitglieder verteilt wird, die in der Größenlotterie eine Niete gezogen haben. Zweitens ist er im Besitz von insgesamt vierzehn DKB-Stickern, die im Fall des Falles herhalten müssen, wenn ein Nationaltrikot nicht mit dem DKB-Logo versehen ist (was nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel ist…).
Nun beginnt die Ruhe vor dem Sturm: Die einen machen einen letzten Strandspaziergang, andere genießen den romantische Blick auf den Pool, während sie von den Physios im provisorisch ausgestatteten medizinischen Zentrum behandelt werden. Provisorisch deswegen, da es die deutsche Massageliege nicht in den Flieger nach Sardinien geschafft hat. Das beeinträchtigt die Arbeit des Cross-EM-erfahrenen Physios Dr. Jürgen Siegele natürlich in keinster Weise: Kurzerhand wird von anderen Teams eine Liege geborgt und viel ist ohnehin nicht mehr zu tun. Alle deutschen Beine sind weitestgehend fit. Beim Abendessen werden noch die Energiespeicher gefüllt, bevor es dann mehr oder weniger früh auf die Zimmer und ins Bett geht. Morgen ist der große Tag…
Für die einen beginnt er mit einem kleinen Rennauftakt, andere sitzen schon um halb sechs am Frühstückstisch. Für mich als Schnellverdauerin reicht neun Uhr. (Nachdem die Trainer schon im vergangenen Jahr über meine ungeheuerlichen Frühstücksmengen gestaunt haben, wundert sich heuer wenigstens niemand mehr darüber.)
Im Anschluss geht es los zur Rennstrecke – zum Leidwesen meiner Mannschaftskameradinnen. Denn im Gegensatz zum Verdauen bin ich beim Aufwärmen eine lahme Ente und brauche Ewigkeiten, um auf Trab zu kommen. Währenddessen habe ich durch das Rennen der U20-Mädels aber wenigstens beste Unterhaltung und durch den souveränen Sieg von Konstanze Klosterhalfen gleich noch einen kleinen Endorphin-Kick.
Für die Tatsache, dass der englische Kommentator den hochkomplizierten Namen unserer Gold-Koko so tadellos aussprechen konnte, gibt es übrigens eine ganz einfache Erklärung: Der gute Mann saß auf dem Flug von Rom nach Cagliari neben mir und wir haben zusammen geübt. Sehr viel Spaß hatten wir übrigens auch mit den Namen meiner Teamkollegen Lukas Eisele und Lisa Oed.
Die beiden haben ihr Rennen aber schon erfolgreich beendet, während ich noch nervös am Start stehe. Traditionell bekomme ich als langsamste Langsamstarterin den Platz in der letzten Reihe der Startbox. Da fühle ich mich aber eigentlich ganz wohl, denn so kann ich erst mal die anderen ein bisschen anschieben und es fällt nicht so stark auf, dass meine Reaktionszeit nicht die allerbeste ist.
Apropos Allerbeste: So kann ich mich am heutigen Tag leider auch nicht bezeichnen. Nicht, dass ich das erwartet hätte – erst Recht, nachdem ich eineinhalb Wochen zuvor noch mit einem grippalen Infekt im Bett lag. Aber dennoch fallen mir die 6 Kilometer auf dem flachen und vor allem schnellen Kurs verdammt schwer. Irgendwann nach Runde zwei verliere ich den Anschluss an meine Gruppe und die altbewährte Zum-Schluss-alle-einsammel-Taktik geht heute nicht so ganz auf.
Aber gerade an solchen Tagen ist es schön, dass die Cross-EM ein echter Mannschaftswettkampf ist. Einer kämpft für alle und alle für einen, denn zum Schluss kann jede Platzierung entscheiden. Und so darf ich mich im Ziel sogar über eine Silbermedaille in der Teamwertung freuen – ein schöner Abschluss für eine etwas verkorkste Saison!
Bei strahlendem Sonnenschein und tatsächlich ganz schön verschwitzt (im Winter weiß man ja gar nicht mehr, wie sich das anfühlt) werden nun die übrigen deutschen Starter angefeuert. Als wichtige Termine stehen nun ohnehin nur noch die Siegerehrung und die altbekannte „Stille Stunde“ auf dem Programm. (Falls irgendjemand den Grund kennt, warum die Abschlussbesprechung des deutschen Teams ausgerechnet diesen Namen trägt, freue ich mich über Aufklärung!)
Still geht es danach nämlich nicht mehr zu: Beim Abendessen und der Closing-Party wird der Wettkampftag ausgelassen gefeiert. Als Belohnung gibt es für jeden Sportler ein sogenanntes „Drink-Ticket“ mit dem ein beliebiges Getränk bestellt werden kann. Dummerweise wurden unter das Kontingent jeder Nation wohl auch ein paar „Soft-Drink-Tickets“ gemischt und so wird unsere kleine Marathondame Anja Scherl ein bisschen schräg angeschaut, als sie sich an der Theke ein Radler holen will. Sie bekommt es dann aber doch und die locker gelöste Stimmung bleibt ungetrübt.
Wenn man bei einer Cross-EM laufen will, reicht es übrigens auch nicht Anreise-Strapazen und Wettkampfstress auf sich zu nehmen. Man muss dann auch erst mal wieder nach Hause kommen (was nach einer durchfeierten Nacht auch manchmal schon an Aufstehen scheitert).
In meinem Fall sah es aber das so aus: Nicht wie die meisten Starter muss ich am nächsten Tag, sondern erst am Dienstag abreisen. Vorher gehen einfach keine Flüge nach München. Gegen einen weiteren Tag auf Sardinien hat man ja prinzipiell nichts einzuwenden. Wenn man aber am Abend vor der Abreise noch immer nicht weiß, wann man am nächsten Tag zum Flughafen gefahren wird, verfällt man schon ein bisschen in Panik.
Dank italienischer Gemütlichkeit hat unser Shuttle am nächsten Tag aber ohnehin Verspätung und am Flughafen gibt es dann noch ein paar andere kleine Herausforderungen zu bewältigen, da die Dame am Check-In mein Handgepäck partout nicht akzeptieren möchte. Erst ist es ihr viel zu groß, dann (nach Einschreiten ihrer Chefin) viel zu schwer.
Ich versuche, ihr zu erklären, dass ich mindestens zehn Kilo weniger wiege als der Durchschnittspassagier und dass ein Kilo mehr im Handgepäck deswegen nicht weiter problematisch seien. Aber das interessiert sie nicht.
Ihr wisst ja schon: Ich bin eigentlich ein ordentlicher Mensch. Aber nicht beim Umpacken zwischen zwei Koffern auf einem Gepäckfließband. Überall liegen meine Deutschland-Klamotten, Schuhe und Socken verstreut. Das mache ich jetzt mit Absicht. Gemächlich reduziere ich auf diese Weise das Gewicht meines Handgepäcks und wünsche der Dame am Schalter noch einen wunderwunderschönen Tag.
Am Gate müssen wir trotz meiner Showeinlage auf dem Fließband ungewohnt lange warten: Der Flug hat Verspätung. Eine Stunde. Das ist am Ende sogar so lange, dass ein paar meiner Mitflieger aus dem deutschen Team in Rom ihren Flug nach Berlin verpassen.
Die dreiköpfige München-Fraktion, wieder bestehend aus Simon, Patrick und mir schafft es dagegen gerade noch rechtzeitig in die Maschine und kann sogar beruhigt am Fenster beobachten, wie drei vollgepackte Deutschland-Koffer ins Innere des Flugzeugs befördert werden.
Daher möchte ich dieses Happy End dazu nutzen, noch ein paar Dankesworte auszusprechen:
An erster Stelle natürlich allen Freunden, Familien und Fans der deutschen Starter für’s Daumendrücken und Mitfiebern von der Heimat, oder in manchen Fällen sogar von der Strecke aus.
Auch dem Trainer- und Medizinerteam gebührt großer Dank: Ihr habt einen tollen Job geleistet – von der Handyaufbewahrung bis zur großzügigen Bananenversorgung und kreativen Startnummer-Befestigung hat alles bestens funktioniert. Nur Fotografieren müsste noch ein bisschen geübt werden, damit am Ende vielleicht zumindest ein Motiv rauskommt, das nicht komplett unscharf ist 🙂
…Diese Kunst beherrscht Jochen Schweitzer (leider?) etwas besser. Daher last but not least vielen Dank an ihn, dass mein Duckface auf unserem nicht ganz ernst gemeinten Siegerfoto nun alle Berichte über die Cross-EM ziert… 🙁