Ich gebe zu, im vergangenen Jahr durfte ich den Sport viel intensiver erleben.
Nicht nur im Hinblick aufs Training, sondern insbesondere aus der Sicht eines Sportjournalisten. Ich sammelte viele Eindrücke aus dem Bereich des Leistungssports – sei es bei den Olympischen Spielen in Rio oder ’nur‘ hier in Deutschland bei Wettkämpfen, während Interviews mit Athleten oder persönlicher Homestorys.
Mein Verständnis für die erbrachten Leistungen wurde weitreichender. Dabei schaue ich nicht nur hinter den Erfolg oder Misserfolg, sondern versuche eine persönliche Seite einzufangen.
Dass Sport aber mehr bedeutet als eine vergleichbare Zeit oder Weite, war mir von Anfang an klar.
Mittelstreckenläuferin Corinna Harrer: „Sport ist sehr facettenreich. Er lehrt uns mit Niederlagen umzugehen, unter Druck Leistung zu bringen. Er zeigt uns aber auch sehr viel über uns selbst und unsere Persönlichkeit. Man lernt seine Grenzen kennen und entwickelt über die Jahre ein sehr gutes Gefühl für seinen Körper.“
Da der Sport auch für mich eine Leidenschaft ist und einfach zum Alltag dazu gehört, weiß ich, wie er das eigene Leben bereichern kann. Wie viel Wert dahinter steckt, auch wenn diese Leidenschaft oft Leiden schafft.
Aber mit der Zeit habe ich feststellen müssen, dass jenes Leiden oft nichts mehr mit Sport zu tun hat. Harte Trainingswochen wären vertretbar, gäbe es die entsprechende Wertschätzung und vor allem Unterstützung.
Müsste sich ein Athlet nämlich nicht alleine durch das System zwängen und sich am Tag X jedes Mal aufs Neue offiziell dafür rechtfertigen, warum ihm eine entsprechende Förderung gebührt…
bzw. dürfte sich der Athlet am Tag X unter fairen Bedingungen seinen Konkurrenten stellen…
oder müsste er nicht falsche Prioritäten setzen, um sich seine Zukunft abzusichern…
dann würde sich ein ‚Leiden‘ allein aufs Training beziehen – und das ist in Ordnung! Das gehört zum Sport dazu! So lange der Schmerz ein Nachwehen des gestrigen Trainings ist oder nur die Unzufriedenheit, für eine sich selbst zuzuschreibende Niederlage, können wir damit umgehen oder es zumindest lernen.
Die vergangenen Monate jedoch haben mich das Gegenteil gelehrt. Und DAS tut weh!
Nämlich den Sport und insbesondere die Leichtathletik durch die Inkompetenz so mancher Verantwortlicher, die mangelnde Kommunikation und die eigennützige Ignoranz dahin vegetieren zu sehen.
Corinna Harrer ist für mich das perfekte Beispiel für jemanden, der diesem System und den Intrigen ausgeliefert war. Aber deren Leidenschaft noch immer ehrgeizig dadrüber steht. Sie fasst sich ein Herz und bündelt letzte Kraftpakete, um auf sich als Mensch und konkurrenzfähige Sportlerin aufmerksam zu machen.
„Ich habe durch den Sport gelernt für meine Rechte aufzustehen, sich einzusetzen und für Dinge zu kämpfen. Erfolge feiern ist schön, bleiben meist eher rückblickend in unserer Erinnerung. Dennoch sind es die Misserfolge, die uns prägen, aus denen wir lernen und die uns zu dem machen, wer wir sind.“
Wer war Corinna damals, wer ist sie heute?
„Corinna damals – mit dem Kopf durch die Wand, Signale des Körpers nicht wahrnehmen, immer 120% wollen! Und Coco heute – auf den Körper hören und Rücksicht auf Schwächen nehmen; für seine Rechte kämpfen.“
Kein Spitzensportler kann pausenlos Höchstleistungen erzielen. Die Gewissheit, dass auch andere sich dessen bewusst sind – besonders jene, die anhand dessen die weiteren Schritte in der Leistungskarriere bestimmen – beruhigt schon ungemein. Das bedeutet Vertrauen – auch in jenen Zeiten, wo es eben mal nicht nur gut läuft.
Corinna schaut zurück auf Jahre, die einen beeindruckenden Aufstieg zeigten und Erfolge verzeichneten… aber genauso gut von Verletzungen geprägt waren, sodass viel Ehrgeiz und Kampfbereitschaft gefragt waren, um wieder Anschluss zu finden.
„Alles in allem blicke ich aber bislang positiv zurück. Momente wie die Olympische Spielen und die Silber Medaille bei der EM kann man einem nie mehr nehmen.“
Aber jetzt geht es um die Jahre, die noch folgen sollen!
„Ich will wieder Anschluss an die Weltspitze finden. Tief in mir träume ich noch immer, die Deutschlandhymne eines Tages noch einmal hören zu dürfen.“
Aber bis dahin und dafür weiß auch Corinna, dass sich im Leistungssport etwas ändern muss!
„Mein Wunsch ist, dass die Olympische Kernsportart wieder mehr ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt wird. Die Leichtathletik selbst muss sich Gedanken machen, wie sie immer mehr zu den Leuten kommt und nicht die Leute von sich aus ins Stadion gehen müssen, um die Attraktivität der Sportart zu steigern.“
Auch Corinna weiß, dass wenn sich in den nächsten Jahre keine Trendwende erkennen lässt, es für die Leichtathletik schwer werden wird, eine zukunftsfähige Sportart zu sein.
„Mein Wunsch ist, dass die Sportler und deren Existenz – falls diese sich für den Profisport entscheiden – abgesichert ist. Dazu zähle ich vor allem ein funktionierendes Gesundheitssystem, dass im Verletzungsfalle der Sportler keine Kosten dafür zu tragen hat.“
Auch wenn der Leistungssport „Willens- und Charakterschulung zugleich ist, in der der Athlet immer wieder in Grenzsituationen gebracht wird, in denen er Entscheidungen zu treffen hat und die Konsequenzen dafür tragen muss – egal ob positiv oder negativ“-, dürfen die eigenen Grenzen nicht durch eine mangelnde Rücksicht und eigennützigen Beweggründen seitens der Funktionäre bestimmt werden. Den Athleten muss erst der Freiraum geschaffen und der notwendige Rückhalt gesichert werden, damit sie jene Grenzen überhaupt erreichen und bezwingen!
Wir wünschen Dir liebe Corinna, dass du deine Ziele uneingeschränkt verfolgen und deine Leistung entfalten kannst. Bleibe gesund und lass dich und dein Sportlerherz nicht unterkriegen.