Traditionen haben es so an sich, dass sich irgendwann eine gewisse Routine einstellt. Man weiß, was einen erwartet. Wie auch bei einem traditionellem Event, das alljährlich stattfindet und seine altbekannten Riten auftischt bzw. bekannte Gesichter begrüßt.
Konkret gemeint ist das internationale Läufermeeting in Pliezhausen, das gestern zum 27. Mal die internationale und nationale Lauf-Elite ins Schönbuchstadion einlud, wo der Startschuss für die bevorstehende Freiluftsaison fällt.
Häufig stecken den Läufern aber noch die viele Kilometer aus dem obligatorischen Frühjahrs-Trainingslager in den Beinen. Trotzdem nehmen viele weitere Kilometer auf sich, um ihre Form erstmals auf den Prüfstand zu stellen bzw. das zurückliegende Bootcamp mit einem Wettkampf gebührend abzurunden.
Wie die Hindernisläufer unter Bundestrainer Enrico Aßmus, die erst zwei Tage vorher aus Südafrika zurück kamen und sich gestern über 2.000m Hindernis (wie Tim Stegemann vom Erfurter LAC) oder über 3.000m flach (wie Philipp Reinhardt vom LC Jena) mit der bewehrten Konkurrenz ein spannendes Rennen lieferten. Und es zeigt, dass jeder die knapp vier Wochen Trainingslager unterschiedlich wegsteckt.
Tim Stegemann heftete sich mutig an die Fersen von Martin Grau (LSC Höchstadt/Aisch), der sich den Sieg und gleichzeitig eine neue Bestzeit (5:37,36min) über 2.000m Hindernis nicht nehmen ließ. Dass klappte, obwohl sich Tim lange nicht abwimmeln ließ und Martin sich auf der Zielgerade noch einmal mit einem Blick über die linke Schulter vergewissern musste, ob sich der 24-Jährige auch wirklich in sicherer Entfernung hinter ihm befand – genau zwei Sekunden!
Genauso spannend machten es die Frauen über 2.000m Hindernis. Jana Sussmann vom Haspa Marathon Team Hamburg teilte sich mit der Olympionikin Fabienne Schlumpf aus der Schweiz die Spitze und hielt couragiert das Tempo. Bei bescheidenen Wetterbedingungen (wo wir bei der nächsten gewohnten Begebenheit wären) landete Jana nach 6:23,36min auf den zweiten Platz. Gut drei Sekunden vor ihr Fabienne, die mit ihren 6:20,33min die zweitbeste Zeit aufstellte, die jemals in Pliezhausen gelaufen wurde.
Philipp Reinhardt, der zuletzt beim Paderborner Osterlauf über 10km als bester Deutscher und mit neuer Bestzeit (29:27min) trumpfte, hielt das Tempo der Spitzengruppe fast über die gesamten 3.000m. Gegen Ende musste er sich jedoch den Trainingslager geschuldeten, schweren Beinen geschlagen geben und fiel zurück. Das prophezeite der 23-Jährige allerdings schon vor dem Rennen: „Die letzten Runden werden hart!“ Trotzdem kämpfte er sich durch und erreichte am Ende noch den siebten Platz. Das Rennen entschied Marcel Fehr (SG Schorndorf 1846) in 8:04,70min für sich.
Bei den Frauen über 3.000m hoffte man auf Janas Vereinskollegin Agata Strausa, die sich während ihres Warm-Ups aber unglücklich etwas im Rücken verrenkte und gezwungenermaßen von ihrem Start Abstand nehmen musste. Bereits im Vorjahr bewies sie mit ihrem zweiten Platz bei der DM über 5.000m und den zweiten Platz bei der DM im Halbmarathon, dass sie eine nicht zu unterschätzende Kandidatin fürs Treppchen ist. Das Rennen gewann letztlich die Polin Matylda Kowal in 9:09,74min.
Ein weiteres Gewohnheitsmerkmal sind bekannte Gesichter, die sich in den Jahren zuvor durch irgendeine besondere Leistung ins Gedächtnis brannten und am gestrigen Sonntag deshalb erwartungsvoll empfangen wurden.
Dazu zählte ganz klar Timo Benitz (LG farbtex Nordschwarzwald), der sich 2015 mit Homiyu Tesfaye (LG Eintracht Frankfurt) um den Sieg bolzte und am Ende einen neuen Meetingrekord – 2:16:90min – über 1.000m aufstellte. Gestern konnte sich Timo wieder absetzen und das Rennen gewinnen, blieb allerdings mit 2:21,99min deutlich über seine vorgelegten Bestzeit.
Diese Bestleistungen gehören ebenfalls zu den Gewohnheiten eines Traditions-Event wie in Pliezhausen.
Ganz klar hervorzuheben sind dabei die 600m, bei denen sich Christina Hering (LG Stadtwerke München) souverän mit 1:27,68 Minuten gegen die amtierende Halleneuropameisterin Selina Büchel aus der Schweiz durchsetzte.
Die DLV-Staffel 4x100m mit den U20-Juniorinnen Katrin Fehm, Keshia Kwadwo, Sophia Junk und Jennifer Montag knackten die EM-Norm von 47,50sek um mehr als drei Sekunden (44,11sek) und stehen somit bei der Junioren-EM (20. bis zum 23. Juli 2017) in Italien für Deutschland am Start. Das bedeutet gleichzeitig, dass das Läufermeeting in Pliezhausen vielen jungen Athleten die Gelegenheit bietet, mit besonderen Leistungen auf ihr Potenzial aufmerksam zu machen.
Das bestätigen der Bundestrainer Enrico Aßmus (A und B Kader 3.000m Hindernis) und der Bundestrainer Georg Lehrer (verantwortlich für den Nachwuchs, C-Kader 3.000m Hindernis). Pliezhausen ist die erste Adresse, bei der nicht nur bekannte Namen auf der Meldeliste stehen, sondern junge Athleten die Gelegenheit bekommen, sich einen ersten Namen zu machen.
Aber auch die ganz Kleinen waren am gestrigen Sonntag ganz groß und durften sich im Rahmen eines Großevents bei der Bambini-Staffel messen.
Genauso beeindruckend: Lindy Ave, die gleich zwei Meetingsrekorde aufstellte. Bei den Läuferinnen mit Handicap (Klassen T35-38 = entspricht dem Schweregrad der Behinderung) rannte sie die 100 Meter in 13,49sek und die 200m kurz darauf mit überlegenen 28,14 Sekunden vor Katrina Hart (30,55 Sekunden) und Vanessa Braun (30,66 Sekunden). Weiter geht’s zu den World Para Athletics Championships in London (14.-23. Juli 2017).
Die Teilnehmer und Zuschauer trotzten den widrigen Witterungsbedingungen und machten den Tag auch dank einer klassen Organisation zu einem gelungenen Saisoneinstieg!
Nächster Halt: das 21. Nationale LA-Meeting in Jena am 27. Mai 2017! Bis dahin, Euch allen eine gute Erholung. Das Gleiche auch für die DM-ler, die am Samstag über 10.000m in Bautzen an den Start gingen.