Im letzten Teil meiner Trilogie, mit deren ungewohnter Heiterkeit ich euch vermutlich schön langsam auf die Nerven gehe, werden zum Schluss doch noch harte Geschütze aufgefahren: Es kommen Spritzen und starke Strahlung zum Einsatz. Gleich die erste Anekdote lässt schon nicht mehr viel Vergnügliches erahnen. Aber lest selbst…
Q wie Qual
Ich habe im Krankenhaus nachts so gut wie kein Auge zugetan. Das lag allerdings gar nicht so sehr daran, dass ich Schmerzen gehabt hätte. Es waren eher akustischen Unannehmlichkeiten. Ich war heilfroh, ein Einzelzimmer zu bewohnen, aber das Schnarchen des Herren aus dem Nebenzimmer hätte wohl selbst Felswände zum Erzittern gebracht. Nun gleicht die Beschaffenheit von Krankenhauswände aber eher der eines Pappkartons und wenn sich das eigene Zimmer auch noch gegenüber dem Waschraum befindet, in dem alle halbe Stunde eine Waschmaschine unüberhörbar signalisiert, dass sie wieder eine Ladung Handtücher oder Bettlaken gereinigt hat – und dabei nicht darauf Rücksicht nimmt, ob es nun zwölf Uhr mittags oder nachts ist – dann kann das nur noch durch eine einzige Sache getoppt werden: Wenn draußen auf dem Gang irgendjemand um drei Uhr in der Früh ruft: „Schwesteeer? Ich kann nicht schlafen!“
R wie Rechts
Ich habe mir das rechte Bein gebrochen. Das rechte Bein. Wadenbein, rechts. Rechte Seite. Rechts, rechts, RECHTS! Überall in tausend Dokumenten habe ich angegeben, wo sich der Bruch befindet, nämlich rechts. In unzähligen Gesprächen wurde es abgeklärt, auf Röntgenbildern ist es zu sehen: Der Bruch ist rechts. Und dann machte mir ein Pfleger doch tatsächlich eine Stunde vor der OP nochmal mit Filzstift ein Kreuz auf das Bein. „Nur damit die richtige Seite operiert wird“, meinte er und trug damit zu meiner größten Beunruhigung bei. Was, wenn die falsche Seite operiert wird? Ist das schon oft passiert? Es kam aber sogar noch schlimmer: Im Vorbereitungsraum fragte man mich, ob ich denn wüsste, was jetzt gemacht wird. „Na, ich werde operiert. Am Bein…“ Ich war verunsichert. „Und welche Seite?“ „RECHTS!!!“, rufe ich entsetzt, „bitte bitte rechts!“ „Keine Panik“, versuchte mich der Anästhesist zu beruhigen, „wir fragen nur um zu erfahren, ob der Patient auch aufgeklärt ist. Ich weiß doch längst, was zu tun ist.“ Er lächelte. Und ich wünschte mir sehnlichst, dass die Beruhigungstablette endlich Wirkung zeigte.
S wie Schwester
Die Krankenschwestern und Pfleger haben sich wirklich rührend um mich gekümmert. Am liebsten mochte ich eindeutig Frau Beck, die doppelt so groß und doppelt so breit war wie ich. Sie sprach das schönste Schwäbisch und erinnerte mich deshalb ein bisschen an meine Oma. Die etwas schmächtigere Asiatin Linh war ebenfalls sehr nett, sprach allerdings weder Schwäbisch noch irgendeinen anderen deutschen Dialekt. Wir verständigten uns daher meistens mit Händen und (gebrochenen) Füßen. Auch das kenne ich von meiner Oma: Wenn die Batterien von ihrem Hörgerät leer sind.
T wie Thrombosespritzen
Ich habe bisher einen großen Bogen um jegliche Art von Spritzen gemacht. Vor allem, wenn man sie selbst injizieren muss. Ich kann da ja schon bei anderen nicht hinschauen. Deshalb bat ich gleich am Tag der OP darum, das Spritzen fachmännisch mit mir zu üben. „Das gibt sich mit der Zeit. Dann wird das zur Routine“, beruhigte mich Frau Beck, meine Lieblingskrankenschwester. Leider sollte sie nicht Recht behalten: Ich drücke mich immer noch den ganzen Tag vor dem schrecklichen Moment, wenn ich mir die Nadel ins Bein rammen muss. Manchmal ziehe ich die Spritze schon wieder heraus, bevor ich das gesamte Präparat gespritzt habe. Ich halte das Gefühl nicht aus. Und jedes Mal bekomme ich einen blauen Punkt auf meinem Bein, der sich schließlich mit den Punkten der Vortage zu einem großen blau-schwarzen Fleck vereint. Mittlerweile fragt mich schon niemand mehr, was ich da denn für einen komischen Stiefel trage, sondern was mit meinem Oberschenkel passiert ist…
U wie Unterhaltung
Dass ein Krankenhaus nicht unbedingt der Vergnügungsort Nummer eins ist, ist irgendwie klar. Aber an sich bin ich jemand, der immer irgendeine Möglichkeit findet, sich die Zeit zu vertreiben. In den Tagen stationären Aufenthalts wurde mir allerdings zum ersten Mal bewusst, dass die meine Ablenkungsbeschäftigungen bisher meistens irgendwie mit Bewegung verbunden waren. Und in dieser Hinsicht war ich nach der OP traurigerweise komplett eingeschränkt. Fernsehen wollte ich nicht. Beim Lesen bekam ich Kopfschmerzen. Mein Handy-Akku war leer und der Essens-Teller vor mir auch. Ich hoffte, während dem hin und hergrübeln, was ich mit dem Zuviel an Zeit anfangen könnte, wenigstens vor Langeweile einzuschlafen. Aber diese Hoffnungen zerstört mein Zimmernachbar unmittelbar mit Röcheln, das sich immer weiter zu einem wahrlichen Schnarchkonzert entwickelte.
V wie Vene
Ich muss gestehen: Ich bekomme gern Komplimente. Und als Läuferin ist man schließlich ohnehin schon gern gesehen, wenn es darum geht, Blut abzunehmen. Meine Venen trifft man wenigstens leicht. Ich glaube, dass ich trotzdem noch nie innerhalb so kurzer Zeit so viel Lob für einen Teil meines Körpers bekommen habe. Diese „schönen Venen“ scheinen wohl etwas ganz Besonderes an mir zu sein. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich stolz darauf bin. Ich hätte auch gerne Komplimente für meine Frisur oder meine Fingernägel bekommen – aber frau kann ja nicht alles haben…
W wie WC-Stuhl
Ich habe ja bereits berichtet, dass der Weg zur Toilette die Möglichkeit für mich darstellte, mir meine Selbstständigkeit zu beweisen. Trotzdem war es auch später mithilfe des WC-Stuhls jedes Mal aufs Neue ein kräftezehrender Prozess. Hin und wieder brauchte ich deshalb einen kleinen Moment, um zwischen Hin- und Rückweg zu pausieren (jetzt mal unabhängig vom Geschäft). Und just in einer dieser Verschnaufzeiten passierte es: Es klopfte, die Klinke wurde gedrückt und eine Männerstimme fragte vorsichtig in den Raum: „Pizza?“. „Äh ja, gleich Moment. Nein, nicht reinkommen!“. Ich geriet in Panik, denn erstens wusste ich nicht, ob man mich durch die Badtür hindurch verstanden hatte, noch, ob der Pizzabote verkraften würde, dass ich gleich seine Pizza in OP-Hemd und Unterhose entgegennehmen würde. Ich schämte mich ein wenig, hievte mich aber tapfer zurück auf den WC-Stuhl und rollte in rekordverdächtiger Geschwindigkeit zur Tür. Mist, Geld vergessen. Also zurück zum Bett. Oh Gott, hatte ich überhaupt genügend Bargeld? Egal, zurück zur Tür. Dahinter stand zum Glück noch immer der geduldige Lieferbote und hielt mir einen duftenden Karton entgegen. Allein für diesen Moment der Erleichterung bekam er ein ordentliches Trinkgeld.
X wie X-Rays
Vor und nach der OP wurden zur Kontrolle Röntgenbilder gemacht. Was ich dort zu sehen bekam, überzeugte mich schnell davon, dass es für einen Arzt sehr hilfreich sein kann, in seiner Schulzeit besondere Fähigkeiten bei Bildinterpretationen zu entwickeln. Es wurde bei mir nämlich selbst dort etwas entdeckt, was für mich einfach nur aussah wie eine weiße glatte Fläche. „Schau, da ist der Bruch. Hier hat sich auch schon ein kleiner Callus gebildet“, hieß es. Ich tat so, als würde ich irgendetwas erkennen. Eigentlich sah ich nämlich absolut nichts. Ich fand aber auch früher als Schülerin Bildbeschreibungen schon nicht so cool.
Y wie Yoga
Was macht man, wenn man morgens um 5 Uhr am Tag der OP fern von zuhause nicht mehr schlafen kann? Richtig, man schaut Heimatfernsehen. Zum Glück empfing der Fernseher das Programm des Bayerischen Rundfunks. Und dort kommt um diese Zeit Tele-Gymnastik. Ich weiß zwar nicht, wer um alles in der Welt zu dieser Zeit sein Fitness-Programm abspult, aber das anschließende Entspannungs-Yoga war für mich wie geschaffen. Zwar konnte ich nur passiv an den Figuren und komplizierten Körperverrenkungen mitwirken, aber so ließ ich wenigstens „die Gedanken vorbeiziehen“, „den Atem durch den Körper wandern“ und irgendwann fühlte ich genau, dass ich nun „aus mir herausspazieren“ konnte und „alles von oben betrachten“. Alles war so spirituell, dass ich quasi schon fast an der Decke schwebte. Ommmm.
Z wie Zwieback
Es gab eine Sache, die meinen Aufenthalt im Krankenhaus wirklich erheitert hat. Und das war eine Dame, von der ich nicht weiß, wie sie hieß, ob sie eine Krankenschwester, eine Köchin oder was auch war. Nur so viel: Kurz nachdem die leeren Essenstabletts abgeräumt worden waren, klopfte sie an meiner Zimmertür und bevor ich überhaupt reagieren konnte, rief sie schon: „Frau Reeeeheeeeng isch hab ihr’n Zwieeeeback mit beii!“ Dann stürmte sie den Raum, wirbelte eine orangene Packung mit dem bekannten Brandt-Kindergesicht-Aufdruck herum und platzierte sie wie einen Pokal auf meinem Kipptisch neben dem Bett. Dann war sie wieder verschwunden und ich weiß noch bis heute nicht, wie sie kam, mir nach jedem Essen Zwieback zu bringen. Aber aufgrund der nicht immer so üppigen Mahlzeiten nahm ich es als willkommene Ergänzung, Nachtisch, Snack, was auch immer – allein der Unterhaltungswert der ganzen Prozedur war ja schon köstlich genug.
Dieser Text ist Folge 3 von „Franzis OP-ABC“
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