Samstagmorgen 3:45. Der Wecker klingelt erbarmungslos aber es hilft nix, schließlich wollen wir um 6 Uhr am Scheibenberg auf den Rädern sitzen – der Stoneman Miriquidi wartet auf uns. Vermutlich wundert es kaum jemanden, dass ich als bekannter Dickkopf die Tour als „Gold Trophy“, d.h. an einem Tag fahren will.
Der deutsche Wettergott meint es nicht allzu gut mit uns: 10 Grad, etwas Nebel und leichter Nieselregen. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das wirklich eine gute Idee war aber es hilf ja nix also rauf auf’s Rad und ab in die Schlammschlacht.
Wir kurbeln gemütlich los und haben nach dem längsten Teilstück (37 Kilometer) unseren ersten Gipfel (Rabenberg) erreicht. Cool – der erste Stempel wird in die Karte gestanzt. Noch schnell ein gieriger Griff in die Haribo-Tüte (Zitat Kai: „Davon kann man heute nie genug essen“) und weiter geht’s. Ups, auf einmal sind wir mitten im Rabenberg Trail (dabei wollten wir den doch umfahren) aber die Strecke ist nicht allzu schlammig und so kommt trotz kalter Nässe echter Trailspaß auf. 10 Meter vor Trailende kurz nicht aufgepasst und zack gucke ich mir den Schlamm ganz genau an. Außer ein paar blauen Flecken ist zum Glück nichts passiert und wir setzen die Fahrt fort. Nächster Halt: Auersberg. Weitere 17 Kilometer stehen auf der Uhr (juhu, schon mehr als ein Viertel geschafft) und das zweite Loch ist in der Stempelkarte. Auf dem Weg zum Plattenberg überqueren wir die Grenze und fahren die nächsten Kilometer in Tschechien. Der tschechische Wettergott ist uns deutlich wohler gesonnen denn plötzlich ist von Regen nichts mehr zu sehen und hin und wieder bekommen wir sogar ein paar Sonnenstrahlen ab. Die Stempel 3 und 4 liegen dicht beieinander und so haben wir nach ca. 84 Kilometern schon 4 von 9 Gipfeln eingesackt. Die Abfahrt vom Pleßberg (eine alte Skipiste) ist für mich eine Nummer zu groß und so schiebe ich ein paar Meter runter. Jetzt liegt das (anstiegsmäßig) schwerste Teilstück vor uns: die Auffahrt zum Keilberg: 10 Kilometer und 600 Höhenmeter am Stück… Also erstmal noch ein Gel und eine Handvoll Nüsse reinstopfen und zum ersten Mal heute können wir tatsächlich die Beinlinge ausziehen. Die Taktik für den Anstieg ist dann irgendwie ganz einfach – stupide weiterkurbeln bis wir irgendwann oben angekommen sind. Puh, zum Glück ist der Weg abwechslungsreich (Asphalt, dann Waldboden und am Ende ein etwas steiniger Weg) und nach ca. 107 Kilometern haben wir gegen 15 Uhr den höchsten Berg des Erzgebirges erreicht. Stempel 5 – Check.
Das folgende Teilstück zum Fichtelberg ist kurz und nicht zu steil, so dass um 16 Uhr schon sechs Löcher in die Stempelkarte gestanzt sind. Am Fichtelberg gibt’s nun auch endlich die verdiente Mittagspause. Eigentlich bin ich kein Fan von Wurst aber die Kartoffelsuppe mit üppig Bockwurst schmeckt im Moment einfach hervorragend und füllt die Speicher gut auf. 40 Minuten später sitzen wir schon wieder im Sattel denn wir haben noch ca. 45 Kilometer vor uns.
Die Etappe zum Bärenstein ist fahrtechnisch nicht anspruchsvoll aber sehr kurvig und so schimpfe ich bei der Auffahrt lautstark vor mich hin, als die Stempelstelle auch nach der gefühlt 100. Kurve immer noch nicht in Sichtweite ist. Tatsächlich ist es das erste Mal auf der Tour, dass ich etwas unleidig werde und die Nerven ein bisschen angespannt sind. Willi hat ein paar aufmunternde Worte für mich und tatsächlich sind wir kurz darauf bei Stempelstelle Nr. 7. Krass – es fehlen nur noch zwei Gipfel und beim zweiten steht auch schon das Auto. Erst seit dem Fichtelberg bin ich mir relativ sicher, dass wir (bzw. ich) die Tour wirklich schaffen. Zum Glück weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, was auf den letzten 32 Kilometern auf uns wartet…
Die Auffahrt zum Pöhlberg führt über eine alte Bobbahn. Klingt erst einmal nicht schlimm, ist es aber! Der Untergrund lose und die Steigung so steil wie an keinem anderen Punkt der Tour. Ich nehme meine ganze letzte Kraft zusammen (keine Ahnung wo ich die zu dem Zeitpunkt noch herhole), um mit höchster Konzentration Umdrehung für Umdrehung hochzukurbeln. Am Rand schieben zwei Fahrer, die ich vor Konzentration kaum wahrnehme. Ich rechne damit, dass mir mein Vorderrad jeden Moment entgegenkommt oder ich den Lenker verziehe. Bei der Steigung müsste ich den Rest hochschieben. Irgendwie keine gute Alternative. Also kämpfe ich mich keuchen und schnaufend Meter für Meter vorwärts. Und plötzlich bin ich echt oben – WAHNSINN! Ein erleichtertes „Jaaaa!“ bricht aus mir heraus. Den vorletzten Stempel drücke ich mit besonders viel Elan in die Karte. Während wir noch ein bisschen Studentenfutter für die letzten Kilometer essen, kommen die zwei Radfahrer auch am Stempelpunkt an. Sie fahren die Tour in 2 Tagen und sind von unseren Bergziegen-Fähigkeiten sichtlich beeindruckt (wenn die wüssten wie beeindruckt ich von mir selbst bin…).
Ab jetzt sind es nur noch knapp 17 Kilometer bis zum Auto. Nur noch einmal hoch. Nur noch ein letzter Stempel… Die nächsten 15 Kilometer läuft alles nach Plan, dann biegen wir in den Wald ab. Jetzt wird es für mich richtig hart: die Dämmerung hat uns eingeholt, die Sicht ist dadurch schlecht, der Wurzeltrail bergauf ist nass und rutschig und plötzlich sind meine Akkus leer und ich fühle nur noch Erschöpfung. Die Beine zittern und in den Augen sammeln sich ein paar Tränen – das kann doch nicht wahr sein. Soll es etwa auf den letzten 1,5 Kilometern scheitern, nachdem wir über 160 geschafft haben? Nein, sicherlich nicht! Also beiße ich die Zähne zusammen und quäle mich den Weg hoch. Und dann ist Willi in Sichtweite und sagt: „Noch 10 Meter bis zur Straße“. Und das bedeutet, dass wir nur noch 200 Meter bis zum Auto haben. Jetzt wechseln die Gefühle wieder abrupt aber diesmal ins Positive. Voller Stolz, Freude, Erleichterung, Erschöpfung und etwas Ungläubigkeit drücke ich das letzte Loch in die Stempelkarte. Es ist 20:40.
Wir waren 14:40 Std. unterwegs (inklusive aller Pausen), sind durch zwei Länder gefahren, haben 9 Gipfel erklommen und am Ende ca. 165 Kilometer mit 4.400 HM auf der Uhr (meine Uhr hat 2 Kilometer vor Schluss die Funktion eingestellt – Akku leer. Ich kann es ihr nicht wirklich verübeln).
Im Bürger- und Berggasthaus holen wir uns die verdienten Trophäen ab. Dann machen wir uns auf den Heimweg. Ich freue mich auf eine heiße Dusche, frische Klamotten, Abendessen, ein Gläschen Wein und das Sofa. Dann fallen wir die Augen zu.
Fazit: Tolle (und harte) Tour, klasse Begleitung (danke Willi!), abwechslungsreiche Wege, schöne Landschaften, endlich mal im Erzgebirge gewesen, zum Glück keine technischen Pannen aber vom Laufen tut einem der Hintern deutlich weniger weh ??