Nach meinem Marathondebüt im vergangenen Jahr in Düsseldorf, das mit der Olympianorm endete, glückte nun auch Nummer zwei: EM-Norm und der Sieg beim prestigeträchtigen Köln Marathon. Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten dieser beiden Rennen.
Rückblick: Das Jahr 2016 begann für mich gar nicht gut. Schon im Januar-Trainingslager in Monte Gordo plagten mich immer wieder Achillessehnenbeschwerden. Woche für Woche musste ich auf wichtige Einheiten verzichten und ahnte innerlich schon, dass dies meine Saison ernsthaft in Gefahr bringen könnte. Auf der anderen Seite wollte ich die Saison aber nicht aufgeben, bevor sie begonnen hatte, denn dies hätte gravierende finanzielle Konsequenzen für mich gehabt. Die Formel ist einfach: Keine Rennen = kein Erfolg = keine Förderung. Da ist das System gnadenlos. Zudem lockten mich der Berliner Halbmarathon, bei dem ich den Leistungsnachweis für meine bereits erfüllte EM-Norm liefern musste und der Düsseldorf Marathon, denn ich rechnete mir eine kleine, aber durchaus realistische Chance auf die Olympianorm aus. Wer solche Träume hat, gibt nicht auf, ohne es zu versuchen. Mit dieser Mischung aus Optimismus und Draufgängertum ging ich die Vorbereitung an, die allerdings permanent unter Trainingsausfällen litt. Zudem war sie ein wenig notdürftig zusammengeschustert, denn mein Plan, den Düsseldorf Marathon ebenfalls anzugehen, entstand sehr kurzfristig durch die Veröffentlichung der angepassten Olympianormen.
Die schlechte Vorbereitung nahm mir insgesamt den Druck, da ich im Falle eines Scheiterns gewusst hätte, woran es lag. Vielleicht war genau das der Auslöser, warum ich bei beiden Rennen extrem defensiv anging und demütig auf die zweite Rennhälfte ging. In beiden Fällen mit Erfolg: In Berlin unterbot ich ohne Probleme die geforderten 64:45 Minuten und qualifizierte mich damit für die EM in Amsterdam und in Düsseldorf lief ich die zweite Hälfte schneller als die erste. Schon im Vorfeld des Düsseldorf Marathons wurde ich ständig vor der Härte des Marathons gewarnt und war mir bewusst, dass die Erfüllung der Olympia-Norm beim Debüt eine große Überraschung wäre, zumal ich in den zwölf Tagen vor dem Rennen nur zwei richtige Einheiten absolvieren konnte. Mit der Hilfe meines Tempomachers Tom Gröschel hielten wir den angepeilten Kilometerschnitt von 3:10 konsequent ein und jenseits der 30 Kilometer wartete ich ständig auf den erwarteten Einbruch. Doch der kam nicht! Natürlich tat es weh, doch bis zu Ziellinie dachte ich, dass das noch nicht die volle Härte des Marathons gewesen sein kann. Als ich über die Olympianorm jubelte, war ich darüber immer noch ziemlich erstaunt.
Ganz anders war es in Köln: Ich erwischte eine tolle Vorbereitung. Ich kam fit und mit einer gesunden Achillessehne durch eine gute Sommersaison und konnte mich ganz gezielt auf den Köln Marathon vorbereiten. Mit dem Wissen im Kopf, dass ich im letzten Jahr schon trotz der miesen Vorbereitung eine kleine 2:13 gelaufen bin, lief das Training umso besser. Ich trainierte Belastungsblöcke, an die in meiner bisherigen Karriere nicht einmal zu denken war und kam nach dem abschließenden Belastungsblock bei meinem engen Freund Johannes Eisinger, der das Reha Med in Herxheim leitet, sehr selbstbewusst zurück. 20 Sekunden schneller als in Düsseldorf wollte ich angehen – ein Schnitt von 3:08 Minuten pro Kilometer, was auf eine Zeit von 2:12:40 hinausgelaufen wäre. Mit der guten Form im Rücken fühlte sich das Tempo auf den ersten 20 Kilometern unheimlich langsam an, zumal ich Unterstützung von drei Tempomachern hatte. Bei den wechselnden Winden schwankte auch das Tempo, allerdings nur in eine Richtung: Nach oben! Da ich im Vorfeld darauf hingewiesen habe, dass die Kilometer nicht langsamer als 3:08 sein sollten, wurde darauf stärker geachtet. Kilometerabschnitte in 3:03 wurden da mit Wohlwollen geduldet, denn mit meiner Form traute ich mir auch Zeiten unter 2:12 zu.
Das rächte sich bitter! Als meine Tempomacher ausstiegen fühlte ich mich schlagartig schlecht und realisierte, dass ich mich vielleicht etwas verpokert hatte. Noch 14 Kilometer im Krisenzustand – das kann hart werden. Nach meiner flotten Halbmarathondurchgangszeit von 65:54 Minuten hatte ich zwar einen Puffer, doch ich merkte sehr schnell, dass ein Marathon auch anders laufen kann als in Düsseldorf. Ein paar Kilometer hielt ich noch das Tempo von 3:08, aber ich wusste, dass das nicht mehr auf Dauer geht, denn meine Muskulatur hatte sich verabschiedet, sodass ich kaum noch die Füße heben konnte und der Wind frischte kräftig auf. Am schlimmsten war Kilometer 36, der mit 3:26 so langsam war, dass meine Hochrechnung erstmal über der EM-Norm-Marke lag. Dies war der schlimmste mentale Schlag, der mich an den Rande des Aussteigens und des mentalen Kollaps trieb. Ohne die Erfüllung der Norm wäre das Schuften der letzten drei Monate völlig umsonst gewesen. Zu dem Zeitpunkt hilf mir die unglaubliche Stimmung an der Strecke und die ständigen aufmunternden Worte meiner Begleiter auf den Fahrrädern enorm. Irgendwie pendelte ich mich wieder bei 3:15 pro Kilometer ein, was so gerade eben für die Norm reichen würde. Ich wusste das genau, denn ich rechnete ständig, um mich von den körperlichen Schmerzen abzulenken und vielleicht irgendetwas Motivierendes aus den Hochrechnungen zu ziehen.
Meine große Sorge: Bei 2:14:01 ins Ziel zu kommen! Das wäre der Super-Gau, vor dem ich bis zur Zielkurve Angst hatte. Was für eine Erleichterung als ich auf der Zielgeraden sehen konnte, dass es reichen würde. Irgendwie riss ich noch die Arme hoch, dann wurde es schwarz. Ein paar Sekunden später wurde mir bewusst, dass ich jetzt auch das andere – das hässliche – Gesicht des Marathons kennengelernt habe. Gemeistert habe ich beide Prüfungen, sodass ich mich tatsächlich guten Gewissens auf Nummer drei freuen kann. Denn eins weiß ich sicher: Solch ein Anfängerfehler unterläuft mir nicht mehr, da ich mit zwei Marathons in den Beinen nun kein Anfänger mehr bin!