In den letzten Wochen sind wir alle entweder krank geworden. Oder paranoid.
Es ist an der Zeit, uns Sportler vor der grassierenden Grippewelle zu beschützen.
In diesen Tagen denke ich des Öfteren an das zweite Trainingslager meiner läuferischen Karriere zurück.
Es begab sich im Jahre 2013, dass die Regensburger Lauf-Armada an die italienische Adria aufgebrochen war. Und das mit dem aufbrechen konnte man in diesem Falle leider ziemlich wörtlich nehmen.
Kopfkino aus.
Was ich sagen will: Es ist damals genau das eingetreten, was der absolute Alptraum eines jeden Trainers sein müsste. Es dauerte nämlich nicht viel länger als ein, zwei Tage und die komplette Mannschaft lag flach.
Ein hartnäckiger Virus grassierte unter den Athleten. Die gesamte Gruppe hütete schlaff das Bett, schleppte sich von Zeit zu Zeit mit letzter Kraft ins Badezimmer… Ich erspare den Rest. Nur so viel: Der Magen-Darm-Infekt hatte uns alle fest im Griff.
Alle? Nein!
Ein Doppelzimmer leistete erfolgreich Widerstand. Ähnlich dem unbeugsamen gallischen Dorf schien man hier die Zauberformel gegen den Virus gefunden zu haben. Sie war ebenso simpel wie genial: 1,2,3 – Keimfrei!
Der Slogan verlieh den Insassen von Nummer 214 scheinbar unbesiegbare Kräfte, eine Immunität gegen alle Keime und Bakterien, die in diesen Tagen unter den Athleten ihr Unwesen trieben.
Ich weiß bis heute nicht, warum und wieso – aber es hat einfach funktioniert. Amy und ich haben zehn Tage durchtrainiert und das völlig ohne (Ge-)Brechen.
Trotzdem: Wenn man zu zweit seine Bahneinheiten in einem quasi verwaisten Stadion absolvieren muss und sich höchstens noch ein paar müde Mannschaftskollegen auf die Fußballwiese nebenan verirren, um sich die wackeligen Beine zu vertreten, ist das echt traurig und macht keinen Spaß.
Was der Anlass für meine nostalgischen Reminiszenzen dieser ganz und gar nicht sagenhaften sondern eher seuchenhaften Ereignisse sind?
Ganz einfach: In mancher Trainingsgruppe sieht es momentan nicht anders aus. Die Grippewelle hat in den letzten Wochen ein Hoch erreicht, das es einem Sportler hierzulande wirklich schwer macht, sich nicht irgendwie irgendwo anzustecken. Das Risiko ist also vermutlich noch höher als beim historischen Lagerfieber von 2013.
Ich ertappe mich ja selbst dabei, wie ich von Tag zu Tag ein bisschen hypochondrischer werde. Manchmal gehe ich abends mit einem ganz und gar fürchterlichen Gefühl ins Bett: Kratzt mein Hals? War das Niesen vorhin nur ein Zufall? Ist es hier drin so warm, oder habe ich Fieber?
Meistens stehe ich dann nochmal auf, gehe ins Bad und versuche, im Spiegel meinen Rachenraum zu betrachten. Sieht dann meistens sehr verdächtig aus.
Also lieber nochmal gurgeln. Ein bisschen Nasenspray. Und hinterher noch eine Dobendan Direkt lutschen. Nur zur Sicherheit. Die mit Kirschgeschmack sind ja zum Glück gar nicht so ekelig.
Wenn ich mich am nächsten Morgen beim Aufstehen doch recht lebendig fühle, ist das schon fast ein Erfolgserlebnis.
Spätestens beim Bäcker kommt dann aber schon die Ernüchterung: Die Verkäuferin hustet erst einmal ausgiebig, bevor sie beginnt, meine Tüte zu füllen.
Den Konsum von möglicherweise durch Keimkontakt kontaminierten Nahrungsmitteln vermeide ich mittlerweile grundsätzlich. Wem könnte ich jetzt das Gebäck also noch andrehen, ohne verdächtig zu werden?Während ich fieberhaft überlege, fällt mir zu allem Überfluss die doppelte Bedeutung von fieberhaft ein. Na, fantastisch.
„Das macht sieben Euro vierzig“, reißt mich die Bäckerei-Verkäuferin aus meinen Gedanken und ich zücke nur zögerlich mein Portemonnaie. Es ist nämlich sehr schwer. Ich habe erst gestern den gesamten Inhalt meines Sparschweins hineingekippt.
Warum? Mein Freund hat mir erklärt, dass sich Keime nur über Geldscheine, nicht aber mit Münzen übertragen lassen. Die haben quasi eine antibakterielle Wirkung, solange man Kontakt mit der Hand des Gegenüber vermeidet.
Ich beginne, unter den argwöhnischen Blicken der Kunden hinter mir, den Betrag in Fünf- und Zehn-Cent-Stücken abzuzählen.
Danach bin ich endlich wieder draußen an der frischen Luft. Der einzige Ort, an dem man vielleicht noch sicher ist. Supermärkte, Universitäten, besonders Uni-Blibliotheken, Bahnen, Busse – da darf man überhaupt nicht mehr hin, das sind ja quasi Verkehrsknotenpunkte für Grippeviren.
Wobei – seit einigen Wochen fahren die Busse ohnehin nur noch sehr unregelmäßig. Die Regensburger Verkehrsbetriebe haben Alarm geschlagen: Es sind so viele Busfahrer krank gemeldet, dass man die Linien nicht mehr nach dem üblichen Fahrplan bedienen kann.
Aus rein epidemiologischer Sicht bestimmt kein Nachteil. Wenn kein Bus mehr fährt, kann sich auch keiner mehr dort anstecken. Die vielen Busfahrer sind ja schließlich der Beweis, dass dort Infektionsgefahr hoch zehn herrscht.
Man hat sogar damit begonnen, Busse mit Desinfektionsstationen nachzurüsten. Fast schon wie im Krankenhaus. Dort geht’s allerdings noch schlimmer zu.
Woher ich das weiß? Ich habe derzeit bei meinen Eltern striktes Hausverbot. Beide sind Ärzte. Beide sind krank. „Komm bloß nicht zu Besuch!“, hat mir meine Mutter eingebläut.
Sie will mich vor dem Fluch bewahren, der momentan über unseren Breitengraden liegt und der vor allem für Sportler zur echten Gefahr wird. Nach einer anstrengenden Trainingseinheit ist man schließlich noch anfälliger und weniger wehrhaft gegen Angriffe auf das Immunsystem.
Wer davon noch nie etwas gehört hat, darf sich gerne den Beitrag meines Kollegen Philipp Reinhardt zum Thema „Open-Window-Effekt“ zu Gemüte führen.
Ansonsten gilt: Rette sich wer kann! Ab in die Keimfreiheit! So weit weg, wie möglich, Himmelsrichtung egal. Afrika, Amerika, Australien. Und bloß niemanden mitnehmen, der potenzieller Keim-Wirt sein könnte. Zur Sicherheit rate ich außerdem zu Sagrotan-Duschen, Handschuhen und Mundschutz.
Wenn all diese Vorkehrungen getroffen sind, empfehle ich zusätzlich, die immunisierende Zauberformel aus dem Seuchen-Lager anno 2013 regelmäßig anzuwenden:
1,2,3, – Keimfrei!
Ich wünsche somit allen viel Glück im Keim-Kampf, denjenigen, die nicht verschont geblieben sind, gute und schnellste Besserung sowie uns allen für die Zukunft absolut uneingeschränkte Immunität.
Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich sonst langsam beginne, verrückt zu werden, wenn mir zum Abschied nicht mal mehr das Hände- sondern höchstens noch ein Kopfschütteln übrigbleibt.