Deborah und Rabea Schöneborn sind im Januar mit einem starken Halbmarathon ins vermeintliche Olympiajahr 2020 gestartet. Aufgrund von Corona verlief ihre bisherige Saison nun anders als geplant. Wir haben die Zwillinge zu ihren Erfahrungen im Alltag, Studium und Training der letzten Wochen und ihrer Perspektive für die nächsten Monate interviewt:
Rabea und Deborah, Ihr beide lebt, trainiert und studiert aktuell in Berlin und habt in der Hauptstadt den Corona-Lockdown und die nun zunehmenden Lockerungen vermutlich recht intensiv und direkt mitbekommen.
Wie sah Euer Trainingsalltag in der Lockdown-Phase aus und was ist jetzt wieder möglich?
Ja, wie wahrscheinlich die meisten Athlet/innen waren wir von den gesellschaftlichen Einschränkungen ab Mitte März, die ja auch das Training betroffen haben, total überrascht. Von einem auf den anderen Tag war quasi keine Trainingsstätte mehr zugänglich und wir wussten zunächst nicht, was überhaupt noch erlaubt und möglich ist. Jeden Tag gab es neue Meldungen über Einschränkungen, Wettkampfabsagen und Maßnahmen, auf die wir uns in keinster Weise vorbereiten konnten.
In den ersten Tagen haben wir und noch an jedem kleinen Strohhalm, jedem noch nicht abgesagten Rennen festgehalten. Immer noch in der Hoffnung und dem Ziel der Olympischen Spiele vor Augen. Dass das IOC so intransparent uns Athlet/innen gegenüber kommuniziert hat und alle Sportler wochenlang im Ungewissen ließ, hat uns frustriert und vor allem an den Nerven gezehrt.
Daher war die Absage für Tokio 2020 und der neue Termin Juli 2021 für uns vor allem eine Erleichterung. Die Enttäuschung war zwar groß, aber so waren zumindest klare Verhältnisse geschaffen.
Wir haben uns dann entschieden, das volle Training nicht weiter durchzuziehen und eine Art aktive Pause von ca. 4 Wochen einzulegen. Gelaufen sind wir in der Zeit nach Lust und Laune und haben auch mit dem Rennrad einige schöne, neue Ecken in und um Berlin entdeckt.
In der ganzen Zeit war und ist es für uns beide natürlich ein toller Vorteil, gemeinsam trainieren zu dürfen. Wir wohnen in einer WG und da Sport mit Menschen aus einem Haushalt weiterhin erlaubt war, haben wir dieses Privileg auch gut genutzt. Seit einigen Wochen sind wir wieder im strukturierteren Lauftraining und mit den jüngsten Lockerungen ist auch Training im Kraftraum und manche Trainingseinheit auf der Bahn oder in der Trainingsgruppe mit der LG Nord Berlin wieder möglich. Das ist ein gutes, motivierendes Gefühl.
Welchen Fokus legt Ihr aktuell im Lauftraining und liebäugelt Ihr noch mit einer späten Wettkampfsaison – die Halbmarathon-WM, zu der Ihr nominiert wurdet, ist ja noch auf Oktober verschoben und nicht abgesagt.
Im Moment nutzen wir die Trainingsphase, um weiter an unserer Grundlage und vor allem unseren Schwächen zu arbeiten. Das heißt, wir versuchen muskuläre Dysbalancen mit verstärktem und zielgerichtetem Krafttraining auszugleichen und so langsam kommen auch Tempoläufe wieder regelmäßig ins Trainingsprogramm.
Ja, natürlich ist die Halbmarathon-WM noch im Hinterkopf und wäre ein tolles Highlight im Herbst, aber da müssen wir einfach abwarten, wie die Verantwortlichen entscheiden. Sollte es in Deutschland diesen Sommer oder Herbst noch Bahnwettkämpfe geben, können wir uns gut vorstellen, diese zu nutzen, um nochmal verstärkt auf den Unterdistanzen zu arbeiten und uns dort zu verbessern.
Stichwort „Verbessern“: Im Januar seid Ihr beide persönliche Bestzeit beim Halbmarathon Barcelona gelaufen und habt Euch damit in den erweiterten Kreis der Olympia-Norm-Kandidatinnen im Marathon gelaufen. Wie erklärt Ihr beide Euch die positive Entwicklung?
Ein großer Baustein war sicher, dass wir den Winter hindurch sehr gut trainieren konnten und uns eine gute Grundlage erarbeitet hatten. Im Januar haben wir uns für zwei unterschiedliche Trainingsansätze entschieden: Deborah war mit im Höhentrainingslager in Iten, wo sie mit Fabienne Königstein und weiteren deutschen Langstrecklerinnen Kilometer sammelte, während Rabea in Berlin trainierte. Ihr Fokus lag mehr auf Schnelligkeit.
Barcelona sollte eine erste Standortbestimmung werden und wir beide haben kurz vor dem Rennen gemerkt, dass wir ziemlich fit und auf einem ähnlichen Leistungsniveau waren. Für den Halbmarathon hatten wir uns vorgenommen, gemeinsam loszulaufen, und am Ende zu schauen, wo wir damit jeweils individuell landen. Es sollte ein sehr guter Trainingslauf werden, der sich dann eben als richtig guter Wettkampf entwickelt hat. Während des Rennens hatten wir immer wieder eine größere Gruppe, in der wir mitlaufen konnten. Dass am Ende dann eine 71:37min (Deborah) und 71:40min (Rabea) herauskam, war umso schöner.
Wie seid Ihr mental mit der starken deutschen Konkurrenz in Barcelona umgegangen?
Wir haben versucht, uns auf unseren Rennplan zu konzentrieren. Das ist sicher eine unserer Stärken: im Wettkampf den Fokus bei uns zu behalten, denn das ist das einzige, was wir aktiv beeinflussen können. Hart wird es ohnehin irgendwann für jede Athletin, ganz gleich, ob sie nun vor uns oder hinter uns ist. Aber das ist ja auch das Schöne an den langen Strecken: Es kommt nicht auf jede Sekunde an, sondern bei 10, 21 oder gar 42km bleibt viel mehr Zeit, das Rennen zu gestalten, ohne extrem auf der Hut sein zu müssen, wenn das Tempo mal einen Moment nicht passt.
Mit all den deutschen Mädels in Barcelona am Start zu sein, hat uns eher motiviert. Natürlich ist man im Rennen Konkurrenz, aber beim Laufen ist man doch mehr eine kleine, eingeschworene Truppe aus Leidensgenossinnen. Wir gönnen jeder ihren Erfolg und wenn unser eigenes Rennen selbst gut gelaufen ist, freuen wir uns gemeinsam umso mehr.
Das klingt nach einem sehr ausbalancierten und positiven Mindset. Beschäftigt Ihr Euch viel mit mentalem Training? Du, Rabea, bist ja durch Dein Psychologie-Studium tief im Thema, oder?
Tatsächlich finden wir beide die Sportpsychologie ein extrem spannendes Feld. In dem Kontext hat Rabea auch ihre Bachelor-Thesis verfasst. Und ja, wir versuchen, immer wieder neue Techniken auszuprobieren: Antizipation, Visualisierung, Gedankensteuerung – das Gebiet ist super vielfältig und es gilt,ndividuell für sich herausfinden, welche mentalen Techniken am besten passen. Viele erfolgreiche Athlet/innen setzen auf mentales Training und wir denken, da steckt viel Potenzial drin; vielleicht genau das Quätchen, das im entscheidenden Moment über Erfolg oder Niederlage entscheidet. Gleichzeitig ist das Ganze kein Hexenwerk und wir wollen unsere Erfahrungen gern weitergeben, damit einfach viele (Hobby-)Athlet/innen davon profitieren oder es zumindest ausprobieren.
Rabea, Du studierst aktuell Psychologie im Master. Deborah, Du bist fast mit deinem praktischen Jahr im Medizinstudium in Berlin fertig. Das sind zwei durchaus anspruchsvolle, zeitintensive Studiengänge.
Welche Erfahrungen habt Ihr mit dem Weg der dualen Karriere gemacht und wie bewertet Ihr Eure Situation?
Das ist richtig: Wir leben die duale Karriere. Das haben wir schon immer gemacht: Erst im Schulalltag und dem Modernen Fünfkampf als Leistungssport, jetzt mit Fokus auf dem Laufen und im fortgeschrittenen Studium. Das kann durchaus dazu führen, dass wir gelegentlich für verrückt gehalten werden.
Zum Beispiel, wenn wir morgens um 5:30 Uhr die Laufschuhe schnüren, weil Debbie früh zum Dienst im Krankenhaus muss. Nachmittags gibt es dann meist die zweite Trainingseinheit, wenn’s klappt, jetzt auch hin und wieder in der Gruppe mit der LG Nord Berlin.
Unser Alltag ist zumeist klar durchgetaktet, aber wir sind es so gewohnt und wollen es auch gar nicht anders: Das Studium gibt uns einen komplett neuen Schwerpunkt außerhalb des Sports und anders herum gleicht der Leistungssport den Studienalltag perfekt aus. Gerade in der Corona-Zeit haben wir diese beiden Schwerpunkte sehr zu schätzen gewusst: Das Sportliche ist dabei eher in den Hintergrund gerückt und so konnten wir beide unsere Arbeit an der Uni und im Krankenhaus forcieren. Ohne dieses zweite Standbein wäre unsere finanzielle Situation sicher auch angespannter gewesen. Es gab ja keinerlei Einnahmen durchs Laufen und auch die Fördermittel sind knapp.
Natürlich wäre eine stärkere, unabhängige Unterstützung für uns und alle Athlet/innen, die jeden Tag viel Zeit, Energie und Herzblut ins tägliche Training stecken, wünschenswert. Aber die momentane Situation ist natürlich auch für Sponsoren und Vereine schwierig, da die Zukunft nicht einzuschätzen ist. Und noch haben wir – wahrscheinlich die Laufszene insgesamt – keine ausreichend starke Lobby und Attraktivität für stabile, finanzielle Unterstützung seitens externer Sponsoren.
Umso mehr freuen wir uns über den Support, den wir momentan erhalten und hoffen, dass sich die Kooperationen fortsetzen und weiterentwickeln.
Ihr kommt vom Modernen Fünfkampf, einer unheimlich aufwändigen und vielseitigen Sportart. Wie habt Ihr den Wechsel zum Laufen im Training und Eurem Alltag erlebt?
Wir profitieren auf jeden Fall von der ganzheitlichen physischen Grundausbildung – Ausdauer, Koordination, Konzentration – die wir automatisch durch die Disziplinen des Modernen Fünfkampfs mitbekommen habe. Nicht nur im Kontext der Verletzungsprophylaxe, sondern auch im Training selbst: Zum Beispiel nutzen wir Schwimmen regelmäßig als Alternativeinheit (wenn die Schwimmbäder nicht gerade geschlossen sind). Außerdem sind wir durch die 5 Disziplinen einen hohen Trainingsfleiß gewohnt. Mit dem Wechsel zum Laufen ist unser Trainingsalltag also zeitlich durchaus etwas entspannter geworden als früher. Andererseits hatten wir als Moderne Fünfkämpferinnen zugegeben weniger Wehwehchen. Ob das hauptsächlich an der gesteigerten, punktuellen Laufbelastung oder einfach am Alter liegt (lachen), sei mal dahingestellt. Jede Art von Leistungssport stellt den Körper vor neue Herausforderungen. Das gehört dazu.
Zum Abschluss noch ein kleiner Ausblick von Euch beiden: Mit welcher Perspektive lauft Ihr jetzt durch das Jahr 2020 und in Richtung 2021?
Mittlerweile sehen wir die Verschiebung der großen internationalen Wettkämpfe als Chance für uns. Es bleibt mehr Zeit, um eine solide Basis für unsern Marathon aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln. Natürlich ist die Konkurrenz im Marathon und um die Quali-Plätze für die Olympischen Spiele 2021 stark, aber wir wollen nächstes Jahr angreifen. Was dabei rauskommt, werden wir dann sehen.
Perspektivisch beschäftigen uns dabei natürlich die Fragen, wie der Wettkampfsport in naher und mittelfristiger Zukunft aussehen wird: Wird es Marathons oder allgemein Straßenläufe als Groß-Events überhaupt in absehbarer Zeit geben? Und wie werden mögliche alternative Formate aussehen?
Wir freuen uns auf jeden Fall jetzt schon riesig auf den Moment, wieder mit Adrenalin im Körper an einer Startlinie zu stehen und uns mit anderen Läufer/innen direkt zu messen. Ein erstes Pilotprojekt, das 10k Invitational in Berlin, war auf jeden Fall eine tolle Aktion und positives Zeichen für den Laufsport.
Wir hoffen auf die Wissenschaft, damit das „echte“ Wettkampferlebnis bald wieder ein Teil des neuen normalen Alltags sein kann.
Deborah und Rabea, ganz herzlichen Dank, dass Ihr Euch gleich „doppelt“ Zeit genommen und uns in Euren Alltag mitgenommen habt. Wir wünschen Euch weiterhin viel Erfolg – im Studium wie im Laufen – und sind gespannt, wie Ihr beide Euch weiterentwickelt!
Hier geht’s zum Interview mit Deborah Schöneborn nach ihrem Sieg beim Köln-Marathon 2019