Hendrik Pfeiffer hat sein Ziel beim Doha Marathon 2018 über die halbe Distanz erreicht: „Bin super zufrieden. 64:12min ist nicht weit weg von meiner persönlichen Bestleistung und das ohne spezifische Vorbereitung. Die EM-Qualifikation ist damit eingetütet. Es war eine unglaubliche Erfahrung hier und ich habe lange Zeit sogar das Feld hinter den Kenianern angeführt. Mo Farah hatte Achillessehnenprobleme und ist nicht gestartet. Es war sehr windig und ich konnte einen hochkarätigen Athleten schlagen. Top Start in die Saison!“ Leider können das Arne Gabius und Melina Wolf nicht von sich behaupten, beide mussten das Rennen vorzeitig beenden und erreichten nicht das Ziel. Eine lange Anreise für einen Halbmarathon. Welche Motivation könnte dahinterstecken? Ein Versuch zu verstehen, weshalb das deutsche Lauftrio die Reise nach Katar angetreten hat.
Auf der Startseite des Internetauftritts zum Doha Marathon 2018 laufen alle mit – Mann, Frau und Kind. Es heißt, es sei egal, ob es dein erster oder dein fünfzigster Marathon ist, deine Reise wird unvergesslich bleiben. Es heißt, es sei egal, ob du schnell rennst oder nur fit werden möchtest. Der Doha Marathon bietet für alle Läuferinnen und Läufer etwas. Facebook, YouTube, Twitter und Instagram Buttons zieren den Header der Seite. Eigentlich könnte der Lauf auch in westlichen Metropolen wie Berlin, New York oder London stattfinden beim Blick auf das Feld der Elitestarter. Der vielleicht erfolgreichste Läufer unserer Zeit, Mo Farah, hat zugesagt und posiert mit einer etwas zu großen Basecap in dem auf der Seite verlinkten Instagram-Account vor der Kamera. Fünf Posts später der Hinweis auf dem gleichen Kanal: „Verpasse nicht das aufregende Fußballspiel zwischen Barcelona und Vigo, 23:30 Uhr auf Sender 103 und 411“.
Der Spitzensport scheint schon längst auch im Wüstenstaat angekommen zu sein, drei deutsche Athleten sind dem Ruf des Veranstalters gefolgt. Angeführt von dem Marathonrekordhalter Arne Gabius, dem Newcomer auf dieser Strecke Hendrik Pfeiffer und der Karlsruher Läuferin Melina Wolf stehen auch „unsere“ Athleten an der Startlinie. Katar boomt, die Einwohnerzahl hat sich seit 1950 um über das 50-fache erhöht. [1] Auch der Sport expandiert in Katar, seit Mitte der 2000er finden regelmäßig Weltmeisterschaften nahezu aller Sportarten in dem Land statt, das flächenmäßig gerade einmal halb so groß wie Hessen ist. Diamond-League, Tennistourniere, Fußball-WM und die Leichtathletik-WM, um nur einige Sportgroßveranstaltungen aufzuzählen. Gerade hat der FC Bayern wieder sein schon zur Routine gewordenes Wintertrainingslager unter der Wüstensonne absolviert. Was bringt die Vereine, Veranstalter und Sportler an den Persischen Golf? Katar besitzt eines der größten Bruttoinlandsprodukte pro Kopf weltweit [2] und Ölquellen, die dieses noch viele Jahre aufrechterhalten werden. Katar hat finanziell einiges zu bieten.
Zum Ölquellen bohren sind Arne, Hendrik und Melina nicht nach Doha gekommen, sie möchten Halbmarathon laufen und das möglichst schnell. Es ist eine Strecke, die auch gut in das alltägliche Training eingebaut werden kann, ein Marathon würde deutlich mehr Vorbereitung und vor allem Regeneration nach dem Rennen in Anspruch nehmen. Hendrik ist seit Tagen fleißig am Posten, nach seinem Trainingslager in Kenia schmücken jetzt Selfies mit Mo Farah und der architektonischen Kulisse von Doha sein Profil. „Mein Manager hat für mich diese Startgelegenheit organisiert, so eine Chance will ich mir sicher nicht entgehen lassen“, berichtet uns der Wattenscheider via Facebook. „Vor dem Rennen durfte ich unglaubliche Erfahrungen machen und habe absolute Weltstars wie Mo Farah getroffen. Alles vom Feinsten und eine beeindruckende Skyline.“
In Doha ist aber nicht alles Gold, was glänzt. Mehrere deutsche Nachrichtenmagazine und Zeitungen berichteten bereits in der Vorbereitung zur Fußball-WM 2022 von Sklavenarbeitern, hauptsächlich Inder und Nepalesen schuften auf den riesigen Baustellen, teilweise bis über die Erschöpfung hinaus in den Tod [3]. Auch dessen ist sich Hendrik bewusst: „Das Thema habe ich auch hier aufgegriffen. Direkt beim Herumgehen erinnerte mich hier alles an Las Vegas, also an eine surreale Welt. Alle Leute waren extrem offen und freundlich, aber man muss das einordnen, so etwas ist für 99% der Menschen nicht das echte Leben. Für mich umso interessanter, mir ein eigenes Bild vor Ort zu machen“.
Für die Eliteläufer, die bei dem Doha Marathon teilnehmen, geht es um mehr, als nur um die 21,097km. Diese könnten beinahe genauso gut in den Weiten der Uckermark oder den Asphaltstraßen im Rheintal absolviert werden. Bei Schnee und Eis wird auf das Laufband ausgewichen oder für Arne auch auf die 200m langen Hallenrunde im Sindelfinger Glaspalast. Ein Argument in Doha zu starten ist sicherlich die Lust, etwas Neues zu entdecken: „Insgesamt sind die Leute hier wesentlich offener und besser gelaunt als in Deutschland, liegt wahrscheinlich auch an dem guten Wetter“, witzelt Hendrik, während bei Arne ein Instagram-Follower zu bedenken gibt: „Katar zu Supporten ist meiner Meinung nach keine gute Entscheidung.“ Es stellt sich hier die Frage, wie weit ein Sportler gehen kann oder muss, den Sport über politische und gesellschaftliche Grundfragen hinaus zu stellen. Auch das Trainingslager des FC Bayerns in Katar kommt bei einigen Fans nicht gut an. Ein Athlet, der beim Doha Marathon im Elitelauf über die Halbmarathonstrecke startet, bekommt seinen Flug, sowie einen schönen Hotelaufenthalt bezahlt und darf noch einige Tage Urlaub dort auf Kosten des Veranstalters verbringen. Auch die Siegprämien von über 10 000$ sind nicht unattraktiv, abgesehen davon erhält jeder Athlet noch einen kleinen vierstelligen Betrag an Antrittsprämie. Aber die Läuferinnen und Läufer müssen auch etwas mehr Gegenleistung bieten als nur schneller Beine. Der Veranstalter möchte eine bestimmt Anzahl an Posts in sozialen Netzwerken um Reichweite zu generieren und den Leichtathletik-Fans Katar schmackhafter zu machen. Kein hoher Preis, denn Selbstvermarktung in sozialen Netzwerken ist für die meisten Leichtathleten notwendig geworden, um für Sponsoren attraktiv zu bleiben. In gewisser Weise ist der Doha Marathon so auch ein Sponsor für die Sportler.
Aus finanzieller Sicht könnte der FC Bayern gut auf ein Trainingslager im Nahen Osten verzichten, auch die spanische Sonne ist warm und Fußballplätze gibt es wie Sand in Katar. Bei den Leichtathleten ist das etwas anderes. Wenn sich einem deutschen Läufer die Chance eröffnet, wirklich Geld mit einem Lauf zu verdienen, kann es ihm kaum verübelt werden, diese zu ergreifen. Zweimal täglich Lauftraining, dazu Physiotherapie, Stabilisationstraining und bei Verletzungen noch kaltwarme Fußbäder und Elektrostöße an den Extremitäten. Bist du gut genug, zahlt dir der Verband das alles. Würde man jedoch diese Athleten im Laufbereich mit einer solchen Unterstützung an einer Hand abzählen, müsste vielleicht sogar der ein oder andere Finger daran glauben. Aber auch dem Verband sind die Hände gebunden, schließlich wird dort kein Geld gedruckt, es stammt aus staatlicher Hand.
Alle, die dieses Niveau nicht erreichen, das auch innerhalb der Disziplinen hinsichtlich der internationalen Konkurrenz großen Schwankungen ausgesetzt ist, bleiben im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Selbstmitleid hilft nichts, für Frustessen bietet der filigrane Läuferkörper zu wenig Volumen. An dieser Stelle kommt wieder der Wüstenstaat auf die Bildfläche. Und, um wieder den Vergleich mit dem deutschen Fußballrekordmeister anzuführen, steht bei den Läufern kein Dutzend Länder zur Auswahl, die mit den Geldscheinen winken. Zwar werden auch bei nationalen Straßenläufen Sieg- und Antrittsprämien geboten, jedoch nicht in diesem Umfang und auch nicht an jedem Wochenende. Den Doha Marathon als eine „Laufreise mit extra Taschengeld“ zu bezeichnen, wäre demnach auch eine verkürzte Sichtweise. Schließlich haben es sich die eingeladenen Athleten das Niveau der deutschen bzw. europäischen Spitze über Jahre hinweg hart erarbeitet und es ist ihr gutes Recht, auch finanziell dafür belohnt zu werden. Die gesamte Trainingszeit in einen Stundenlohn umzurechnen würde auch dem letzten Kritiker die Augen öffnen, denn selbst der Doha Marathon macht die Athleten noch lange nicht zu laufenden Ölscheichs.
Aber der Zeigefinger des Moralapostels schwingt nicht zu Unrecht, jedoch sollte sich auch dieser an die eigene Nase fassen. „Katar zu Supporten ist meiner Meinung nach keine gute Entscheidung“, dann lieber zu Fuß als mit dem Auto, das schließlich auch mit Benzin aus den Ölstaaten betankt ist oder die Laufschuhe selbst kleben und nicht von Kinderhänden in Pakistan zusammennähen lassen. Einen wirklichen Unterschied macht es nicht, ob diese Staaten oder ein Industriezweig durch Anwesenheit oder Konsumverhalten unterstützt werden. Nein, man muss die Entwicklung um die Verlagerung des Sports in die Wüstenstaaten nicht gutheißen, genau so, wie die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse dort. Trotzdem schadet es nicht, sich in die Lage der Sportler zu versetzten, die bei einem Start dort ihre Chancen sehen. Spätestens 2019 wird der Großteil der DLV-Nationalmannschaft nach Katar reisen und Hendrik kann dann seinen Mitstreitern Tipps zum Streckenverlauf geben, ebenso wie die besten Plätze für Selfies vor der Skyline.
[1] http://priyadsouza.com/population-of-qatar-by-nationality-in-2017/
[2] http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2017/01/weodata/weorept.aspx
[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article141085837/Die-Katarer-wollen-sich-nicht-bessern.html