Mehr Geld für mehr Medaillen!
Diese Schlagzeile wirft nicht grundlos Kritik auf. Grundlage der Diskussion ist die neue Leistungssportreform mit dem Wunsch nach einer ‚optimierten‘ Spitzensportförderung, über die am 18. Oktober 2016 im Haus des deutschen Sports in Frankfurt am Main debattiert wurde.
Das Neue hierbei einmal in Kürze: „Stärkere Qualifizierung der Leistungssportförderung durch klarere Zielstellungen und besser abgestimmte Kooperationen aller Beteiligten. Mehr Effizienz durch eine stringentere Planung, damit eine bessere Umsetzung durch eine klarere Steuerung und damit auch ein besseres Qualitätsmanagement durch die Spitzenverbände und den DOSB. Bei allen Maßnahmen stehen die in diesem gesamtheitlichen System optimal geförderten Athleten/innen im Fokus.“
mehr Infos dazu hier:
Hierzu dient eine Matrix – das so genannte Potenzialanalysesystem (Potas) –, die 20 Attribute sowie 60 Unterattribute vereint, an denen künftig die Sportförderung pro Sportverband und in insgesamt 130 Disziplingruppen bemessen werden soll. Bislang liegt der Fokus auf lediglich drei fragwürdige Kriterien (Medaillenzahl bei Olympia, Anzahl der Wettbewerbe, Anzahl der Sportler), die weniger die Potenziale eines Athleten einbeziehen. Zudem werde die internationale Chancengleichheit im Kontext von unterschiedlichen Anti-Doping-Regimes nicht ausreichend berücksichtigt. Der Kampf gegen Doping stellt bislang kein Parameter dar. (vgl. Einschätzung des Sportökonomen Eike Emrich im Spiegel)
Aktuell ist die Problematik in aller Munde. Zahlreiche Medien berichten darüber, der Deutschlandfunk lädt sogar am 15.11. zur 6. DLF – Sportkonferenz in Köln ein. Thema: „Aus Geld mach Gold?“
Diese Aussicht wirkt scheinbar wie ein Pseudo-Armstützer für unsere Leistungssportler. Im Grunde genommen ist es aber nur ein geschicktes Wortspiel, der hoffen lässt, aber letztlich ignorant verpufft.
Die deutsche Sportförderung bleibt ihrem knausernden Gemüt treu und profiliert sich nur nach Außen. Potenzieller Erfolg werde honoriert, Aussichtslosigkeit auf Medaillen dagegen ignoriert. Die zuständigen Geldhahn-Dreher sind auf Erfolg aus und nicht bereit, den nötigen Preis dafür zu zahlen.
Raffiniert, sag ich nur. Schließlich könnte ich jetzt auch sagen, sofern ich im Lotto gewinne, kaufe ich dir ein Auto. Letzten Endes wiegen sich die ‚Förderer‘ nur in Sicherheit und haben Angst zu investieren.
Das ist wie auf dem Aktienmarkt: die Leistungskurve steigt, aber kann auch plötzlich fallen. Geduld ist gefragt und geschicktes Investment, damit der Kurs wieder steigt und sich die Anlage rentiert.
Wir haben Unmengen an potentielles Kapital. Sportbegeisterte voller Leidenschaft und Ehrgeiz. Noch… denn derzeit wird die Leidenschaft und die Sinnfrage hart auf die Probe gestellt.
Im Gegensatz zum Aktienmarkt liegt es im Leistungssport dagegen mehr in unserer Hand, wie sich unsere Investitionen letztlich auszahlen. Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun und nicht mit berechenbaren Logarithmen. Natürlich ist selbst im Aktienmarkt nicht alles berechenbar, sonst würde es keine Wirtschaftskrisen geben. Aber genau da liegt die Schnittstelle: Wir jonglieren mit Zahlen und machen an ihnen fest, ob sie erfolgsversprechend sind oder nicht und vergessen im Leistungssport den Menschen mit einzubeziehen. Aber von dieser Menschlichkeit brauchen wir mehr. Genau so wie Verständnis und Rücksicht.
Nicht die Förderer sollten sich in Sicherheit wiegen, sondern die Athleten, damit sie sich gänzlich auf ihren Sport konzentrieren können. Und das verlangt eine angemessene Unterstützung und ein offenes Ohr für die Belange der Athleten – das Recht auf Mitsprache. Dann erst dürfen wir von Erfolgsaussichten sprechen.
Es sollte lukrativ sein, in die Förderung selbst zu investieren, anstatt in den fertigen Erfolg. Erst dann ist es auch für den Nachwuchs lukrativ, sich jenem System hinzugeben.
Und in den fertigen Erfolg zu investieren, ist schließlich auch so nicht möglich. Wenn wir mehr Goldmedaillen um die Hälse legen wollen, müssen wir auch etwas dafür tun. Erst dann sind wir tatsächlich ein authentischer ‚Armstützer‘ und dürfen uns als Anleger zu Recht auf die Schulter klopfen.
Die alleinige Förderung und damit verbunden die Hoffnung auf Medaillen ist natürlich auch ein Punkt, der durch die deutlichen Dopingenthüllungen der letzten Jahre keinesfalls eine Garantie darstellt und einen sehr makaberen Beigeschmack hat. Vielmehr muss die Grundfrage gestellt werden, was ‚wir‘ für den Spitzensport eigentlich leisten wollen und ob es überhaupt möglich ist, selbst mit einer sehr guten Förderung, Spitzenplätze zu erreichen? Max Hartung sagt dazu:
„Ich empfinde bei allen Medaillenforderungen, gerade nach dem Russland-Skandal, einen faden Beigeschmack. In der jetzigen Situation finde ich es unverantwortlich, hohe Medaillenziele zu setzen und damit den Verband, den Verein, alle bis runter zum einzelnen Sportler existentiell unter Druck zu setzen. Zumal wir in Deutschland ganz sicher nicht den Erfolg um jeden Preis wollen, das hat auch unser Bundespräsident beim Empfang der Olympiamannschaft am Römer sehr schön gesagt“ (Dreis (FAZ), 2016)
Insgesamt bleibt dieses Thema enorm komplex und schwierig zu bewerten, geschweige denn einen einfachen Lösungsweg zu präsentieren, weil die Überschneidungen der verschiedenen Themenbereiche enorm sind.
Einen sehr guten Überblick zur aktuellen Diskussion gibt es hier!
Fazit: Die Sportfunktionäre und Athleten sind sich dahingehend einig, dass sich an der bestehenden Sportförderung etwas ändern muss. Problem allerdings, dass die Reform-Ansätze weiterhin leistungsorientiert scheinen und den Athleten außen vor lassen. Was paradox ist, wo doch die Athleten es sind, die die Leistung erbringen müssen. Und dabei gilt es sie zu unterstützen, Potenziale zu FÖRDERN und nicht allein Medaillen zu FORDERN. Eine Unterstützung darf sich nicht an scheinbar lukrativen Zahlenwerten festmachen, sondern bedarf menschliche Zuwendung. Keine messbare Vergleichbarkeit, sondern subjektive Wertschätzung.
Der Athlet muss in den Fokus rücken. Folglich sollte auch er die erste Anlaufstelle sein, wenn Reformierungen vorgenommen werden. Die Athleten wissen nämlich am Besten, woran es fehlt.
weiterführende Infos: