Ultraläufer Florian Neuschwander, alias runwiththeflow, hat sich beim Wings for Life Run 2020 einen starken 4. Platz weltweit erlaufen. Im Team holte er wie in den vergangenen Jahren mit über 23.000 Laufkilometern den globalen Gesamtsieg.
Im Interview gibt Florian Einblicke in sein Training, seine Motivation für immer wieder neue, extreme Herausforderungen und seine langfristigen Ziele.
Florian, am vergangenen Wochenende bist Du beim Wings-for-Life Run nach 63,25km „gecatcht“ worden. Weltweit war das die viertweiteste gelaufene Strecke. Wie hast Du das diesmal komplett virtuelle Rennen vorbereitet und gestaltet?
Ich bin ohne große Vorbereitung, sprich hohe Kilometerumfänge, ins Rennen gestartet. In den letzten Wochen bin ich auf ca. 80 Wochenkilometer im Schnitt gekommen, was für mich echt wenig ist. Aber aktuell macht es, finde ich, keinen Sinn, hohe Umfänge zu trainieren. So halte ich mich die Woche über fit und laufe dann am Wochenende mal alles was geht.
Ich habe vor dem WFL-Run überlegt, dass ein 3:44er-Schnitt realistisch ist. Etwas schneller, also mit einer 3:40er-Pace, bin ich losgelaufen und habe dann versucht, das Tempo möglichst lange zu halten. Das hat insgesamt gut funktioniert, zwischendurch hatte ich zwar über einige Kilometer etwas muskuläre Probleme, aber konnte durchziehen. Die 63,25km entsprechen einem Durchschnittstempo von 3:42min/km. Mit dem Ergebnis und meinem Lauf bin ich voll zufrieden.
Du bist den gesamten Lauf auf einer 2km-Runde in Inzell gelaufen. Als erste Reaktion stellen wir uns natürlich die Frage: Warum?
Das ist meine „Haus-Runde“, auf der ich sonst meine Tempoläufe und Intervalle absolviere. Ich wollte schnell laufen und hier in Inzell gibt es schlicht und einfach keine längere, flache Strecke, auf der das möglich gewesen wäre. Selbst auf der 2km-Runde habe ich auf den gut 63km über 300 positive Höhenmeter gesammelt.
Außerdem war die Organisation für den Lauf dort sehr praktisch: Ich habe einen Camping-Tisch aufgestellt, von dem ich alle 2-3 Runden meine Verpflegung nehmen konnte. Meine Freundin und Tochter waren auch an der Strecke und ein Freund hat mich zwischendurch über den Live-Stand in der App informiert. Mental kann ich auf der Runde sehr gut abschalten und mich fokussieren: Der erste Teil ist minimal ansteigend und meist mit leichtem Gegenwind, der zweite Teil läuft dann mit minimalem Gefälle und Rückenwind leichter. Aber natürlich hatte ich zwischendurch auch Phasen, in denen mir die Runden mental schwerfielen.
Der WFL-Run gehört bei Dir ja mittlerweile fest ins Wettkampfprogramm. Welche Highlights hattes Du 2020 geplant, bevor Corona und die Wettkampfabsagen kamen?
Eigentlich hatte ich für 2020 die 100km fokussiert. Im Winter war ich, auch durch die Vorbereitung für den 50km-Laufband-Weltrekord, schon richtig gut in Form und wollte bei der 100km-DM in Grünheide Ende März starten. Mein Ziel war es dort, die WM-Norm (7:15h) zu knacken und mich für die WM Ende September in Winschoten (NL) zu qualifizieren.
Wie hat die Corona-Krise Deinen (Trainings-)Alltag beeinflusst?
Ich trainiere im Moment eher geringe Umfänge und mehr nach Lust und Laune. Da hat Eure Anti-Corona Running League in an den letzten Wochenenden ganz gut gepasst, weil ich ohnehin den ein oder anderen Solo-Wettkampf rennen wollte.
Meine Freundin arbeitet zurzeit im Home-Office, sodass ich bis nachmittags meist viel Zeit mit unserer Tochter verbringe und mit ihr Unternehmungen mache. Das ist auch eine schöne Möglichkeit, die Corona mit sich bringt.
Ansonsten ist die wettkampffreie Zeit für mich auch Raum, im Training zu experimentieren und neue Dinge auszuprobieren. Oder neue Projekte zu planen.
Noch einmal zum 50km-Laufband-Weltrekord: Wie hast Du Dich speziell darauf vorbereitet und willst Du den Rekord noch einmal angreifen? Mitte April hat sich der Schweizer Matthias Kyburz diesen ja offiziell erlaufen.
Nein, das Thema Laufband-Weltrekord ist für mich erst einmal abgehakt. Das war eine coole Aktion und eine sehr gute Saisonvorbereitung. Aktuell kursiert auch ein Video im Netz, in dem 2 russische Athleten die 50km auf dem Laufband in 2:43h rennen. Das ist 14min schneller als meine Zeit. Ehrlich gesagt, kommt mir die Leistung etwas suspekt vor, aber an diese Zeit komme ich definitiv nicht ran.
Ich hab mich ungefähr 10 Wochen gezielt auf den Weltrekord vorbereitet. In den Wochen habe ich meist 2-3 Einheiten indoor gelaufen, meine Intervalle entweder auf dem Laufband oder im Flachen und noch eine lange Einheit. Das war für mich eine neue Erfahrung, weil ich wirklich viele und lange qualitative Läufe auf dem Band gemacht habe. Ich glaube, ich bin in der Vorbereitung insgesamt 12x 30km in +- 3:30er-Pace auf dem Laufband gerannt. Das Laufbandtraining an sich finde ich durchaus herausfordernd: mental, koordinativ, man schwitzt unheimlich. Aber es hat mir auch einen entsprechend positiven Trainingseffekt gebracht.
Wie planst und steuerst Du Dein Training?
Ich „schreibe“ mir meine Trainingspläne selbst – bzw. habe einen Plan oder eine Idee im Kopf. Wenn ich mich direkt auf ein Saisonziel vorbereite, ist das schon strukturiert, also mit festen Tagen für Intervalle oder lange Läufe. Ansonsten trainiere ich aber gern und viel „Freestyle“. Ich habe ein ganz gutes Gefühl für meinen Körper und meine Form und natürlich mittlerweile auch entsprechend viele Jahre Erfahrung, auf die ich zurückgreifen kann: Wenn ich mich an einem Tag richtig gut fühle, dann renne ich spontan eben richtig schnell. Genauso nehme ich mir aber auch Pausen, wenn ich mich nicht fühle oder habe Geduld, wenn ich verletzt bin.
Du hattest vergangenen Spätsommer und Herbst eine längere Verletzungspause, richtig?
Ja, ich war in der Vorbereitung auf den OCC (Trail-Lauf über 56km am Mount-Blanc) und bin bei einem längeren Trail-Training bergab unglücklich umgeknickt. Mit dickem Knöchel und Verdacht auf Bandan-/-abriss habe ich erst einige Tage pausiert und dann nach ärztlicher Rücksprache sukzessiv das Radtraining gestartet. Von Ende September bis in den Januar hinein habe ich so viele Radkilometer auf dem MTB oder Rennrad gemacht, wie noch nie. Mit dem Lauftraining habe ich erst im November wieder vorsichtig und auch anfangs noch mit Schiene zur Unterstützung des Fußgelenks begonnen. Jetzt ist die Verletzung wieder völlig ausgeheilt und ich denke, dass ich auch jetzt noch von dem umfangreichen Grundlagentraining auf dem Rad profitiere.
Du bist ja ein Athlet, der immer wieder neue, verrückte Projekte startet. Was motiviert Dich und in welche Richtung willst Du Dich langfristig entwickeln?
Ja, das stimmt. Mich reizen extreme Herausforderungen und es macht mir einfach Bock, ans Limit zu gehen.
Vor allem extrem lange Distanzen finde ich sehr spannend und sehe da bei mir auch noch Potenzial. Bisher konnte ich das im Wettkampf noch nicht richtig zeigen. Der Deutsche Rekord über 100km ist zum Beispiel eine Marke, die ich angreifen will. Langfristig möchte ich vor allem bei den Utratrails gut performen.
Das war auch ein Grund für mich und meine Familie, nach Inzell zu ziehen. Die Berge und auch technisch anspruchsvolle Trails sind hier direkt vor der Haustür. Die Gewöhnung an das neue Terrain und die Belastungen für den Körper wird sicher noch etwas dauern. Das ist für mich auch learning-by-doing, aber eben auch reizvoll und macht das Training abwechslungsreich und spannend!
Florian, vielen Dank für das offene und sehr unterhaltsame Interview.
Wir sind gespannt, was Du als nächstes Projekt planst!