Meine Geschichte beginnt im Jahr 2015. Irgendwie bin ich damals allmählich auf die schiefe Bahn geraten. Wobei der Ausdruck von einer schiefen Bahn in diesem Fall vielleicht ein etwas verzerrtes Bild erzeugen dürfte.
Denn auf einer Bahn spielt sich das wahre Leben für mich schon lange nicht mehr ab. Viel mehr im Staub der Stadtviertel, auf dem Asphalt der Hauptverkehrsstraßen, den langen Geraden, die sich zwischen Hochhäusern und Bürogebäuden der großen deutschen Metropolen hindurchziehen. Dort bin ich zuhause. Dort wo es dreckig ist, laut, wo es stinkt, wo sich das Ruß der Abgase in deinen Lungen ablagert.
Das erste Mal habe ich mir so meinen Weg durch Düsseldorf gebahnt. Im besagten Jahr 2015: Es war die Deutsche Meisterschaft über 10 Kilometer. Eigentlich kein schlechtes Pflaster, der Kurs rund um die Kö. Wobei man im Vorbeilaufen die Umgebung sowieso nur verschwommen wahrnimmt.
Ich hatte mich schnell mit diesem Gefühl angefreundet. Was für andere der Hölle auf Erden gleicht, war für mich nie eine Zumutung: Platzangst beim Start, gemischte Rennen, Frauen und Männer, Wannen mit Wasser für Schwämme, Schilder mit Kilometermarken, Absperrungen aus Metall, Champion-Chips aus Plastik.
Freilich bin ich auch regelmäßig zurückgekehrt, auf den sicheren Rundkurs der Stadien. Hier habe ich weiterhin unter den Augen von Zuschauern auf den Rängen meine Kreise gezogen. Mal eher mit bescheidenem, hin und wieder mit erfreulichem Ausgang. Aber immer getrieben von der Sehnsucht, bald wieder auf die Straße zurückzukehren. Irgendwie hat es mich süchtig gemacht, irgendwie wollte ich mehr davon. Aber ich bin kurzzeitig gescheitert.
Im Sommer letzten Jahres bin ich als Krönung des Ganzen in einer Klinik gelandet. Dort hat man versucht, mir mit einer OP aus dem Schlamassel zu helfen. Und man konnte mir helfen. Schrauben und Metall stecken jetzt in meinem Bein. Das Zeug war meine Rettung. Doch sie kam trotz allem zu spät.
Denn als man mich entlassen hat, war es Herbst. Die Stadien, die Tartanbahnen, alle waren sie verwaist. Nirgendwo herrschte noch reges Treiben, keine Zuschauer saßen mehr auf den Rängen. Niemand interessierte sich mehr für 400-Meter-Runden im Kreis. Alle hatte es längst raus auf die Straße gezogen. Und so kehrte auch ich fast schon gezwungenermaßen dorthin zurück.
Es war September, ich lief 10 Kilometer in Bad Liebenzell und es war sofort wieder da, dieses lang ersehnte Gefühl. Ich genieße das Laufen auf der Straße, ich bin ein Straßenkind.
Doch ich stand vor dem Nichts. Ich hatte eine komplette Saison verpasst. Es war, als käme ich frisch aus dem Winterschlaf, voller Energie, die ich jetzt irgendwie unter Beweis stellen wollte. Ich war zu lange auf Entzug gewesen.
Umso dringender wollte ich wieder dabei sein. Die Gerüche, die Geräusche, die manchmal unendlich erscheinenden Geraden auf dem Asphalt, das alles hatte ich lang entbehrt. Klar, die Stadien, die Tartanbahnen auch – aber das interessierte zu diesem Zeitpunkt im Jahr niemanden mehr (und mich am wenigsten, wenn ich ehrlich bin).
Ich habe also den Versuch gestartet, doch noch irgendetwas aus der Saison zu machen. Ich bin einfach bis zum bitteren Ende auf der Straße geblieben. Bis zum 29. Oktober um genau zu sein, bis zum Frankfurt Marathon. In diesem Fall lief ich hier aber schon fast nicht mehr auf Asphalt, es war eigentlich mehr Glatteis, oder die Schneide eines Messers, was auch immer – es war ein Risiko. Marathon laufen ist ein Risiko. Den ersten Marathon laufen ist das Maximal-Risiko.
Und ich hätte so wunderbar scheitern können.
Letzten Endes ist auch wie zu erwarten eine Menge schief gegangen, aber ich habe meinen ersten Marathon trotz allem ins Ziel gebracht. Mit Ach und Krach. Und mit EM-Norm. Und seitdem reift der Traum in mir, in Berlin 2018 an den Start zu gehen.
Daran ist aber kein DLV, keine Kaderzugehörigkeit, einfach nichts und niemand Schuld, der mich dazu getrieben hat. Ich war schon vorher Straßenkind und ich werde für immer eins bleiben.
Was ich damit sagen will? Vor gut einer Woche haben wir hier auf larasch.de einen Text von Sebastian Reinwand gelesen, der sich sehr kritisch zur Kaderpolitik des DLV positioniert hat.
Es wurde festgestellt, dass immer mehr junge Athleten die Marathon-Norm für Berlin 2018 ins Auge fassen, da diese scheinbar „leicht“ zu erreichen ist. Gleichzeitig beweisen der Aussage des Textes nach die Marathonkader bzw. ihre Angehörigen, dass nicht mehr Leistung und internationale Konkurrenzfähigkeit sondern andere, teils unverständliche Kriterien zur Nominierung herangezogen werden.
Dass einige Leute nicht mehr Mitglied des DLV-Kaders sind, die dort eindeutig hineingehören, steht auf einem anderen Blatt Papier und dem möchte ich auch gar nicht widersprechen. Ich kann allerdings aus meiner, subjektiven, Kaderzugehörigen-Perspektive sagen, dass ich dennoch etwas irritiert bin:
Der Coach Sebastian Reinwand ermahnt mich/uns junge Marathon-Aspiranten dazu , unsere „Hausaufgaben“ auf der Bahn zu erledigen.
In Straßenkind-Manier könnte ich nun patzig entgegnen: Wer macht denn heute bitte noch seine Hausaufgaben?
Da ich mich aber zumindest bemühe, nach außen hin eine gute Schülerin abzugeben, kann ich ohne schlechtes Gewissen sagen, dass ich und auch die meisten derjenigen, die als „Zu-früh-Einsteiger“ ins Marathongeschäft dargestellt wurden, immer noch regelmäßig an der Bahn für Rennen zwischen 5 000 und 10 000m anzutreffen waren/sind.
Ich wähle in diesem Zusammenhang absichtlich die Formulierung, „die Schülerin bemüht sich“, denn erstens schlägt mein Herz, wie bereits geschildert, schon lang nur noch für den Aspahlt und zweitens war ich, wie bereits geschildert, im vergangenen Jahr erst dann wieder in einem lauffähigen Zustand, als die Bahnsaison längst zu Ende war.
Die letzten, relevanten 10 000m-Rennen unter drückender Sonnenhitze habe ich noch mit Krücken verfolgt und hätte man mich nach meiner Rehabilitation in ein solches Rennen gesteckt, hätte ich aufgrund der verlorengegangenen Schnelligkeitsausdauer, die sich im Vergleich zur reinen Ausdauer nicht auf so kurze Zeit wieder zurückgewinnen lässt, enorm alt ausgesehen.
Ich persönlich bin im vergangenen Herbst nicht Marathon gelaufen, weil mir das mein DLV-Kaderstatus angezeigt hat. Ich bin Marathon gelaufen, weil ich noch eine ansprechende Leistung in 2017 bringen wollte. Ich wollte einfach ein Lebenszeichen senden. Und den Ernstfall proben.
Denn der ist in drei Wochen in Düsseldorf. Ich kehre also quasi an meine älteste Wirkungsstätte von 2015 zurück. Hier möchte ich jetzt das zweite Mal an der Kö und das zweite Mal im Marathon an den Start gehen. Ich will dann weniger Fehler machen als im vergangenen Herbst. Was nicht heißt, dass ich keine Fehler machen werde. Ich muss Marathon lernen, denn das geht nicht von heute auf morgen.
Ich habe mir sagen lassen: Marathonläufer werden, braucht Zeit. Und die nehme ich mir, indem ich jetzt damit anfange. Ein paar Jahre habe ich wohl vor mir. Ob es dann dieses Jahr mit der EM klappt, oder vielleicht erst später, wird sich zeigen.
Und last but not least: Das alles heißt nicht, dass ich deswegen nicht weiter an meiner Unterdistanz arbeite.
Es ist mit Sicherheit richtig und wichtig, gerade in jungen Jahren auch die „kürzeren“ Langstrecken zu trainieren, (die von mir ungeliebten) Bahnwettkämpfe zu absolvieren und sich – zumindest – mit der nationalen Konkurrenz zu messen (mehr wäre bei mir auch ohnehin nicht drin). Ein Marathontraining bedeutet aber nicht gezwungenermaßen, dass man langsam wird.
Nur andersherum wird leider kein Schuh draus: Aus einem reinen Mittel- bzw. Langstreckentraining heraus ist noch niemand (zumindest niemand, der mir bekannt ist) ambitioniert und erfolgreich einen ansprechenden Marathon gelaufen.