Ich befinde mich in einem Dilemma. Ursprünglich war ich nämlich fest entschlossen, hier nicht mehr über meine Verletzungsmisere zu schreiben. Das hat schließlich noch nicht mal wirklich was mit Sport zu tun.
Gut, irgendwie gehören Verletzungen und Trainingsausfälle zum Leistungssport dazu. Aber sie sind ja schon per Definition kein Sport, sondern genau das Gegenteil. Da sind Geschichten über und von gesunden und fitten Athleten deutlich spannender.
Andererseits haben mich mit den Glückwünschen für meine Operation aufgrund eines Wadenbeinbruchs (an dieser Stelle natürlich nochmals ein großes Dankeschön an all diejenigen) gleichzeitig eine Menge Anfragen erreicht, ob ich nicht darüber berichten könne, wie alles so abgelaufen wäre im Krankenhaus.
Was also tun? Eigentlich wäre ich für Klappe halten und aufhören, mit meiner unendlichen Geschichte auf dem Weg zurück in den Sport weiterhin für bedrückte Stimmung zu sorgen. Ich habe mir aber stattdessen einen Kompromiss ausgedacht: Ich werde über die Geschehnisse schreiben, aber mit einem Augenzwinkern. Es soll sich ja niemand Sorgen machen, ich könnte irgendwann in Depressionen verfallen. Würde hier Gefahr bestehen, hätte es schon vor Wochen so weit sein müssen.
Erfreuen wir uns also sowohl an meiner derzeit recht stabilen psychischen Verfassung und den kommenden drei Texten, die ich unter dem Titel „Franzis OP-ABC“ zusammengefasst habe. Hier könnt ihr lesen, was mir in meiner Zeit im Krankenhaus so alles widerfahren ist – viel Spaß!
A wie Arzt
So vielzählig wie sie im Krankenhaus vertreten sind, so unterschiedlich fallen auch die Meinungen der Vertreter jener Spezies aus. Man darf daher nicht allem, was einer von ihnen sagt, sofort Glauben schenken. „Wann kann ich nach Hause?“, wurde mir wenige Stunden nach der OP noch von einem jüngeren Exemplar mit „Frühestens in drei Tagen!“ beantwortet. „Sie wollen morgen schon gehen? Völlig ausgeschlossen!“ Das Chef-Exemplar, das sich dann kurz vor Feierabend noch höchstpersönlich ein Bild von mir machen wollte, hatte da ganz andere Ansichten – und sich damit glücklicherweise im Recht befunden: Keine 24 Stunden nach unserem Gespräch war ich wieder auf freiem Fuß. Auch wenn „freier Fuß“ nach einer Operation des Wadenbeins eher relativ ist.
B wie Bad
War mein Krankenzimmer auch noch so klein und kompakt gehalten. Das Bad war dagegen so weitläufig geschnitten, dass wohl das ein oder andere Fünfsterne-Hotel nicht mithalten könnte: Eine Toilette mit XXL-Beinfreiheit, ein Waschbecken-Tisch, ein Ganzkörperspiegel…. Schade, dass ich das Highlight, die riesengroße Komfort-Dusche mit integrierter Sitzgelegenheit aufgrund meines operierten Beines gar nicht nutzen durfte. Nach der OP hieß es nämlich: Duschverbot und als Ersatz höchstens Katzenwäsche mit einem feuchten Waschlappen. Das entsprach dann leider doch nicht mehr ganz einem Fünfsterne-Luxus.
C wie Chirurg
Chirurgen sind eine besondere Kategorie der Spezies Arzt. Sie sind die Bastler, die Kreativen, müssen sich aber nicht nur überlegen, wie man am Menschen herumschrauben kann. Sie sind nämlich genauso auch die Praktiker, die nach ausgereiftem Plan mit dem Werkzeug zur Tat schreiten. Für mich klingt es merkwürdig, wenn nicht sogar ein bisschen makaber, dass unter meiner Haut nun ein Stück Metall mit ein paar Schrauben am Knochen befestigt ist. Aber ich habe vom Chef-Chirurgen höchstpersönlich das Versprechen, damit später wieder laufen zu können – und zwar schnell laufen. Ich habe also erneut festgestellt, dass Chirurgen scheinbar diejenigen Exemplare der Kategorie aus Buchstabe A sind, der man am meisten Glauben schenken sollte.
D wie Drainage
Mindestens so sonderbar wie der Gedanke, einen Fremdkörper in sich zu tragen, fühlt sich eine Wund-Drainage an. Das ist ein Ableitungssystem mit Behälter für Blut und Wundsekret. Vielleicht wisst ihr das ja alle schon. Ich hatte davon allerdings zuvor noch nie etwas gehört, bis ein solches Ding nach dem Erwachen aus der Narkose aus dem frischen Verband herausbaumelte. Kein schöner Anblick und auch kein großer Tragekomfort. Ich war deswegen eigentlich heilfroh, dass mir die Drainage gleich am Tag nach er Operation entfernt werden sollte. Angenehm war diese Prozedur aber trotzdem ganz und gar nicht: Ich hatte mich demonstrativ vom Stationsarzt weggedreht. Zuschauen wollte ich auf keinen Fall. „So, jetzt husten Sie mal, Frau Reng“ „Ist das jetzt Ablenkung?“ „HUSTEN!“ „Sie wollen mich doch ver…“ Weiter kam ich nicht. An meinem Bein machte es einen Ruck, dann gab es ein brennendes Gefühl. Pah, als ob ich auf solche müden Tricks reinfallen würde! „Sie sind ganz schön hartnäckig“, murmelte der Arzt. War er mir jetzt beleidigt? Er sollte diesen Satz jedenfalls in wenigen Stunden noch einmal wiederholen.
E wie Entlassung
Mein schönster Krankenhaus-Moment? Natürlich der, an dem ich es endlich wieder verlassen durfte. Vorher bekam der Krankenpfleger, der mich für abschließende Röntgen-Aufnahmen abholen sollte, aber noch einen kleinen Schock verpasst: In meinem Krankenbett lag nämlich plötzlich nicht mehr ein schmales blondes Mädchen, sondern ein zwei Meter großer Mann mit dunklen Haaren. Ich hatte meine Ruhestätte kurzerhand an meinen Bruder ausgeliehen, den ich als Abhol-Taxi engagiert hatte. Und vor der langen Weiterfahrt sollte er sich natürlich noch ein wenig ausruhen. Ich habe ihm zur Stärkung sogar mein letztes deliziöses Krankenhaus-Abendessen angeboten, das wie immer pünktlich zur besten Abendessenszeit (um 16:30 Uhr) serviert wurde. Er lehnte diese großzügige Geste dankend ab. Aber umso besser: So kamen wir wenigstens schneller hier raus. Vom Stationsarzt verlangte ich sofort Entlassungspapiere, Schmerzmittel und Thrombosespritzen für die kommenden Tage. „Sofort“, seufzte er, „Sie sind ganz schön hartnäckig!“
F wie Farbe
Als der Verband um meine OP-Wunde das erste Mal geöffnet wurde, bekam ich einen Riesen-Schreck: Warum um Himmels Willen war mein Bein gelb? Das Entsetzen stand mir scheinbar ins Gesicht geschrieben, denn sofort meinte die Schwester beschwichtigend: „Das ist nur OP-Farbe, die geht beim Duschen wieder weg“. Das war allerdings leichter gesagt als getan, denn duschen durfte ich das Bein ja vier Tage lang überhaupt nicht. Bis dahin wurden mir ständig neugierige Fragen von „Ist das Gelbsucht?“ bis „Hast du Durchblutungsstörungen?“ gestellt. Beides wäre blöd gewesen, die Wahrheit klang allerdings auch nicht besser: „Ne, ich hab mich einfach schon seit Tagen nicht mehr gewaschen.“
G wie Glocke
Für mich war das Läuten der Schwesternglocke ein Zeichen von absoluter Verzweiflung und Selbstaufgabe. Deswegen habe ich es lieber gar nicht so weit kommen lassen und stattdessen – zugegebenermaßen relativ ungeschickte – Versuche gestartet, mich von Beginn an ohne Hilfe selbst zu mobilisieren. Ich glaube, das liegt einfach in der Natur eines Leistungssportlers, alles alleine schaffen zu wollen. Für meinen ersten Toilettengang habe ich zwar mehr als eine halbe Stunde gebraucht, dadurch aber am eigenen Leibe zu spüren bekommen: Es gibt Situationen im Leben, da feiert man selbst das Erledigen seines Geschäfts wie ein Fest.
H wie Hemdchen
Für eine Operation muss man brav Netzhöschen und OP-Hemdchen tragen. So weit so gut, das war mir bewusst. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass ich die darauffolgenden Stunden nicht in der Lage sein würde, dieses Outfit zu wechseln. Und so verschwendete ich den ganzen Tag nicht mal einen Gedanken daran, dass ich ja noch immer diese fragwürdigen Kleidungsstücke trug. Bis mein zweites Abendessen in Form einer Bestell-Pizza vom Lieferboten gebracht wurde. Denn sobald jemand, der nicht dem schneeweißen Krankenhaus-Kosmos zugerechnet werden kann, das Zimmer betritt, wird man sofort zurück in die Realität gebeamt – und fühlt sich wie in Strampelanzug und Windeln.
Gute Besserung, liebe Franzi!