Nachdem ich Hendrik Pfeiffers Pacemaker – den U23-Europameister über 1.500m Marius Probst – beim Köln Marathon meine Garmin geliehen hatte und diese sich bislang noch nicht wieder in meinem Besitz befindet, musste ich mir einen anderen Taktgeber suchen.
So entschied ich mich für den Deutschen Meister im Halbmarathon Philipp Baar, der als mobiles Uhrwerk das Tempo vorgab und mich über die 10km in Berlin pacte.
Zwangsläufig hat sich so mal wieder eine spannende Story ergeben, denn die rasende Reporterin hatte bislang noch nicht die Gunst, von einem Pacemaker gejagt zu werden.
Normalerweise aber besteht die Hauptaufgabe darin, nicht eine neue Bestzeit herauszukitzeln, sondern ein abgesprochenes Tempo leichter einhalten zu können. So braucht man sich als Läufer darüber weniger Gedanken machen und kann sich auf andere Dinge konzentrieren – z.B. die Strecke und die Augen müssen nicht ständig aufs Handgelenk schielen.
Dementsprechend fragte mich Philipp auch, nachdem ich ihn einfach spontan anschrieb und um pacenden Support bat, wie schnell ich denn laufen möchte?
Gute Frage…
Die Grundinformation also – welches Tempo? – konnte ich ihm schon mal nicht geben. Bis dato bin ich eigentlich jedes Rennen ohne eine geplante Pace angegangen. Ich mache mir grundsätzlich nie unnötig Druck und lass es einfach auf mich zukommen. Zwar orientiert man sich während des Rennens schon an seiner Laufuhr und versucht eine gewisse Geschwindigkeit zu halten, aber nicht zwanghaft. Ich lass es lieber rollen und die Beine erledigen meistens schon den Rest. Glücklicherweise habe ich ein gutes Gefühl für meinen Körper und der Geschwindigkeit, sodass es bisher eigentlich recht gut lief und in letzter Zeit auch häufiger mit neuer Bestzeit ausging.
Aber was sag ich Philipp?
Ich ging das Ganze einfach mathematisch an: Ich schaute auf meine letzten Wettkämpfe und zog einen Mittelwert aus meiner aktuellen Bestzeit über fünf und über zehn Kilometer = 3:55min/km. Damit hatte Philipp also einen Richtwert und ich bat ihn, entsprechend am Tempo zu drehen, wenn er merkt, da geht noch was.
„Gut, dann versuchen wir mal eine sub39!“
Meine alte Bestzeit lag bei 39:30 Minuten (gelaufen in Chemnitz). Das hieße also mindestens 31 Sekunden schneller als noch vor wenigen Wochen.
Ambitioniert…
Aber man sprach mir Mut zu, denn Berlin und besonders auch der 10km Lauf im Rahmen des Great 10k sei ein schnelles Pflaster. Darüber hinaus war ich mir der Vorteile eines Pacemakers als solches gar nicht wirklich bewusst…
Windschatten-laufen
Allerdings mag ich es grundsätzlich nicht, mich direkt hinter einen Läufer zu hängen und gefühlt in jedem Augenblick in dessen Fersen zu stolpern. Außerdem kommt dann unmittelbar der Drang auf, überholen zu müssen bzw. mein Läufer-Ego denkt, „da ist wer schneller als ich“ und ich stresse mich selbst! Normalerweise überhole ich dann oder lass denjenigen ziehen. Aber sich bewusst hinten anstellen? Das verknüpfen meine Synapsen irgendwie noch falsch.
Also hielt ich mich während etwaiger Windschübe (besonders auf der zweiten Hälfte) dezent schräg hinter Philipp und gab mich somit mit einer 50%-igen Obhut zufrieden. Außerdem sollte ja nicht in mir der Jagdinstinkt hochkommen, sondern ich wollte diejenige sein, die gejagt und zu neuen Bestzeit gepusht wird.
Philipp vergewisserte sich zwar immer mal wieder, ob ich hinter ihm war aber auch er stellte schnell fest, dass ich mich lieber an seine Seite heftete.
Ein Pacemaker ist vorausschauend
Zwei Augen mehr sind immer gut. Und wenn diese noch eine Etage höher angebracht sind – und nicht wie bei mir kleines Wesen im EG – ist das natürlich umso besser. So warnte mich Philipp vor waghalsigen Gradwendungen, potentiellen Stolperfallen und zeigte mir zwischendurch passende Lücken auf. Somit wird man nicht plötzlich ausgebremst und verliert wertvolle Sekunden bzw. Kraft beim erneuten Beschleunigen.
Besonders im Tiergarten (enge Kurven, unebenes Pflaster) bahnte er mir meinen Weg und es ging auf die letzten vier Kilometer.
„Jetzt machen wir kurz ruhiger und die letzten zwei Kilometer geben wir noch mal Gas.“
Ruhiger? Während Kilometer sieben versuchte Philipp – wie er mir im Nachhinein erzählte – etwas Zeit gut zu machen, die wir im Tiergarten eingebüßt hatten. Deshalb musste ich während seiner Kampfansage für die letzten zwei Kilometer schlucken, denn zu dem Zeitpunkt fühlte es sich schon schneller an und es fiel mir schwerer, die Pace zu halten – blieb aber dran.
„Übernimm dich nicht!“
Meine Mutter hatte die Befürchtung, dass ich mich an der Seite eines Deutschen Meisters völlig übernehme und über meine Grenzen gehe. Vielleicht war auch sie sich meines Läufer-Egos bewusst…
Tatsächlich aber meinte ich zu Philipp, dass ich gegen Ende nur schwer noch eine Schippe drauf legen können würde und froh bin, wenn ich dieses Tempo überhaupt bis ins Ziel halte.
Aber wie gesagt, zu dem Zeitpunkt waren wir bei jenem kurzweiligen Aufhol-Manöver, der mich etwas in die Irre führte und glauben ließ, dass es so bis zum Ende weiter geht.
Schließlich pendelten wir uns wieder auf meine Durchschnittspace 3:50min/km) ein, sodass mich Philipp gegen Ende noch einmal geschickt triezen konnte:
„Siehst du das Mädel mit den blonden Haaren vor dir? In den nächsten zwei Kilometern versuchen wir sie langsam einzuholen.“
Schlauer Junge, denn so etwas zieht bei mir eigentlich immer und das hitzige Jagdfieber wurde erneut geweckt.
So näherten wir uns kontinuierlichem dem blondem Zopf, der wild hin und her schlug. Gleichzeitig war ich auch gut abgelenkt und plötzlich befanden wir uns auf dem letzten Kilometer.
Mittlerweile hatte ich den pendelten Zopf hinter und noch 600m vor mir.
„Jetzt darf es ruhig weh tun! Dort ist das Ziel: sprinten!“
Also ich bin ja kein Timo Benitz und grundsätzlich fehlt es an Explosivkraft, die sich dann bestimmt auch nicht nach neun Kilometern in 3:50er-Pace entfachen lässt…
Zwei drei Km/h kitzelte ich noch heraus, aber mehr war nicht drin.
Die Zeit stoppte schließlich bei 38:53 Minuten und es reichte für den 22. Platz insgesamt unter den Frauen.
Ich fiel Philipp nur überglücklich in die Arme. Was war denn da bitte wieder passiert? Gefühlt hätte ich noch weiterlaufen können. Das allerdings rechtfertigt nicht den fehlenden Endspurt!
„Ramona, du musst mal aus dir herauskommen!“
Das sagt mein Bruder als ehemaliger Sprinter, der sich auf den Punkt abschießen kann. Ich aber nicht!
Ich gebe aber zu, dass ich mich häufig noch in meiner Komfortzone in Sicherheit wiege, einfach auch, um zu wissen, dass ich es ins Ziel schaffe und nicht unterwegs einbreche. Wobei es ja schon im Training anfängt, wenn ich Intervalle laufen soll und diese lieber bewusst umgehe. Um ehrlich zu sein, habe ich in diesem Jahr vielleicht maximal fünf Tempoeinheiten abgespult. Dafür war ich häufiger im Wasser.
Da geht noch was…
Ich konnte meine Mutter im Anschluss also beruhigen, dass ich mich nicht übenommen habe. Wobei der wohl ausschlaggebendere Grund Philipp war.
Die ungewohnt schnelle Pace lief meiner Meinung nach nur gut, weil er in gewisser Weise Ruhe ins Gefecht brachte. Vielleicht gab mir das genug Sicherheit, sodass ich die Komfortzone stückweit mehr verlassen konnte. Vielleicht war ich aber auch dank meines Pacemakers extra motiviert und das besagte Ego konnte und wollte nicht nachgeben, sondern die Pace halten. Außerdem, wenn die sub39 ab der Hälfte in realistische Reichweite rückt, überlegt man sich zwei Mal, dem Schmerz nachzugeben oder nicht.
In jedem Fall war das Rennen für mich ein voller Erfolg und natürlich auch eine besondere Erfahrung, mit einem Pacemaker zu laufen, der zuletzt die zweitschnellste Frau beim Berlin Marathon pacte.
In diesem Sinne: Es war mir eine Ehre!