Larasch: Wir wollen gern mit einem Blick zurück ins Jahr 2018 starten. Die Teilnahme bei der EM in Berlin über die Marathondistanz war wahrscheinlich dein bisher größter Erfolg. Wie denkst du heute über das Erlebnis, was war für dich das Besondere bei diesem Wettkampf?
Philipp Baar: Ich sehe dieses Rennen etwas zwiegespalten. Auf der einen Seite war es eine wirklich tolle Erfahrung. Die Stimmung im Team, an der Strecke, natürlich auch vor allem vor dem Hintergrund, dass Berlin mittlerweile meine Wahlheimat ist. Es war sicher der Höhepunkt zwei so ziemlich perfekt verlaufenen Jahren 2017 und 2018. Sportlich gesehen betrachte ich das Rennen jedoch in Retrospektive etwas nüchterner, da ich gern etwas schneller gelaufen und etwas weiter vorn gelandet wäre.
Larasch: Trotzdem hast du sicherlich aus diesem Lauf eine Menge Motivation geschöpft, wie verliefen die ersten Monate danach?
Philipp Baar: Die ersten Monate danach waren vor allem von einer Laufpause geprägt. Ich habe nach der Europameisterschaft fast zwei Monate kein strukturiertes Training gemacht, da mich die beiden Marathons in 2018, welche meine ersten Marathons waren, sowohl mental als auch körperlich extrem anstrengend waren und ich danach erstmal Luft holen musste.
Larasch: Gleichzeitig gab es im Herbst schon die ersten Gespräche für die Gründung des SCC Pro Teams. Kannst du uns rückwirkend einen kleinen Einblick in den Prozess gewähren? Wann hast du das erste Mal davon gehört?
Philipp Baar: Die ersten Gespräche dazu wurden nach der EM geführt. Gerüchte dazu gab es schon länger, aber das war mehr Spekulation alles andere. Mir wurde dann das Konzept mit allen involvierten Parteien vorgestellt, welches ich sehr ansprechend fand. Vor allem die Profesionalierung meiner Situation war mir wichtig. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich meine beiden Marathons parallel zu einer Vollzeitstelle vorbereitet, was nicht immer leicht war. Durch die Unterstützung der SCC Events, sowie meinem Ausrüster Adidas ist es mir heute möglich, den Fokus auf das Marathonlaufen zu legen.
Larasch: Warst du sehr überrascht, wie das Setting des Teams aussah?
Philipp Baar: Ich selbst war gemeinsam mit Lisa Hahner das erste Mitglied. Lisa und ich haben uns das erste Mal im Sommer in Berlin gesehen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Ahnung, wer noch alles ins Team aufgenommen werden würde.
Larasch: Wann habt ihr das erste Mal so richtig gemeinsam in der Gruppe trainiert, wann wurden die ersten Trainingspläne geschrieben und nach welchen grundlegenden Prinzipien wird trainiert?
Philipp Baar: Mein Training fing im Oktober 2018 an. Anfangs war es jedoch noch sehr unspezifisch und galt dazu mich erstmal wieder ans Laufen zu gewöhnen. Als Team haben wir das erste Mal in Neuseeland trainiert. Mittlerweile war das Team nun schon etwas gewachsen und ich konnte mit Fabian Clarkson, dem zweiten männlichen Mitglied des Teams, sowohl internationalen Trainingspartnern wie Valentin Pfeil aus Österreich und Ikegami Hideyuki aus Japan tranieren. Im Training erfinden wir das Rad nicht neu und halten uns an eine simple Struktur. Wie viele andere Marathonis legen wir grossen Wert auf den wöchentlichen langen Dauerlauf, aber natürlich auch lange und kurze Intervalle, Fahrtspiele und nutzen häufig das Profil des Grunewalds zum Kraftgewinn.
Larasch: Die Teamzusammenstellung ist sehr breit und beginnt bei 3000 Meter Hindernis bis zum Marathon. Besteht die Gefahr, dass zu sehr von allem trainiert wird?
Philipp Baar: Die Gruppe besteht zur Hälfte aus Marathonis und Hindernisläufern. Somit muss niemand allein trainieren, da wir bei spezifischem Training natürlich jeweils andere Inhalte trainieren. Allgemeines Training wie Dauerläufe, Kraft, Yoga, Stabilitätstraining usw. machen wir jedoch häufig gemeinsam. In Vorbereitungsphasen trainieren wir sehr viel gemeinsam, in spezifischen Phasen dann auch teilweise etwas weniger und mehr innerhalb der Disziplingruppen.
Larasch: Unterscheidet sich das Training deutlich von deinem vorherigen Trainer Stepke? Wenn ja, inwiefern?
Philipp Baar: Das Training unterscheidet sich vor allem durch die höhere Intensität. Mein alter Trainingsplan hat sich stark nach meinem beruflichen Leben gerichtet, was heute nicht mehr nötig ist. Ich muss nicht mehr in der Mittagspause laufen und auch im Winter kann ich bei Tageslicht trainieren, was in den Jahren zuvor meist nur am Wochenende möglich war. Inhaltlich habe ich heute mehr Zeit um auch allgemeinere Trainingsinhalte wie Krafttraining, Stabilitätstraining, Yoga, Schwimmen, usw. zu absolvieren.
Larasch: Seit deinem EM-Marathon bist du sehr von Verletzungen geplagt und konntest seitdem keinen Marathon mehr bestreiten. Welche Probleme hattest du konkret?
Philipp Baar: So viel Glück ich in den ersten 18 Jahren meines Sportlerlebens hatte, so viel Pech hatte ich in 2019. Ende 2018 habe ich mich bei einem Training an der Hüfte verletzt, was ich damals als Lappalie abgetan habe. Leider hielt sich die Verletzung hartnäckig und zwang mich auch in meiner Vorbereitung auf den Wien Marathon 2019 immer wieder zu lauffreien Tagen. Somit konnte ich nie wirklich meinen Rhythmus finden, was dann leider auch in einer enttäuschenden Leistung in Wien resultierte. Nach dem Marathon hatte ich die Verletzung recht gut im Griff, auch wenn sie immer wieder mal mehr, mal weniger stark aufbrach. Den Berlin Marathon musste ich leider wegen einer Wadenzerrung absagen, welche ich mir vier Wochen vor dem Rennen zugezogen haben. Nach einer zweiwöchigen Laufpause wollte ich mit neuen Zielen in den Herbst starten, jedoch waren zu diesem Zeitpunkt die Schmerzen in der Hüfte nicht mehr auszuhalten und zwangen mich in eine fast dreimonatige Laufpause.
Die Diagnose war Osteitis Pubis, auch bekannt als Schambeinentzündung. Seit dem Jahreswechsel befinde ich mich wieder im behutsamen Aufbau, da die Rückfallquote bei zu starker Belastungssteigerung sehr hoch ist. Aktuell laufe ich rund fünf Tage pro Woche und mache zusätzlich sehr viel Alternativtraining. Im Laufe des Frühjahrs hoffe ich meine Umfänge weiter steigern zu können, um mich dann auch wieder in passabler Form bei Wettkämpfen blicken zu lassen und im Herbst bestenfalls meine Marathonbestzeit verbessern zu können.
Larasch: Deine Teamkollegen befinden sich aktuell in Neuseeland im Trainingslager. Letztes Jahr warst du ebenso vor Ort. Wie sind dort die Trainingsbedingungen? Was zeichnet das Trainingslager aus?
Philipp Baar: Die Trainingsbedingungen in Neuseeland sind hervorragend. Unser Trainer Dieter Hogen gibt sich wirklich größte Mühe uns das bestmögliche Setup aufzubauen. Es gibt dort keinen Luxus, zum Beispiel wurde der Kraftraum zu Arnold Schwarzeneggers Glanzzeiten ausgestattet, aber es bieten vor allem die endlosen Laufstrecken, Wälder, die Grasbahn und das perfekte Wetter beste Trainingsmöglichkeiten für Marathonläufer.
Larasch: Spürt ihr im Team Druck, vor allem nach dem ersten Jahr wo es aus sportlicher Sicht nicht so gut lief? Was habt ihr euch für 2020 vorgenommen? Was sind die Ziele?
Philipp Baar: Ich glaube der größte Druck kommt vor allem von uns selbst. Wir haben hohe Ansprüche an uns selbst und wollen natürlich auch sehr gute Leistungen bringen, wenn wir so viel investieren. Ich selbst habe meine berufliche Karriere auf Eis gelegt, in der ich finanziell deutlich besser aufgestellt wahre. Einige andere Mitglieder machen genauso Abstriche um den grossen Wurf in der Leichtathletik zu landen. An dieser Stelle möchte ich grosses Lob an unsere Unterstützer die SCC Events GmbH, der Sportclub Charlottenburg Berlin, sowie meinen Ausrüster Adidas aussprechen, welche nach wie vor an mich uns glauben. Zu keinem Zeitpunkt hat mir jemand die Pistole auf die Brust gesetzt oder negativen Druck gemacht. Wir bekommen die beste Unterstützung die man in der deutschen Leichtathletik finden kann und somit wollen wir natürlich auch dementsprechende Leistungen bringen. Wir hoffen als Team in Tokio vertreten zu sein und darauf werden wir in den nächsten Monaten hinarbeiten. Für mich gilt es meine Verletzungsprobleme hinter mir zu lassen und an meine erfolgreichen Jahre 2017 und 2018 anzuschliessen und vor allem im Marathon eine neue Bestzeit aufzustellen. Ich möchte vor allem auch wieder zeigen, dass national mit mir zu rechnen ist und Leistungen anbieten, die auch weitere internationale Einsätze in Reichweite kommen lassen.
Larasch: Wie sieht deine restliche Saisonplanung aus? Wo werden wir dich als nächstes sehen?
Philipp Baar: Aktuell sieht man mich glücklicherweise wieder vermehrt im Grunewald. Ich habe mich bewusst gegen eine Reise nach Neuseeland entschieden, da ich hier die beste ärztliche Betreuung habe und Berlin mir eine optimale Infrastruktur für mein Comeback bietet. Ich möchte im Frühjahr erste Wettkämpfe bestreiten um wieder eine gewisse Routine zu bekommen, richte mich dabei natürlich aber vor allem nach den Vorgaben meines Trainers. Aktuell steht die Steigerung der Intensität, sowie des Laufumfangs im Vordergrund, damit hoffentlich bald marathonspezifisches Training möglich wird.
Larasch: Letzte Frage: Gerade gibt es mit Saysky aber auch beim SCC Ideen und Versuche, das Laufen anders und mit neuen Formaten zu füllen. (bspw. RUNLETICS) Wie fällt deine Meinung zu solchen Formaten aus? Bist du eher den traditionellen Laufevents verschrieben oder gefallen dir die Neuerungen. Denkst du, man kann damit junge Menschen vom Laufsport begeistern?
Philipp Baar: Ich bin ein grosser Fan von solchen Formaten und hoffe wirklich, dass somit die Brücke zwischen Breiten- und Spitzensport geschlagen werden kann. Vor allem hoffe ich auch, dass auf diese Art und Weise mehr junge Talente in die Leichtathletik-Klubs gelockt werden können. Die Leichtathletik leidet unter einer gewissen Stigmatisierung uncool und nerdig zu sein. Ich hoffe, dass Veranstalter wie die SCC Events GmbH durch solche modernen und innovativen Formate diese Stigmatisierung abschütteln können und wir bald wieder mehr (junge) Fans in den Stadien begrüßen dürfen. Der Marathonsport ist hierbei sicher etwas gesondert zu betrachten, da die Teilnehmerzahlen seit vielen Jahren durch viele Demografiken hinweg wachsen. Es wäre schön, wenn wir durch solche Events auch das eine oder andere Talent für den Spitzensport entdecken und gewinnen können.