Lieber Holger,
ich habe kürzlich Deinen Text mit dem Titel „Laufen macht mir keinen Spaß!“ auf Larasch.de gelesen und habe mir ein bisschen Gedanken darüber gemacht.
Es ist nicht zu übersehen, dass Du mit deinem Text den Nerv vieler Läufer getroffen hast, denen es ähnlich zu gehen scheint. Vielleicht hat viele von ihnen schon oft der Wecker aus dem Bett gejagt, sie haben sich widerwillig nach draußen und durch die leeren Straßen geschleppt. Und das alles nur um dann, nachdem die letzten Meter geschafft waren, ein Selfie im Sonnenaufgang zu machen. Mit dem besten Grinsen und der Bildunterschrift: „Easy morning run done! Perfect start in the day!“
Dementsprechend ist jedenfalls das Feedback ausgefallen: „Keine PR-Kuschel-Sprache“ oder „Training ist nur quälen! Nur der Erfolg macht Spaß“. Das zeugt auf jeden Fall von Zustimmung.
Auch ich habe mich in deinen Schilderungen gut wiedererkannt: Mit Muskelkater aufwachen, wissen, dass es heute trotzdem wieder verdammt anstrengend wird und abends todmüde ins Bett anstatt mit Freunden in die Stadt gehen. Das kenne ich nur zu gut. Von früher.
Denn momentan, besser gesagt die letzten Monate, besser gesagt verdammt viel zu lange schon, sieht mein Alltag anders aus: Ich habe Zeit. Ich stolpere nicht mehr nach Schweiß stinkend und mit schmutzigen Schuhen in meine Wohnung, muss nicht mehr so oft am Tag duschen, weniger Sportklamotten waschen, keine Sport-Freunde-Lebens-Koordination betreiben, keine Tempolauf-Zeiten mit meinem Trainer verhandeln, nicht dort nach GPS-Signalen suchen, wo scheinbar gerade einfach kein Satellit über mir kreist.
Das Problem? Es geht mir scheiße damit. Ich vermisse dieses Leben mit „Müdigkeit, Alltagsstressen und (zu) schnellen Vorgaben fürs Training“, von dem Du schreibst. Ich will endlich wieder kaputt sein, endlich wieder abends erschöpft ins Bett fallen. Ich will nicht nur die „20% der Laufeinheiten“ mit Vogelgezwitscher an Frühlingstagen, die man bewusst genießt. Ich will auch die verdammten restlichen, unangenehmen 80%. Ich will wieder laufen.
Klar, das ist nicht Dein Problem, Du kannst nichts dafür, dass ich verletzt und mittlerweile eine Art Verzweiflung in Person bin, die jetzt gerade eingekuschelt in ihren Bademantel neben Schoko-Kuchen und anderen Seelentröstern verbittert einen Leserbrief schreibt. Du darfst natürlich trotzdem weiter auf den Kacksport schimpfen. Mein persönliches Pech hat mit Dir nichts zu tun.
Aber ich kann Dir aufgrund dieser absolut unbefriedigenden Erfahrung bestätigen, dass sich das Laufen (zum Glück) nicht nur für den kleinen Moment lohnt, in dem man zufrieden mit der eigenen Leistung ist. Nicht nur der Moment, in dem man das erreicht, wofür man vorher entbehrt, verzichtet und gekämpft hat.
Sogar Läufe bei Regen und Wind, blaue Zehennägel, Blasen an den Fersen, Muskelkater – danach sehne ich mich gerade. Im Ernst.
Was würdest Du in dem Moment tun, in dem Du Dich gegen das Lauftraining und für etwas Anderes entscheiden würdest? Mit „etwas Anderes“ meine ich Dinge, die Dir in diesem Moment vielleicht sinnvoller erscheinen (Freunde treffen, Essen, Schlafen).
Du würdest vermutlich vor allem daran denken, dass du jetzt gerade nicht läufst und stattdessen gerade das tust, was du tust, obwohl Du ja gerade eigentlich laufen könntest.
Laufen tut nicht immer gut. Aber wir machen es trotzdem. Wir sind abhängig. Drogen tun uns auch nur in dem Moment gut, in dem wir high sind.
Nicht laufen, obwohl man gekonnt hätte, macht ein schlechtes Gewissen. Wer was anderes behauptet, der lügt!
Und nicht laufen, weil man nicht kann, macht traurig. Wer was anderes behauptet, war noch nie laufen.
Die 80% des Trainings, bei denen wir unter dem Laufen leiden, machen vielleicht keinen Spaß. Aber darunter zu leiden, nicht laufen zu können, ist schlimmer. Dann macht nämlich irgendwann alles andere keinen Spaß mehr. Dann doch lieber Kacksport. Genieß es!
Liebe Grüße,
Franzi
Liebe Leser,
ich sehe es aus mehreren Blickwinkeln. Wer sich „nur“ eine Leidenschaft gönnt, um Glück, Zufriedenheit zu aktivieren, läuft mehr Gefahr Demotivation zu empfinden und auf zu bauen. Die positive Einstellung zur Verletzung und Training ist das eine. Den Blickwinkel Zufriedenheit mehr Perspektiven geben, lässt insgesamt Gelassenheit, Balance wachsen und schafft mehr Raum für bessere Heilung. Ein „wenn das nicht, dann“ bringt gefühlten Druck, Unzufriedenheit und gibt einer Situation die „Macht“ von ihr Abhängig zu sein. Mein Gedanke: zu wissen was einem ähnliches Wohlbefinden, innere Anerkennung , Freude usw. schenkt, befreit doppelt den Kopf für den Erfolg Wohlfühlen im Sport und weiteren Lebensbereichen.
Liebe Nicole,
ich kann dir versichern, dass ich neben dem Laufen durchaus noch die ein oder andere Leidenschaft hege und pflege – und da spreche ich sicherlich auch für die meisten der Leser 🙂 Allerdings ist es ein charakteristisches Merkmal jeder einzelnen meiner Leidenschaften, dass sie die übrigen Lebensbereiche beeinflussen. Einfach weil sie mich und meine Persönlichkeit ausmachen. Soll heißen, dass ich beispielsweise ohne den Ausgleich körperlicher Anstrengung beim Laufen auch weniger kreativ bin, nicht mehr auf so viele gute Gedanken komme. Zumindest empfinde ich das subjektiv so. Ich kann dich beruhigen, dass ich deshalb aber noch lange nicht von einem verletzungsfreien Leistungszustand oder gar sportlichem Erfolg abhängig bin, schließlich kann man körperliche Anstrengung auch auf anderem Wege erreichen. Für mich ist das Laufen dennoch die schönste Art und Weise dies zu bewerkstelligen. Ersatzbefriedigung kann eine Zeitlang wirksam, auf Dauer aber nicht in selbigem Maße erfüllend sein.
Liebe Franzi,
nicht laufen zu können tut wirklich mehr weh! Wie sehr freue ich mich wieder, mit kurzen Distanzen und vorsichtig natürlich, schmerzfrei laufen zu können. Diese Droge hat mir so gefehlt! Ich fand mich selber teilweise unausstehlich. Ich war unausgeglichen und das mit der Schokolade kam leider automatisch aus Frust. Ich versteh dich so gut!
Da hast du mir aus der Seele gesprochen!
Liebe Franzi,
vielen Dank für diesen tollen Text, der mir aus der Seele spricht. Besser hätte ich es nicht formulieren können.
Bei mir hält das „nicht-laufen-können“ schon seit 2 Jahren an. Ich habe verdammt lange gebraucht, um nicht mehr bei allem, was ich gerade tat, „ich würde jetzt aber lieber (laufen/radfahren/…)“ zu denken, sondern stattdessen den Moment zu genießen. Denn vom Vermissen, Ärgern, Bereuen, .. kann man auch nicht schneller wieder laufen, versaut sich aber zudem noch jeden Moment, in dem einem das schmerzhaft bewusst ist.
Ich wünsche dir ganz schnelle und vollständige Genesung – und dass du die hoffentlich nur ganz kurze Zeit bis dahin trotzdem genießen kannst! 🙂