Wenn man sich laufender Weise in und um Regensburg herum bewegt, kommt man zwangsläufig irgendwann einmal in eine Situation, in der man besonders stark sein muss. Dann nämlich, wenn man Philipp Pflieger begegnet.
Es ist ja nicht so, dass man ihn nicht gerne treffen würde, den sympathischen Schwaben, der seit seinem Vereinswechsel zur LG Telis Finanz im Jahr 2008 die Herzen der Regensburger (wortwörtlich) im Sturm erobert hat. Aber es ist nun mal einfach ein bisschen deprimierend, wenn der Junge so schnell vorbeigerannt kommt – und das auch noch mit einem unbeschwerten Grinsen auf dem Gesicht. Motivationstechnisch kein besonders positiver Effekt.
Kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Geht mir nämlich oft so. Beispiel gefällig?
Dazu muss ich nicht weit zurück denken. Eigentlich nur bis zum Sonntag vor einer Woche: Ein wolkiger Tag, bedeckter Himmel, angenehme 20 Grad – perfekt für meinen letzten langen Dauerlauf vor der EM, die in genau zwei Wochen ansteht. Also nichts wie los, am besten gleich in der Früh – dann hat man es schnell hinter sich…
Ein bisschen außerhalb von Regensburg, auf einem Radweg zwischen Donau und Feldern so weit das Auge reicht: Ein kurzer Blick auf die Uhr und das beruhigende Gefühl, dass man schon mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hat. Die Beine fühlen sich schon nicht mehr ganz so frisch an wie auf den ersten Kilometern. Doch dann passiert es: Mit einem Mal kommt mir jemand entgegen – ich will nicht sagen gelaufen – denn geschossen trifft es um einiges besser.
„Servus Franzi“. Und weg war er, der Philipp.
In kurzem Abstand folgt seine Freundin Barbara, heute als Radbegleitung im Einsatz: „Servus Franzi“. Zack, weg.
Wenn Barbara mit dabei ist, hat Philipp wohl auch einen langen Lauf auf dem Trainingsplan stehen.
Ich bin nicht nur wie immer ein bisschen verblüfft über sein Lauftempo, sondern dieses Mal sogar ein bisschen neidisch: Warum habe ich eigentlich keine fürsorgliche Begleitung, die mir Getränke reicht, sondern stattdessen nur Scooter, die mir aus den Kopfhörern meines Ipods ins Ohr brüllen?
So viel zu unserer Begegnung am Sonntag vor einer Woche.
Denn gleich in der folgenden Woche spielt sich ein ähnliches Szenario ab. Allerdings wechseln wir dazu den Schauplatz: Denn für Philipp und mich geht es nach Chemnitz. Wir wollen dort den Viertelmarathon als letzten Test vor der EM einzulegen. Unser Coach sieht das Rennen über die 10,7km als gute Gelegenheit, noch einmal die Halbmarathongeschwindigkeit anzutesten – also nichts wie hin!
Dass Philipp das Auto fährt und nicht ich, als wir Samstagmittag in die sächsische Metropole aufbrechen, steht nicht weiter zur Diskussion: Er bringt uns im Nu ans Ziel. Das könnte ich zwar theoretisch auch, allerdings ist mein Instinkt für Blitzer und Tempolimits einfach grottenschlecht. Und meinen Schein will ich ja noch ein bisschen behalten…
Als wir nach kurzer Fahrt das Athletenhotel gegen Nachmittag erreichen, erwartet uns leider vor allem eines: Regen.
Philipp scheint das nicht so viel auszumachen, er hat seine Rennanpassung für morgen natürlich schon hinter sich gebracht. Ich bin dagegen ein bisschen unzufrieden, immerhin steht heute noch ein kleiner Videodreh an, der eigentlich draußen stattfinden soll. Besser gesagt: Der dann auch tatsächlich draußen stattfindet – ich werde dabei eben ganz schön nass und kalt.
Vermutlich nicht die optimalste Wettkampfvorbereitung, aber das Rennen morgen soll ja wirklich nur ein Test werden. Und spätestens beim Abendessen ist sowieso alles wieder vergessen.
Dort treffen Philipp und ich nämlich auf die übrigen Athleten, die morgen mit ihm die vorderen Plätze beim Viertelmarathon unter sich ausmachen werden: Alles nette Jungs. Aber auch alle von dieser Art „möchte ich beim Dauerlauf aus motivationstechnischer Sicht nicht begegnen“.
Zum Glück wird heute anstatt zu laufen, nur noch gegessen und das Deutschlandspiel angeschaut. Danach geht es dann sehr bald Richtung Bett, denn morgen kann nicht besonders lange ausgeschlafen werden. Ich als traditionelle Spät-Frühstückerin und Rennauftakt-Verweigerin habe da vielleicht noch einen kleinen Vorteil, aber spätestens um 9.45 Uhr stehen wir alle versammelt an der Startlinie – ob nun müde oder nicht: Heute haben wir bestes Wetter mit strahlendem Sonnenschein.
Philipp, als Olympia-Teilnehmer in Rio, ist natürlich der vom Sprecher am meisten gefeierte Star. Und als er wenige Sekunden nach dem Startschuss schon um Längen vor mir ist, fühle ich mich unmittelbar an mein sonntägliches Erlebnis aus der Vorwoche erinnert: Und weg war er…
Sogar wieder inklusive Radbegleitung: Dieses Mal ist es allerdings nicht Barabara, sondern der Führungsradler. Nicht neidisch sein, Franzi, nicht neidisch sein…
Das Rennen macht ja trotzdem total Spaß: Nachdem die Führungsgruppe mit Philipp aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, bleibt noch genügend Zeit, die schöne Strecke durch Chemnitz zu genießen, die an mir vorbeifliegt. Außerdem darf ich immerhin ein paar Marathonläufer überholen. Aber die haben ja schließlich auch die vierfache Distanz zu meistern.
Im Ziel angekommen stehen die Jungs bereits entspannt am Verpflegungsstand und sind längst nicht mehr außer Atem. Kein Wunder, die sind ja auch schon ein paar Minuten länger im Ziel.
Zum Auslaufen darf ich dann trotzdem mit Philipp mitkommen. Wir sind eh nicht lange unterwegs, denn es warten noch Siegerehrung und Pressekonferenz auf uns. Da kommt man schon fast wieder ins Schwitzen und deshalb dürfen wir uns danach zum Glück in einem nahegelegenen Fitness-Studio duschen.
Es ist übrigens ein sehr lustiges Fitness-Studio: Denn während ich nach dem Duschen auf die Jungs warte (und nicht umgekehrt!!!), tönt Wolfgang Petry aus den Lautsprechern: „Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle…“. Fast so cool wie Scooter.
Ich genieße die musikalische Beschallung, bin in Gedanken aber schon beim folgenden Sonntag: Da wird es richtig ernst. Da heißt es Laufen was das Zeug hält bei der EM. Die Behauptung, ich wäre noch nicht nervös, wäre wohl eine glatte Lüge. Um 9.30 Uhr beginnt mein Halbmarathon-Rennen. Eine Viertelstunde später starten die Männer, unter anderem mit Philipp. Statt Wolfgang Petry fällt mir da plötzlich ein ganz anderes Lied ein: „Immer wieder sonntags…“
Denn allmählich scheint sich da eine richtige Tradition zu entwickeln: Letzten Sonntag ist mir Philipp beim langen Dauerlauf noch entgegengekommen, heute ist er vor mir weggestürmt und nächste Woche rennt er mir hinterher.
Es könnte also sein, dass ich auch bei der EM meine all-sonntägliche Laufbegegnung mit Philipp habe.
Aber vielleicht holt er mich ja gar nicht mehr ein, bevor ich das Ziel erreicht habe. Vielleicht reicht der Vorsprung ja aus 🙂