Der 36jährige Belgier Filip Vercruysse lebt seit September 2014 in Berlin, wo er als Wissenschaftler im Bereich der Neurowissenschaften an der TU arbeitet. Daneben ist Filip ein leidenschaftlicher Läufer, der sich vor allem auf die Marathondistanz fokussiert. Im vergangenen September lief er den Halbmarathon in Kopenhagen in starken 65:25 min und stellte Anfang Dezember beim Valencia-Marathon mit 2:18:34 h auch auf dem „langen Kanten“ eine beachtliche Bestzeit auf.
Seit Sommer 2019 trainiert Filip regelmäßig mit den Athleten des SCC Berlin Pro Team, was ihm nach eigenem Bekunden zu einem ordentlichen Leistungsschub verholfen hat. Wie sein Trainingsalltag aussieht, wie er die derzeitige Situation erlebt und was seine Ziele für die Zukunft sind, verrät er im Interview:
Hallo Filip, erzähl uns doch mal, wie Du zum Laufen gekommen bist! Seit wann trainierst Du ernsthaft?
Richtig ernsthaft betreibe ich den Laufsport erst, seit ich 2014 nach Berlin gekommen bin und mich dem SC Brandenburg Berlin angeschlossen habe. Während meiner Promotions-Zeit in Lausanne bin ich einfach für mich gelaufen, ohne richtigen Plan. Damals war es neben der Arbeit auch nicht so leicht, ernsthaft zu trainieren, da ich häufig sehr lange Tage im Labor hatte.
Auch vorher schon, als Student in meiner belgischen Heimat Gent, bin ich gerne gelaufen und auch viel Rad gefahren. Mit Freunden habe ich damals auch häufig ganz ordentlich Gas gegeben, jedoch ohne Wettkampf-Ambitionen, es war also noch kein Leistungssport. Nachdem ich 2014 dann wirklich ernsthaft mit dem Laufen angefangen hatte, bin ich im Frühjahr 2015 den Berliner Halbmarathon in 1:07:05 h gelaufen, das war ein erstes starkes Resultat für mich.
Wann bist du Deinen ersten Marathon gelaufen? Und was fasziniert Dich an dieser Distanz?
Meinen ersten Marathon bin ich während meiner Zeit als Doktorand in Lausanne gelaufen, das war wohl im Oktober 2013. Freunde hatten mir gesagt, dass sie den Marathon laufen wollten und da habe ich mich angeschlossen. Ich habe ihn in 2:40:08 h gefinisht. Das war ein erstes Erfolgserlebnis für mich.
Das Faszinierende am Marathon ist für mich vor allem, ein ziemlich hohes Tempo so lange durchhalten. Ein Tempo von 18-19 km/h über eine Strecke von 42 km zu laufen ist eigentlich schwer vorstellbar. Und doch ist es möglich (Filip lief beim Valencia-Marathon eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 18,27 km/h, Anm. d. Red.). Des Weiteren ist es eine große Herausforderung, am Tag X richtig abzuliefern. Ein erfolgreicher Marathon ist wie ein Puzzle, bei dem alle Teile zusammenpassen müssen. Die Vorbereitung, die äußeren Bedingungen am Renntag, die Gruppe, in der man läuft, die Verpflegung, und nicht zuletzt spielt auch das Mentale eine große Rolle. Man muss bereit sein, die Distanz in Angriff zu nehmen, auch durch schwere Phasen hindurchzukommen und sich zu quälen. Die Ziellinie zu sehen, sein Zeitziel zu erreichen, ist mit großen Emotionen verbunden. Ein Traum, der in Erfüllung geht. Vor allem hat man auch häufig Marathons, die nicht so gut laufen; wenn dann bei einem alles wie erhofft klappt, ist es umso schöner, wenn man das Ziel erreicht hat.
Danke für diese Ausführungen! Wie läuft eigentlich Dein Training ab, hast Du starke Trainingspartner und was hat sich im vergangenen Jahr diesbezüglich verändert?
Letztes Jahr habe ich die Trainingsgruppe beim SC Brandenburg verlassen und starte seit diesem Jahr für den SCC Berlin. Ich habe nun regelmäßig starke Trainingspartner, so trainiere ich immer wieder mal mit den Athleten des SCC Pro Team um Philipp Bahr, Fabian Clarkson und Johannes Motschmann. Dies hat mir zu einem großen Leistungssprung verholfen, sodass ich mich bereits im September auf der Halbmarathondistanz deutlich steigern konnte.
Und wie bringst du Deinen Berufsalltag als Wissenschaftler und das leistungsorientierte Training unter einen Hut?
Ich trainiere meistens morgens und setze mich danach an die Arbeit. Das klappt ziemlich gut. So habe ich die anspruchsvollen Trainingseinheiten bereits hinter mir, wenn ich mich der wissenschaftlichen Arbeit zuwende. Diese Zeiteinteilung hat mich sicherlich vorangebracht, im Vergleich zu früher, als ich meistens nach der Arbeit, am Nachmittag oder Abend, trainiert habe. An manchen Tagen absolviere ich dann noch eine zweite Einheit, je nach Gefühl und Zeit.
Die derzeitige Situation mit der Corona-Krise und den damit verbundenen Wettkampf-Absagen ist ja nicht einfach, gerade auch für Sportler. Wie erlebst Du sie und wie bleibst du motiviert?
Das stimmt. Auch ich habe einen Moment gebraucht, um mit der neuen Situation umzugehen. Ich fühle mich grade sehr stark und hätte meine Form gern im Wettkampf getestet. Das geht nun erstmal nicht. Da hilft nur, mental flexibel zu bleiben und weiterhin ein klares Ziel vor Augen zu haben. Ich habe das längerfristige Ziel, persönliche Bestzeiten zu laufen. Ansonsten erfahre ich derzeit viele neue Trainingsreize, wie bspw. kürzlich ein Höhen-Trainingslager in Äthiopien, bei denen es interessant zu erleben ist, wie der Körper darauf reagiert. So halte ich auch kurzfristig die Motivation oben. Die Situation bezüglich kommender Wettkämpfe ist derzeit unklar. Also versuche ich einfach, von Tag zu Tag das Training zu genießen, und mit starken Läufern zusammen zu trainieren (mit ausreichend Abstand!), was an sich schon motivierend ist.
Dann verrate uns doch mal Deine sportlichen Ziele für die Zukunft!
Ich möchte vor allem mein Limit im Marathon erfahren. Die Zeit in Valencia war noch nicht das Optimum. Die Vorbereitung verlief auch nicht optimal. Außerdem würde ich gerne einmal einen Halbmarathon in unter 65 Minuten und die 10 km in unter 30 Minuten laufen. Ein weiteres Ziel von mir ist eine Medaille bei belgischen Meisterschaften, vorzugsweise im Halbmarathon oder auch im Marathon.
Eine abschließende Frage zum Thema Nike Vaporfly: Rennst Du Deine Wettkämpfe mit diesen Schuhen und was ist Deine Meinung zu dem Thema?
Ja, ich laufe die Wettkämpfe mittlerweile mit dem Vaporfly, schließlich möchte ich konkurrenzfähig sein. Beim Halbmarathon in Kopenhagen vergangenen September hatte ich eine gute Gruppe, in der die meisten Läufer diesen Schuh trugen. Ich hatte ihn auch am Fuß, worüber ich froh war. So hätte es nicht am Schuh gelegen, wenn ich nicht hätte mithalten können. Aber eigentlich würde ich es bevorzugen, wenn diese Modelle verboten würden und eine maximale Sohlendicke von vielleicht 2 cm vorgeschrieben werden würde. Schließlich sollte es im Laufsport nicht so sein, dass die Technologie die Physiologie schlägt. Es ist auch schwer zu sagen, wie viel diese Schuhe wirklich bringen. Und so gesehen müssten die erzielten Laufzeiten neu evaluiert werden.
Dann bedanken wir uns für das Gespräch, Filip, und wünsche Dir viel Erfolg für deine Zukunft!