Wenn man als Mediziner selbst Leistungssport betreibt, sollte das doch eigentlich die Bedenken revidieren, dass Leistungssport ungesund ist, oder?
Vielleicht ist es aber auch die Kombi aus rationaler Rücksicht (dank dem Wissen aus der Medizin) und emotionaler Hingabe (die Freude am Sport), die in der Summe einen gesunden Sportler ausmachen?
Dass Sport gesund ist und zwangsläufig auch unser ganzes Gesundheitsbewusstsein beeinflusst, steht außer Frage. Aber wo liegen die Grenzen?
Von einem Arzt erwarten wir, dass er uns nicht nur gesund macht, sondern selbst der Inbegriff von Gesundheit ist. Ein Vorzeigekandidat in Sachen gesundem Lebensstil, der nicht nur Sport treibt, sondern sch natürlich auch gesund ernährt und alle potentiellen Risikofaktoren bewusst ausschließt. Weil er weiß, wie! Oder nicht?
Vielleicht sind es aber gerade auch die Ärzte, die zwar theoretisch Bescheid wissen, aber sich praktisch trotzdem gehen lassen. Im Sinne von: „Zu viel des Guten!“
Trotzdem… von einem medizinischen Hintergrundwissen kann und sollte man als Sportler profitieren.
Carolin Zendler ist leistungsorientierte Hindernisläuferin und frisch gebackene Medizinerin. Also für mich die perfekte Anlaufstelle, den als ungesund verheißenen Leistungssport wieder ins körperfreundliche Licht zu rücken. Man muss halt nur wissen wie, und das weiß Carolin vielleicht?
„Leistungssport und Medizin sind zwei Gebiete, die in letzter Zeit zu häufig gemeinsam erwähnt werden, wie ich finde… das eine sollte man aus dem anderen heraushalten.“
Für das grundlegende Check-Up und das Kurieren von Verletzungen ist der Arzt zwar wichtig, aber auch der Physiotherapeut muss an dieser Stelle erwähnt werden. Denn er ist es oft, der einen Sportler für den Wettkampf wieder startklar macht bzw. trotz intensiver Trainingswochen wieder rund laufen lässt!
Selbstverständlich helfen einem die anatomischen Kenntnisse, um beispielweise passende Übungen auszusuchen, die Fehlstellungen kompensieren und so Fehlbelastungen vermeiden. „Aber auch die Kenntnisse vom Stoffwechsel und Regeneration sind bestimmt im Training wie Wettkampf sehr hilfreich.“
Gerade die Regeneration ist seit einiger Zeit in den Fokus der Wettkampfvorbereitung gerückt.
„Zu gutem Recht, denn sie hat einen großen Anteil am Trainingserfolg. Früher hetzte man wie besessen von Training zu Training, ohne den Muskeln die Möglichkeit der Superkompensation zu geben. Also kurz formuliert, die Möglichkeit, sich an die Trainingsreize anzupassen.“
Und Fakt ist: Nimmt man die Regeneration ernst, bleibt der Arzt außen vor. „Schließlich würden bei einer guten Regeneration auch die meisten Sportüberlastungsverletzungen nicht auftreten.“
Grundlage dafür ist ein gutes Körpergefühl, „um Symptome von Überlastung früh zu erkennen und früh gute Regeneration betreiben zu können.“
Es ist wichtig, seine Grenze zu kennen! Sich zwar zu fordern, aber es nicht zu übertreiben. „Das Schwellenmaß zu kennen, ab dem das Training mehr schadet als nutzt.“ Und dieses Schwellenmaß kann man über eine gute Regeneration positiv beeinflussen.
Und Stichwort Ernährung – regelmäßig, immer dasselbe, nur ausgewählt, und natürlich Supplements? Was sagt die Ärztin?
„Klar, ausgewählte Lebensmittel, aber ohne festgelegten Ernährungsplan nach Lust und Laune. Ich koche sehr gerne, weil ich wissen will, was auf meinem Teller liegt. Das muss aber nicht hundertprozentig abgewogen sein.“
Abwechslungsreich, gesund und lecker! Vor allem aber frisch und auch mal sündhaft!
Besonders wenn es sie in Klausurzeiten psychisch anstatt physisch erwischt, wird schon auch mal eine Tafel Vollmilchschokolade verspeist. „Und Zuhause tischt meine Mutter öfter mal Kaiserschmarrn auf, den ich abgöttisch liebe… Wir sind ja doch nur Menschen 😉 “
Also der medizinische Fingerzeig ist da, aber legt sich auch mal entspannt zurück!
Und in Sachen Trainingssteuerung? Ist sich Frau Doktor und das Sportlerherz immer einig?
„Da mein Herz schon immer für die Medizin und den Sport geschlagen hat, ist mein Gehirn da nicht zwiespältig hineingewachsen.“
Ihr Hindernisläuferinnenherz ist dafür zuständig, sie mit Freude und Leidenschaft alle Rückschläge überstehen zu lassen und nach vorn zu schauen. Ihr Medizinerherz dagegen gibt die guten Ratschläge, wenn sie mal wieder zu beherzt in die Trainingskiste gegriffen hat.
Also man ergänzt sich „…und bislang, toitoitoi, war das ein überaus feines Arrangement ohne Verletzungen.“
Aber jetzt noch einmal Klartext: ist Leistungssport gesund?
„Leistungssport ist dann ungesund, wenn die Belastung die ausgleichenden Komponenten übersteigt. Viel hilft nicht immer viel, aber umgekehrt ist ’normaler Sport‘ ohne adäquate Regeneration möglicherweise schädlicher als Leistungssport mit gelungenem Ausgleich.“
Per se würde Carolin dem Leistungssport also nicht den Stempel ‚ungesund‘ aufdrücken. Und fest steht, dass weniger das Medizinstudium ihr Sportlerdasein optimiert, sondern andersherum!
„Der Sport hilft mir im Studium. Er gleicht aus, er entwickelt den Ehrgeiz, er treibt voran und gibt mir die Möglichkeit, bei Ziehen/Drücken/Schmerzen meiner Sportkollegen die medizinischen Kenntnisse einzusetzen.“
Es sind auf die Jahre gesehen (und in Carolins Fall sind es mittlerweile 16 Lauf-Jahre) besonders die gemachten Erfahrungen, die das Sportlerdasein optimieren. Sie lehren einem zwangsläufig, besser aufzupassen und intelligenter vorzugehen.
„Ich bin sehr ehrgeizig, aber Ehrgeiz ist nicht gleichzusetzen mit Uneinsicht. Eine intelligente Herangehensweise an das Training und die Regeneration würde ich ebenfalls zu ehrgeizigen Ambitionen rechnen. Ein intelligenter Sportler weiß, wann es an der Zeit ist, aufzuhören und wann der Zeitpunkt ist, wieder richtig einzusteigen.“ …und dazu brauch es kein Medizinstudium.
Die Annahme, dass die Ärztin den rationalen Part übernimmt und der Sportler allein den emotionalen, ist also vielleicht nicht ganz richtig.
„Als Sportler lernt man, dass die Vorausplanung und nicht das bloße ungerichtete Training essentiell ist, was wieder eine rationale Komponente ist. Man lernt auch, dass das Empfinden und die psychische Einstellung einen riesigen Teil des Erfolgs oder Nichterfolgs ausmachen. Als Mediziner hingegen lernt man, dass der Körper zerbrechlich ist und dass deshalb ein Augenmerk darauf liegen muss, ihn trotz fiesen Trainings zu erhalten und nicht zu zerstören.“
Die zu Anfang angesprochene rationale Rücksicht ergibt sich also nicht nur aus dem medizinischem Wissen, sondern ist bereits eine unerlässliche Eigenschaft des aufmerksamen Sportlers.
Zugleich vermag aber gerade die Grenzen-ignorierende Leidenschaft im Sport Überraschendes zu leisten. Denn auch wenn es physisch oft nicht mehr geht, siegt der Wille.
Ein Marathon ist nicht unbedingt gesund und die Beine haben wir schon längst vor dem Kilometer 30 verloren. Das Sportlerherz aber schlägt weiter und der innere Kampfgeist sammelt weiter Kilometer für Kilometer.
Bedeutet also: Auch wenn es medizinisch fragwürdig ist, weiß es der Sportler manchmal besser und gibt überraschend Antworten, die der Arzt nicht mal nachlesen kann!
Eine grundlegende Voraussetzung ist aber in jedem Fall: Einsicht und Achtsamkeit. Und Antworten, die wir uns selber geben – unabhängig von Fachgauklerei – sollten ehrlich bleiben.
Fazit: Als Mediziner kann man das eigene Sportlerdasein effizienter gestalten. Aber kein Arzt kann wirklich in dich hinein horchen. Einem ist schon genug geholfen, solange man sich für seinen Körper interessiert und nicht engstirnig zwei Hürden gleichzeitig nimmt.