Vorwürfe gegenüber Alberto Salazar
Als vergangene Woche nach vierjähriger Ermittlungszeit die Verurteilung von NOP (Nike Oregon Project) Coach und Begründer Alberto Salazar zur Primetime der Leichtathletik Weltmeisterschaft publik wurde, war die Aufruhr in der Szene und das mediale Interesse groß. Die USADA-Dopingfahnder um Travis Tygart, der schon Lance Armstrong zu Fall gebracht hatte, wählten angesichts der Brisanz des Dopingthemas den Zeitpunkt der Veröffentlichung legitimer Weise medienwirksam. Das rückt die gebeutelte Leichtathletik während der „Feierlichkeiten“ in ein noch schlechteres Licht, als es der politisch fragwürdige und stimmungstechnisch an Kreismeisterschaften erinnernde Austragungsort Doha ohnehin schon vollbrachte. Doch vorher und hinterher interessiert es ja kaum Jemanden, wenn man den Finger in die Wunde legt. Selbst Kugelstoß-Veteranin Nadine Kleinert war nach 25 Jahren Leistungssport der Aufwand zu groß und der Stellenwert zu gering, sich in Doha eine zwölf Jahre verspätete Silbermedaille von der WM in Osaka abzuholen, sie scherzte vielmehr: „Die letzte Medaille werde ich wahrscheinlich mit dem Rollator abholen.“
Was hat Konstanze Klosterhalfen damit zu tun?
Für die deutschen Medien war die Dopingmeldung von besonderem Interesse, denn Konstanze Klosterhalfen trainiert seit diesem Jahr beim Nike Oregon Project. Michael Reinsch von der FAZ hatte ihren Wechsel dorthin bereits im Vorfeld wegen der drohenden Verurteilung Salazars scharf kritisiert. Nun hat er Recht behalten und muss das mit Eifer zum Ausdruck bringen. An ihrer sportlichen Leistung lässt er kaum ein gutes Haar, „Medaillen in der Weltspitze seien ihr wichtiger als die Methoden ihres Mentors“ und suggeriert wider besseren Wissens, sie würde direkt bei Alberto Salazar trainieren. Dabei ist hinreichend bekannt, dass Konstanze Klosterhalfen der Trainingsgruppe um Pete Julian angehört. Klar, die Zugehörigkeit zu einer anderen Trainingsgruppe, vor allem unter dem gleichen Dach, befreit nicht davon, sich kritischen Fragen stellen zu müssen. Vor allem dann nicht, wenn der eigene Trainer als Schüler Salazars bezeichnet werden kann und die Athleten beider Gruppen immer wieder zusammen trainieren. Trotzdem muss man die Kirche im Dorf lassen, die Anschuldigungen gegen Salazar beziehen sich auf den Zeitraum bis 2014, zu diesem Zeitpunkt war Konstanze Klosterhalfen sechzehn und noch weit weg vom Profisport. Weder zwischen ihr, noch sonst einem/er Athlet/in ihrer Trainingsgruppe bestand zu diesem Zeitpunkt eine Verbindung zu Salazar.
Fehlende Objektivität des Journalismus
Ich will die Umstände um das NOP ganz bestimmt nicht gutheißen, trotzdem erwarte ich von einem FAZ Korrespondenten für Sport mehr Reflexion und Objektivität als von Michael Reinsch und seiner Kollegin bei der Süddeutschen. „Sie muss da weg“ titelt es sich leicht, aber was sind die Alternativen? Die DLV-Strukturen können es ja nicht sein, oder soll Konstanze drei Tage vor dem Rennen ohne Akklimatisierung anreisen und sich dann wie Alina Reh über Bauchschmerzen wundern, oder zwei Jahre lang ins Höhentrainingslager fahren und sich wie Richard Ringer vor laufender Kamera eingestehen, überhaupt keine Ahnung zu haben, wie oder warum es nicht funktioniert? Die Möglichkeiten sind fachlich und finanziell in der Weltspitze begrenzter als mancher Journalist glauben mag. Beim NOP passt alles zusammen: Trainer, Physiotherapie, Medizinische Betreuung, Trainings- und Regenerationsmöglichkeiten, Infrastruktur die es in Deutschland definitiv nicht gibt. Da würde man den Tag mit mehreren Stunden Autofahrt zubringen.
Die „duale Karriere“ gewinnt keine Medaille
Nike ist ein Global Player mit fast unbegrenzten Mitteln, dem deutschen Verband sind die Hände gebunden, Mittel die er nicht hat, kann er nicht ausgeben. DLV Generaldirektor Idriss Gonschinska kann allenfalls mit ein paar hundert Euro von der Deutschen Sporthilfe locken, die kaum für eine Woche volles Programm reichen würden. Die Entscheidung ist eben auch eine finanzielle, zwischen einem inzwischen wahrscheinlich mittleren sechsstelligen Einkommen mit gesicherter Zukunft und einer wie es euphemistisch so schön ausgedrückt wird „dualen Karriere“. Nur duale Karrieren gewinnen selten Medaillen wenn der Rest der Welt Profisport betreibt. Zu glauben man könne es trotzdem ist Hybris.
Ein „Adidas Project“ in Deutschland?
Als Journalist könnte an dieser Stelle auch die Frage nach Adidas, gestellt werden, dem deutschen Global Player. Dort wird augenscheinlich nicht viel für die deutsche Spitzenleichtathletik getan und setzt stattdessen auf Influencer, die allenfalls auf nationalem Niveau mithalten können. Dabei gibt es doch am Firmensitz in Herzogenaurach einen ganz netten Sport-Campus mit Stadion und 400m-Rundbahn. Versuche, die Leichtathletik am Standort mit dem Adidas Boost Athletics Meeting wiederzubeleben, wurden bedauerlicherweise relativ schnell im Keim erstickt. Der Ansatz internationale Adidas-Athleten und nationale Topathleten zum Saisonbeginn zusammenzubringen war nicht so verkehrt. Es gab Pacemaker und ein paar Euro zu verdienen, doch der Konzern entschied nach zwei Jahren, die Veranstaltung nach London zu vergeben und schließlich ganz auslaufen zu lassen. Der Dank gilt an dieser Stelle der LG Region Karlsruhe die parallel die Runners Track Night/Lange Laufnacht mit weitaus weniger Mitteln aus dem Boden gestampft hat und inzwischen auf europäischer Ebene mitspielt.
Das kranke System
Aber zurück zum Thema, Spitzensport gibt es einfach nicht zum Nulltarif. Konstanze Klosterhalfen schätzt sich zurecht glücklich, als eine von Wenigen auserwählt worden zu sein, dem NOP beitreten zu dürfen. Alina Reh und Richard Ringer haben diese Möglichkeit nicht und suchen sich ihren eigenen Weg, der, was die Professionalität angeht, sicher von Kompromissen geprägt ist, welche man den Athleten nicht immer zum Vorwurf machen kann. Was mich an der vehementen Kritik gegenüber Konstanze Klosterhlafen stört, ist, dass man so tut, als hätten wir zum allerersten Mal den Fall, dass eine deutsche/r Sportler/in mit einem Team zusammenarbeitet, dessen Vergangenheit nicht lupenrein sauber ist und man einer 22-Jährigen den schwarzen Peter für ein im Grundsatz krankes System zuschiebt.
Doping-Trainer in Deutschland außen vor
Ein Beispiel, das niemanden mehr zu stören scheint: Robert Harting wurde mit Werner Goldmann in Berlin Weltmeister und schließlich auch Olympiasieger. Zuvor hatte Goldmann seinen Posten als Bundestrainer räumen müssen, weil er bezüglich seiner Dopingvergangenheit als DDR-Trainer gelogen hatte. Harting blieb bei seinem Mentor, hat sich mit ihm „moralisch ausgesöhnt“. Mehrere Athleten der Nationalmannschaft forderten seine Rückkehr in das Amt als Bundestrainer, was schließlich auch der Fall war, Medaillenverlust drohte. Robert Harting ist heute als Anti-Doping-Hardliner bekannt, hat sogar auf die Nominierung zum Welt-Leichtathleten des Jahres verzichtet, weil er nicht mit einem überführten Ex-Doper auf der Bühne stehen wollte. Trotzdem fußt seine Karriere zu großen Teilen auf dem Wissen eines Trainers, der sich Dopingvergehen schuldig gemacht hat, ganz egal unter welchen Umständen. Michael Reinsch verabschiedete Robert Harting zum Karriereende mit „Respekt“, wo liegt hier der Unterschied zu Konstanze Klosterhalfen? Wo ist der Respekt, der ihrer Leistung gebührt?
Meiner Meinung nach wird sich hier übertrieben über etwas empört, das im Spitzensport gang und gäbe ist. Bedauerlich aber Realität. Wenn man jeden Funktionär und Trainer, dessen Vergangenheit mit Doping in Verbindung steht, zur Persona non grata macht, ist jeder Sport tot. Dessen müssen sich Athleten, Zuschauer und auch Journalisten bewusst sein. Sie können und sollen Missstände anprangern, aber dann bitte die ganze Geschichte und die Hintergründe nicht vergessen.
Konstanzes Leistung ist nachvollziehbar
Per se jeden deutschen Rekord den Konstanze Klosterhalfen läuft in den Dopingdunstkreis zu stellen, ist entweder respektlos oder inkonsequent, denn dann muss ich alle Medaillen in Frage stellen. Wie steigert sich jemand in zwei Jahren um fast 70cm im Weitsprung? Das wird nicht hinterfragt, stattdessen wird Heike Drechsler dazu zitiert, die mit ihren 7,48m als einzige DDR-Olympiasiegerin nicht in das flächendeckende Dopingsystem eingebunden war… ? Ich möchte gewiss nicht die Leistung von Malaika Mihambo schmälern, sondern lediglich aufzeigen, dass Reinsch und Kollegen mit zweierlei Maß messen.
Die Entwicklung von Konstanze Klosterhalfen entstand nicht über Nacht beim NOP, wie es journalistisch dargestellt wird. Sie ist bereits 2017 im Alleingang 14:51min mit einem großen Negativsplit bei ihrem 5.000m-Debüt gerannt und hat dabei, bis auf die Zweitplatzierte, das gesamte Feld überrundet. Die 3.000m ist sie ebenfalls 2017 schon in 8:29min gelaufen und hat sich zwei Jahre später auf 8:20min gesteigert. Nichts Ungewöhnliches mit Anfang zwanzig. Da wundere ich mich mehr darüber, dass der deutsche Halbmarathonmeister dieses Jahr seine 5km und 10km Bestleistung bei strömendem Regen auf Kopfsteinpflaster in der zweiten Rennhälfte aufgestellt hat.
Die EM-Saison 2018 war für Konstanze ein Verletzungsjahr, bei dem sie es gerade so noch in Berlin an den Start geschafft hat, aber nicht in Bestform. Die Trainer wussten nicht so recht, wie sie ihr Temperament im Zaum halten sollen. Konstanze hat häufig mehr und schneller trainiert, als sie sollte. In Portland ist alles anders, da wird penibel darauf geachtet, wie lange und wie schnell sie läuft, zur besseren Kontrolle eben auf dem Laufband. Taktisch hat sie auch dazu gelernt, vorbei die Zeiten, als sie ungestüm frühzeitig aus dem Feld die Flucht nach vorn antrat und doch wieder eingeholt wurde. Sportlich hat Konstanze Klosterhalfen alles richtig gemacht, bleibt zu hoffen, dass ihr das NOP nicht bis zum Ende ihrer Karriere nachhängt.
PS: DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska stellt im Interview mit der Welt fest, dass Konstanze Klosterhalfen „sich am Ende aber auch verantwortlich zeigt für Entscheidungen“. Mitreden will er, aber die Verantwortung von sich schieben, so wie bezüglich seiner eigenen Dopingvergangenheit als Hürdenläufer, die er mit dem DDR System entschuldigt. Da ist sie wieder, die Doppelmoral.