Natürlich zwickt es bei hohen Belastungen immer mal irgendwo. Meistens ist dies nicht mit nennenswerten Verletzungen verbunden, da es in der Natur der Sache liegt, dass der Körper versucht, sich selbst vor Überlastungen zu schützen. Auf der anderen Seite hört man als ehrgeiziger Sportler nicht immer auf die Signale seines Körpers. Komfortzone?! Zu wenig Training scheint untrennbar mit Leistungsschwäche assoziiert zu werden! Doch gerade Überlastungserscheinungen machen im Sport einen der häufigsten Gründe für Folge-Verletzungen aus.
Das Läuferknie (Syn.: ITBS, Iliotibialisbandsyndrom, Tractus-iliotibialis-Syndrom) ist die häufigste Ursache für Beschwerden auf der Außenseite des Kniegelenkes. Besonders oft sind davon Läufer betroffen, gefolgt von Radfahrern und Bergsteigern (besonders bergab). Um das Bild des ITBS zu verstehen, möchte ich euch die Anatomie des Tractus iliotibialis näherbringen. So bezeichnet man die straffe Sehnenplatte auf der Außenseite der Oberschenkel. Dieser Tractus entspringt aus den Sehnenfasern des Musculus tensor faciae latae und verläuft seitlich am Oberschenkel bis zum Schienbein (siehe Abbildung). In seinem Verlauf überspannt der Tractus iliotibilalis (ITB) das Hüft- und Kniegelenk und reduziert somit die Biegebeanspruchung des Oberschenkelknochens durch das sog. Zuggurtungsprinzip (physikalische Methode um die Biegebeanspruchung auf einen Knochen in eine Druckkraft umzuwandeln und dadurch asymmetrische Belastungen auszugleichen [1]).
In den meisten Fällen äußert sich ein Läuferknie durch stechende oder brennende Schmerzen im Bereich des erwähnten Epicondylus lateralis femoris. Typischerweise sind die Schmerzen nicht dauerhaft existent, sondern treten erst unter Belastung auf. Dort können diese zum Teil so stark werden, dass Laufen unmöglich wird. Nach der Belastung bleiben die Schmerzen jedoch nicht bestehen, sondern lassen in kurzer Zeit nach.
Die genaue Ursache des Läuferknies ist unbekannt, es existieren jedoch zwei Theorien zur Entwicklung des ITBS [2]. Eine Vermutung ist, dass es durch die Bewegung im Kniegelenk (wiederholtes Strecken und Beugen) zu einer Reibung und Irritation des Tractus am seitlichen Vorsprung des Oberschenkelknochens (Epicondylus lateralis femoris) kommt. Eine zweite These geht von einer Einklemmung der unter dem Tractus befindlichen Strukturen aus. Ob also der Tractus schmerzt oder doch eher der darunter liegende Schleimbeutel ist daher Gegenstand der aktuellen Forschung. Begünstig wird die Entwicklung eines ITBS durch folgende Faktoren [3]:
– Einen vorbestehenden straffen Tractus Iliotibialis
– Lange Belastungen und hohe Wochenumfänge
– Muskelschwächen der Kniestrecker und -beuger
– Schwäche der Beckenstabilisatoren (insb. Hüftabduktoren) => absinken der nicht belasteten Hüfte
– O-Beine (=varische Beinachse, Kniegelenk liegt seitlich der gedachten Verbindungslinie zwischen Hüftgelenk und Sprunggelenk)
Vereinfacht gesagt können alle Faktoren, die einen erhöhten Zug des Tractus nach sich ziehen, zum Läuferknie führen. Laut Dr. Michael Cassel [4] findet keine Entzündungsreaktion statt und es handelt sich vielmehr eine Art Reizzustand der betroffenen Stelle. Ob dabei auch tatsächlich die Sehne selbst gereizt ist oder doch eher der darunterliegende Schleimbeutel, ist derzeit noch nicht bewiesen. Wie sich also zeigt, kennt man heute viele Faktoren, die das ITBS begünstigen können. Die genauen Ursachen und der genaue Schmerzauslöser sind jedoch bislang noch ungewiss.
Dieser Aspekt macht natürlich eine allgemeingültige Therapieempfehlung schwierig. Dennoch kann heute unter konservativer Therapie eine Heilung innerhalb von 3 Monaten erfolgen [4]. Für viele ungeduldige und ehrgeizige Sportler dennoch eine lange Zeit. An oberster Stelle steht die Vermeidung der schmerzauslösenden Bewegung. In der ersten Akutphase empfiehlt sich zur Reduktion des Reizzustandes eine Therapie mit antientzündlichen Schmerzmitteln (NSAR wie z. B. Ibuprofen). Ebenfalls stellt die Physiotherapie eine wichtige therapeutische Säule dar. Laut Dr. Cassal gibt es für viele physiotherapeutische Maßnahmen wenige wissenschaftliche Belege [4]. Dennoch werden in der Praxis eine Kältetherapie (Schmerzreduktion), Wärmetherapie (Durchblutungssteigerung), Triggerpunkttherapie oder Querfriktion eingesetzt um die Schmerzen und die Reizung positiv zu beeinflussen.
Da der Tractus in der Mehrzahl der Fälle einen erhöhten Tonus hat, ist die Dehnung des Tractus und der Gesäßmuskulatur empfehlenswert. Ebenfalls kann man den Tractus durch einen gezielten Einsatz der Faszienrolle oder des Flossbandes auflockern und dadurch Spannung reduzieren. Um die sportliche Belastung nicht komplett auf das Sofa auszulagern, besteht die Möglichkeit von Alternativtraining. Insbesondere Aquajoggen wird aufgrund der geringen Gelenkbeanspruchung und reduzierten Belastung des Tractus häufig empfehlen.
Sollte dieser Weg nicht zu einer Linderung der Beschwerden führen, empfiehlt sich eine detailliertere Diagnostik mit Krafttests sowie einer Gang- und Laufanalyse [4]. Auch wenn die Schwäche der Hüftabduktion in der Entwicklung des ITBS kritisch angesehen wird, sollte im nächsten Schritt dennoch nach Defiziten in dieser Region gesucht werden. Durch gezielte Kräftigung der Gesäß- und Rumpfmuskulatur lässt sich das Becken stabilisieren und in der Folge die Spannung auf den Tractus vermindern. Zusätzlich kann ein spezifisches Beinachsen-Training Linderung verschaffen. Da Läufer mit einem O-Bein ein besonderes Risiko aufweisen, sollte über geeignete Schuhe nachgedacht werden und ob eine individuelle Einlage sinnvoll sein kann.
Innerhalb von 6-12 Wochen sollte sich mit den genannten Optionen der Einstieg in den Sport wieder realisieren lassen (soweit nicht immer wieder auf den Schmerz und über die Schmerzgrenze hinweg trainiert wird).
Im Bereich der Sportmedizin hört man immer mal das Stichwort Spritzen. Auch im Bereich des Läuferknies gab es dazu Studien, die einen positiven Effekt von Kortison-Injektionen bereits nach 14 Tagen zeigten [5]. Warum also 3 Monate auf Besserung warten? Leider wurden in dieser Untersuchung keine Langzeitergebnisse erhoben. Gerade Kortison führt nach längerer Zeit zu einer Gewebedegeneration und Experten raten derzeit eher zu einer zurückhaltenden Anwendung von Injektionen des Wirkstoffs.
Der Vollständigkeit halber möchte ich hier auch noch die Ultima ratio erwähnen. Denn was passiert, wenn alle oben genannten Therapieoptionen versagen? Neben dem konservativen Weg gibt es auch einen operativen Weg, welcher nur bei chronischen und therapieresistenten Patienten gewählt wird. Dabei wird der Tractus längs Z-förmig gespalten, um diesen zu verlängern und die Spannung zu reduzieren. Trotz der guten OP-Ergebnisse, wird dieser Weg nur selten gegangen. Operationen sind immer mit Risiken verbunden und in den meisten Fällen kommt es durch eine konsequente konservative Therapie zu einer Besserung und Ausheilung.
Fazit: Das Iliotibiale-Band-Syndrom entsteht klassischerweise durch eine Überlastung. Die genaue Ätiologie (Ursache) ist zwar noch nicht endgültig erforscht, aber in den meisten Fällen ist die konservative Therapie der Schlüssel zum Erfolg. Allen Sportlern, die gern mal die Komfortzone verlassen, muss dennoch klar sein, dass sich bei diesem Erkrankungsbild Geduld und Vernunft auszahlt. Daher zitiere ich an dieser Stelle nochmals Dr. Cassel: »Wenn man ein ITBS einmal hatte, ist das der erste Risikofaktor, dass man es wiederbekommt!« [4]. Nach der Ausheilung könnt ihr gern wieder die Komfortzone verlassen – solange ihr gewissenhaft auf die Signale eures Körpers hört!
Dieser Artikel stellt einen Überblick über das Krankheitsbild des Iliotibialen Bandsyndromes dar. Therapieoptionen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Abbildung: mit freundlicher Genehmigung von (c) Lukas Noreik
Quellen:
1. Schünke, M., Funktionelle Anatomie – Topographie und Funktion des Bewegungssystems. 2000: Georg Thieme Verlag.
2. Aderem, J. and Q.A. Louw, Biomechanical risk factors associated with iliotibial band syndrome in runners: a systematic review. BMC Musculoskelet Disord, 2015. 16: p. 356.
3. Beals, C. and D. Flanigan, A Review of Treatments for Iliotibial Band Syndrome in the Athletic Population. J Sports Med (Hindawi Publ Corp), 2013. 2013: p. 367169.
4. Hutterer, C., Der Tractus iliotibialis und seine Tücken. Dossier der Sportmedizin – Heft 4/2018, 2018.
5. Gunter, P. and M.P. Schwellnus, Local corticosteroid injection in iliotibial band friction syndrome in runners: a randomised controlled trial. Br J Sports Med, 2004. 38(3): p. 269-72; discussion 272.