Bereits in Berlin ist mir Timo über den Weg gelaufen, als er nach 21,0975km durchs Ziel „pace“-te, Richtung Zaun lief, sich abstützte und erst einmal tief durchatmen musste.
Dieser Moment, wenn die Läufer nach der gebündelten Höchstleistung zwischen Start und Ziel hinter der Linie schließlich abrupt zum Stehen kommen, dabei aber für einen Moment noch immer neben sich stehen. Zunächst also noch leicht taumelnd, bis sie wieder langsam zu sich finden. Sie beißen und kämpfen bis auf den letzten Meter. Schleppen sich ins Ziel, denn unterwegs kommen nicht selten Stolperfallen auf – kleine oder größere Hindernisse. Ob ein plötzliches Kräfteversagen oder tatsächlich nur eine leere Trinkflasche, die man im fokussierten Flow einfach übersieht.
In Hannover baute sich jener Stolperer unglücklicherweise auch bei Timo ein. Er stürzte, stand aber sofort wieder auf und zog das Rennen durch. Schaffte es so noch als 16. ins Ziel, war damit allerdings fast zwei Minuten langsamer als in Berlin (1:06:21h). Immerhin reichte es neben Sebastian Reinwand und Julian Flügel in der Teamwertung für den dritten Platz (zweites ART-Team Düsseldorf).
In diesem schnellen Vorbeilaufen hat man wenig Gelegenheit, die Läuferinnen und Läufer näher kennenzulernen und kann höchstens ein kurzes Fazit zum Rennen abfangen. Deshalb musste ich Timo zu einem anderen Zeitpunkt mit meinen neugierigen Fragen löchern.
Von Anfang an trafen meine Anfragen auf eine sehr aufgeschlossene Person, was sich auch in den Antworten zeigte. Kaum einer hat sich bislang so viel Mühe gegeben, die Fragen derart ausführlich zu beantworten und bot mir auch im Nachhinein an, bei weiteren Fragen auch persönlich in Hannover auf ihn zukommen zu dürfen. Für mich jedes Mal aufs Neue spannend, wie Menschen nach Außen wirken und welch eine Geschichte sich letztlich hinter diesem Bild versteckt.
Angefangen hat es wie so häufig auch bei Timo mit Fußball. Spontan startete er dann bei einem Volkslauf in seinem Heimatdorf (Mehrstetten) über 10km. Zielzeit: 41Min, was zugleich Rang 41 bedeutete.
„Die Woche darauf, bin ich dann in Münsingen beim dortigen Volkslauf den Schülerlauf gelaufen, wo ich gleich einen der vorderen Plätze erreichen konnte. Nach dem Lauf bin ich dann zurück in mein Heimatdorf Mehrstetten gelaufen (ca. 8km), um dann noch die zweite Halbzeit für mein Fußball-Team zu spielen.“
Noch musste Timo beides unter einen Hut bekommen, sodass er zwangsläufig auch so schnell auf seine Wochenkilometer kam.
In seinem ersten Jahr (2016) als ‚reiner Läufer‘ konnte sich Timo gleich für die Deutschen Jugendmeisterschaften qualifizieren, was ihm zeigte, dass er den Ball getrost links liegen lassen kann.
Laufen gibt ihm nicht nur die Möglichkeit, ganz bei sich zu sein, sondern es sich auch jeden Tag aufs Neue beweisen zu können.
„Es gibt keinen ehrlicheren Sport als das Laufen. Ein Mann gegen Mann, gegen die Zeit. Das, was man rein steckt, bekommt man in den meisten Fällen auch wieder heraus! Es gibt keine Abkürzungen (keine ’short-cuts‘), es gibt nur harte, ehrliche Arbeit. Ich selbst bin für meine eigene Leistung verantwortlich.“
Dabei legt Timo im Training grundsätzlich sehr viel Wert auf ein gutes Gefühl. „Bei meinen lockeren Läufen laufe ich eigentlich immer, ohne auf die Uhr zu schauen. Es ist egal, ob ich 4:00/km laufe, oder 5:00/km, ich laufe nur nach Gefühl.“ Was scheinbar mitverantwortlich ist, dass Timo glücklicherweise eigentlich so gut wie nie verletzt ist. Er übertreibt es einfach nicht.
Das Training muss halt auch Spaß machen!
Neben dem extremen Ehrgeiz begleitet ihn stets ein Lächeln, um die Dinge nicht zu verbissen anzugehen, selbst wenn es mal nicht so läuft. Allerdings kollidiert diese Einstellung mit seiner Ungeduld, „was ein Problem im Laufsport ist, da Formaufbau einfach Wochen bis Monate braucht und ich meistens nicht so lange warten kann, ohne anzufangen, zu zweifeln.“
Timo braucht eine gewisse Kontinuität und Verlässlichkeit im Leben. Besonders auch unter seinen Freunden, mit denen man sich im Vertrauen und mit gegenseitigem Verständnis begegnet. Menschen, die aufrichtig hinter bzw. zu einem stehen. Das ist wie mit der Leidenschaft fürs Laufen. Wer sich die Freude dabei erhält, der steht auch gänzlich dahinter! „Sobald mir z.B. Laufen keinen Spaß mehr macht, werde ich auch kein Problem haben, von heute auf morgen einfach damit aufzuhören.“
Timo macht sich bei seinen Leidenschaften also selbst nichts vor und tritt sich selbst, seinen Vorlieben und Mitmenschen ehrlich gegenüber. So schafft er sich ein sicheres Gerüst, das ihm hilft, plötzlich aufkommende Probleme und Schwierigkeiten gut zu meistern.
Besonders die Zeit in den USA hat ihn dahingehend geprägt.
„Unfassbar, mit welcher Einstellung die dort in den Wettkampf gehen. Selbst Leute, die wesentlich langsamer sind als ich, gehen an den Start und denken ‚Heute gewinne ich‘, geben dann auch alles, bis zur Erschöpfung. Da war ich sehr beeindruckt, da ich doch eher immer ein Zweifler bin.“
Diese Einstellung – „Alles ist möglich“ – war und ist für Timo extrem beeindruckend. Während er früher kurz vor dem Start oftmals zu verängstigt oder eingeschüchtert war, ist er mittlerweile eigentlich sehr ruhig und versucht, auch beim Aufwärmen noch Spaß zu haben.
„Ich denke daran, wie glücklich ich mich schätzen kann, in solch einer Situation zu sein, wo ich mich mit den Besten in Deutschland messen darf, auf den besten Strecken.“
Meistens steht er dann am Start und denkt sich: „Ich habe alles für diesen Tag gegeben, falls es heute nichts wird, kann ich mir keinen Vorwurf machen! Daher verschwende ich die Zeit eigentlich nicht mehr damit, an mir zu zweifeln, sondern gehe raus und renne so hart wie es nur geht, denn das ist der Grund, warum wir alle jeden Tag trainieren.“
Für Timo geht es darum, sein Maximum rauszuholen. Am Wettkampfstag selbst hat man sowieso keinen Einfluss auf die Umstände. Sie sind für alle gleich.
Seine persönlich größten Erfolge bislang waren der Deutsche U23-Meistertitel über 10.000m (2012), wo Timo das erste Mal unter 30:00 Minuten laufen konnte. Letztes Jahr konnte er schließlich in Stanford (USA) die 29Min-Marke brechen (28:57Min).
Die USA haben ihm gezeigt, was mit tatkräftiger Unterstützung möglich ist. „Dort habe ich die idealen Voraussetzungen vorgefunden und mich innerhalb von drei Jahren um eine Minute über die 10.000m auf 28:57 verbessern können. Ich weiß aber auch, dass das noch nicht mein Limit ist und ich mit geeigneter Unterstützung wesentlich schneller laufen könnte. Leider hat mich nach meiner Zeit in den USA auch noch kein Offizieller vom DLV kontaktiert oder gefragt, was meine nächsten Ziele sind. Und das zeigt einfach die Wertschätzung unseres Sportes hier. Das habe ich in den USA einfach von der anderen Seite kennen gelernt, wo wir für gute Leistungen wirklich fast schon gefeiert wurden wie Helden.“
Langfristig soll es lang werden! Im Herbst plant Timo daher seinen ersten Marathon. Dieser soll zugleich über seine weitere Zukunft entscheiden: „Ob es weiterhin Sinn macht, dem Laufsport in dem jetzigen Umfang treu zu bleiben.“ Denn Timo weiß, dass man ohne die richtige Unterstützung nicht weit kommt. Er wird sich danach entscheiden müssen, ob er noch weiterhin Leistungssport machen möchte oder Vollzeit in den Beruf einsteigen wird.
Natürlich hat auch Timo, wie viele andere Sportler, das Ziel, 2018 in Berlin bei der Heim-EM am Start zu sein oder eventuell auch bei den Olympischen Spielen 2020. Aber leider geht das ohne eine gewisse Hilfestellung eben nicht.
Fest steht: „Laufen habe ich schon immer geliebt, und langes Laufen eben noch mehr, daher hoffe ich, dass das Marathontraining mir entgegen kommt, da mir auf den kürzeren Distanzen eben auch die Schnelligkeit fehlt.“
Fazit: Die nächsten Monate werden wegweisend sein!