In unserer neuen Serie „Loslassen“ unterhalten wir uns mit Sportlern und Sportlerinnen, die ihre sportliche Karriere beendet haben. Wie fühlt es sich an, sich plötzlich nicht mehr hinter der Startlinie, sondern in der Zuschauerposition wiederzufinden? Fällt der Abschied schwer? Was bringt das Leben ohne Leistungssport so mit sich? Wir haben bei Jenny Wenth nachgefragt…
Larasch.de : Jenny, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es dir?
Jennifer Wenth : Sehr gut.
Wie sah dein Tag heute so aus?
Ich schreibe momentan an meiner Masterarbeit, deshalb habe ich heute schon einige Zeit hinterm Schreibtisch verbracht. Außerdem war ich in der Früh schon beim Reiten. Später werde ich wahrscheinlich noch eine Runde laufen gehen, mal sehen.
Das klingt ja trotzdem nach einem nach wie vor recht sportlichen Alltag, oder?
Klar, ich werde immer irgendwie Sport machen. Jetzt eben nicht mehr leistungsorientiert. Ich mache, worauf ich Lust habe. Auch das, worauf ich früher aus Vorsicht oder Zeitmangel verzichtet habe: Ich war seit ich ein Kleinkind war nicht mehr Eislaufen. Das konnte ich jetzt endlich wieder machen. Auch solche Sachen wie Trampolinspringen, Reiten, im Tiefschnee Skifahren oder einfach mal für ein paar Tage auf eine Wandertour gehen ohne eine Saisonvorbereitung berücksichtigen zu müssen. Ich genieße das total und habe wahnsinnig viel Spaß dabei, ganz neue Dinge zu erleben.
Fällt dir das Loslassen vom Leistungssport gar nicht schwer?
Eigentlich habe ich gar nicht viel Zeit, dem Leistungssport hinterher zu trauern. Ich habe einfach voll viel zu tun. Ich habe so viele neue Projekte in Angriff genommen: Meine Masterarbeit, ich versuche mich als Trainerin, möchte andere Menschen für den Sport begeistern. Vor allem Kinder und Jugendliche. Außerdem gebe ich Laufseminare und möchte eine Laufgruppe aufbauen.
Das klingt so, als hättest du dich nicht wirklich vom Laufen getrennt.
Nein, das kann ich gar nicht, glaube ich. Zwar hält mein Körper großen Laufbelastungen nicht mehr stand, was ja auch letztlich der Grund für das Ende meiner aktiven Karriere war. Aber lockeres Laufen ist nach wie vor möglich. Wenn ich ab und zu meinen Freund (Christoph Sander Anm. d. Red.) bei einem Dauerlauf begleite, klappt das vom Tempo zwar schon noch, aber danach habe ich meistens wieder Schmerzen.
Dein Freund betreibt weiterhin Leistungssport. Wird sich deshalb dein Umfeld gar nicht allzu sehr ändern?
Nein, nicht großartig. Ich sehe viele Trainingskameraden weiterhin regelmäßig und an meinem Freundeskreis aus der Uni, wo ja die wenigsten selbst Sportler sind, bleibt natürlich alles wie zuvor.
Wie haben deine Freunde und deine Familie auf deine Entscheidung reagiert, deine aktive Karriere als Sportlerin zu beenden?
Ich hatte schon immer im Sport die vollste Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde. Ich bekomme viel Verständnis für das, was ich tue und das was ich in Zukunft tun möchte. Ich konnte immer ganz offen über meine Gefühle und meine Gedanken reden und es hat mich zum Glück niemand gedrängt, den Sport weiter zu machen. Es hieß eigentlich von allen Seiten: Wenn du es nochmal versuchen möchtest, stehen wir an deiner Seite. Wenn du es bleiben lassen willst, sind wir genau so für dich da. Das gibt ein gutes Gefühl.
Wie kamst du dann zu dem Entschluss, den Leistungssport hinter dir zu lassen? War das ein schleichender Prozess oder gab es da ein Schlüsselerlebnis?
Nein, das hat sich über die letzten Jahre hingezogen. Ich konnte über viele Monate hinweg gar nicht leistungsmäßig trainieren, dann eine Zeitlang wieder ein bisschen, dann traten neue Probleme mit dem Rücken auf… Es war ein ständiges Auf und Ab und wenn du dann allmählich realisierst, wie lange du schon nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen konntest, beginnt man irgendwann, sich zu fragen, ob es denn noch das Richtige ist. Ich bin der Meinung, wenn der Gedanke aufzuhören, nicht mehr schmerzt oder Angst macht, ist der richtige Zeitpunkt gekommen.
Hattest du denn noch konkrete Ziele, die du nun nicht mehr erreichen wirst?
Nein, keine bestimmten. Nach den Olympischen Spielen in Rio 2016 war ich zwar noch voller Tatendrang und dachte: Da geht noch was, jetzt will ich es nochmal wissen. Aber das darauffolgende Jahr war erneut eine einzige Katastrophe. Als es dann diesen Dezember schon zum zweiten Mal nicht mehr mit der Cross-EM geklappt hat, war ich sehr enttäuscht. Es gibt schon Dinge, die ich gerne noch erlebt hätte, zum Beispiel eine Cross-WM oder internationale Wettkämpfe im Berglauf. Das wäre ja von der Belastung für den Rücken sogar besser als Laufen in der Ebene, aber das Training dafür verursacht genau so Probleme. Der Körper macht einfach nicht mehr mit, das muss ich akzeptieren.
Was wirst du am Leistungssport vermissen?
Generell den Kontakt zu Athleten aus den verschiedensten Teilen der Welt: Auf internationalen Wettkämpfen lernt man so viele Leute kennen und es ist jedes Mal wunderschön, wenn man jemanden trifft, den man schon seit Jugendjahren kennt. Gerade bei der Cross-EM hat man immer so viele Gesichter wiedergesehen. Diese Sportler kann ich ja nur schwer auf andere Weise treffen, deshalb wird mir das fehlen. Genauso wie das Herumreisen zu Wettkämpfen, man lernt so viele andere Länder kennen.
Was war das schönste Erlebnis in deiner sportlichen Karriere, an das du gerne zurückdenkst?
Ich erinnere mich an ein tolles Rennen mit Maren Kock. Wir hatten beide in einem gemischten Lauf über 5000m die Norm für die Europameisterschaft 2014 in Zürich geschafft. Daraufhin wurde in Regensburg ein Lauf organisiert, in dem Maren und ich uns gegenseitig helfen konnten und wir beide die Norm auch regelkonform in einem Frauen-Rennen geknackt haben. Da wurden quasi zwei „Konkurrentinnen“ zusammengebracht, die dann gemeinsame Sache gemacht haben.
Was planst du nun für die kommenden Jahre?
Ich will unbedingt Leute für den Sport und besonders fürs Laufen begeistern. Ich will zeigen, wie viel Spaß es mach und sie dabei unterstützen, Ziele zu erreichen. Ich will Trainingsgruppen leiten und besonders junge Mädels coachen. Ich studiere ja Trainingstherapie, da gehört das sowieso zu meinem zukünftigen Berufsfeld. Natürlich muss ich da jetzt erst reinwachsen, mache ich jetzt quasi wieder erste Schritte auf einem neuen Gebiet. Aber es macht mir so viel Spaß, ich genieße es Tag für Tag.
Liebe Jenny, wir wünschen dir alles Gute auf deinen neuen Wegen!