Der Markt an physiotherapeutischen Hilfsmitteln boomt aktuell. Das sogenannte myofasziale System (Einheit aus Muskel mit umgebender Faszie) ist in aller Munde. Viele haben und nutzen eine Faszienrolle, um ihr Training zu ergänzen. Ob in der Aufwärmung oder in der Nachbereitung, die Einsatzmöglichkeiten sind fast so vielfältig wie die unterschiedlichen Hilfsmittel selbst. Relativ neu und noch ein wenig unbekannter scheint mir hingegen das „Medical Flossing“. Für diese Methode der Selbstbehandlung bindet man sich mit einem speziellen Gummiband schmerzhafte Körperregionen ab (z.B. Knie, schmerzhafte Muskeln). Dadurch erreicht man eine Kompression des Gewebes, welche man durch aktive oder passive Bewegungen verstärkt.
Ursprünglich stammt dieses Konzept aus der Antike, wo schon Gladiatoren mit Abschnürrbandagen eine Leistungssteigerung erzielen wollten. Erst vor wenigen Jahren nahm sich ein amerikanischer Physiotherapeut des Themas wieder an und untersuchte die Wirkung im praktischen Einsatz. Bis heute gibt es allerdings nur wenig Literatur und Erkenntnisse zu dieser Methode. Dennoch werden in der heutigen Praxis gute therapeutische Ergebnisse erzielt. Laut Andreas Ahlhorn, einem der deutschen Vorreiter auf dem Gebiet des Flossing, wirkt sich die Therapie mit dem Latexband vor allem auf das lymphatische, myofasziale und vegetative System aus. In den letzten Jahren wurden daher folgende Wirkungsprinzipien aufgestellt, die den Effekt erklären sollen [1]:
1. Schwammeffekt: Die Gewebekompression blockiert den venösen Rückstrom und hemmt den arteriellen Zufluss. Das Gewebe wird gleichsam „ausgepresst“ und somit lymphpflichtige Substanzen und Abbauprodukte schneller abtransportiert. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Bewegung während der Kompression. Nach dem Lösen des Flossbandes kommt es zu einer reaktiv erhöhten Durchblutung und damit verbundenen erhöhten Nährstoffversorgung der myofaszialen Strukturen. In den Gelenken wird die Schleimhaut (Synovia) angeregt und resorbiert verstärkt Gelenkflüssigkeit. Ein Effekt, der in der Behandlung von akuten Verletzungen mit Schwellung hilfreich sein kann.
2. Kinetic Resolve: Schon während des Tragens hat das Flossband einen direkten, mechanischen Einfluss auf das myofasziale System. Durch das Verschieben von Faszien, subkutanem Gewebe, Muskeln und knöchernen Strukturen gegeneinander, lösen sich nach Meinung von Experten Quervernetzungen. Theoretisch soll sich dadurch eine verbesserte Beweglichkeit der unterschiedlichen Gewebeschichten ergeben.
3. Schmerzhemmung: Die Kombination von Kompression, Bewegung und Belastung übt einen merklichen mechanischen Reiz auf das Behandlungsgebiet aus. Dieser stimuliert sogenannte Mechanorezeptoren in der Haut, welche die Schmerz- (nozizeptive) Weiterleitung im Hinterhorn des Rückenmarks hemmen. Daher werden Schmerzreize unterdrückt.
Wo findet das Flossing Anwendung? – Indikation [2]:
· Schmerzen
· Bewegungseinschränkungen des aktiven oder passiven Bewegungsapparates
· Störung von Heilungsprozessen
· Optimierung von Regenerationsprozessen nach Belastungen
· lokales Hypoxietraining
Aus den Indikationen leiten sich folgende therapeutische Ziele ab [2]:
· Schmerzreduktion
· Bewegungsverbesserung
· Reduktion von Ödemen (Schwellungen)
· Optimierung von Heilungsprozessen
· Optimierung der Leistungsfähigkeit
Für die unterschiedlichen Einsatzgebiete am Körper gibt es unterschiedlich starke und dicke Flossingbänder. Die Anwendung bleibt dennoch bei allen Anwendungen prinzipiell gleich. Generell ist zu beachten, das Flossingband immer in Richtung Körpermitte zu binden. So wird schon beim Anlegen gewährleistet, dass ausgepresste Stoffwechselprodukte nicht in den Extremitäten versacken, sondern in den Kreislauf (zurück-)transportiert werden. Je nach Anwendung gibt es zwei Optionen bezüglich der genutzten Zugstärke. Bei vermehrter Schwellung empfiehlt sich ein gleichbleibender Zug von ca. 50%. Hingegen kann bei lokalen Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen speziell in diesem Abschnitt den Zug auf 60-70% erhöht werden. Nach dem Anlegen des Bandes sollte man das Gelenk bzw. den Muskel aktiv oder passiv für 2-3 Minuten bewegen, bevor das Flossingband wieder entfernt wird.
Die Behandlung mit dem Flossingband kann schmerzhaft sein und gelegentlich zu Hämatomen führen. Aber wann ist eine Behandlung vom Physiotherapeuten mal nicht schmerzhaft…? Dennoch gibt es auch Personen, die bei Anwendung dieser „Therapie“ vorsichtig sollten. Wie bei der Lymphdrainage kommt es nämlich auch hier zu einer deutlich erhöhten „Lymphlast“. Eine Kontraindikation wird daher für Patienten mit offenen Wunden, akuten Traumata, malignen Erkrankungen (Tumore), akuten Entzündungen, Gefäßerkrankungen und Herzinsuffizienz ausgesprochen [1].
Nach heutigen Stand finden sich keine Belege für die definitive Wirksamkeit dieser therapeutischen Methode. Aus Pilotstudien und praktischen Anwendungen wurden allerdings bereits viele positive Ergebnisse bei den genannten Indikationen erzielt. Diese Tatsache könnte zur Schlussfolgerung führen: „Wer heilt, hat Recht!“. Trotzdem darf man auf weiterführende Studien zu diesem Thema gespannt sein.
Quellen:
1. Ahlhorn, A., Schmerzfrei und beweglich durch Abbinden – Medical Flossing. physiopraxis, 2015: p. 35-37.
2. Gisela Ebelt-Paprotny, G.T., Ursula Wappelhorst, Leitfaden Physiotherapie. Vol. 7. 2017: Elsevier Health Sciences.