„Teamgeist ist das Gefühl von Stolz und Loyalität, das unter den Mitgliedern eines Teams existiert und was sie dazu antreibt, sich persönlich maximal für die Mannschaft einzusetzen um die besten Resultate für diese zu erzielen.“
Eine kurze Einleitung
Im Schatten der zahlreichen Laufmeetings fand am 21.05.(2017), in Podebrady/Tschechien, der Europacup im Gehen statt. Schon zwei Tage zuvor reiste die deutsche Mannschaft zum Austragungsort. Mit 14 Athleten und einem Betreuerstab bestehend aus dem 3 Trainern, Physiotherapeut und Teamarzt, hatte die deutsche Mannschaft unter der Leitung des leitenden Bundestrainers eine nahezu rekordverdächtige Größe.
Die ersten Stunden am WettkampfortNach einer ersten individuellen Trainingseinheit auf der Wettkampfstrecke verbrachte die Mannschaft nach einer vergleichsweise kurzen Reise den Freitagabend im Hotelzimmer. Auch erste Massagen und Behandlungen durch Physiotherapeut und Arzt wurden in Anspruch genommen, um die durch die Reise müden Beine aufzulockern.
Nach einer erholsamen Nacht trafen sich die deutschen Geher am nächsten Morgen zu der ersten Teamsitzung. Bundestrainer Ronald Weigel begrüßte alle angereisten Athleten noch einmal offiziell und richtete einige erste Worte an die Mannschaft.
Danach ging es für den Großteil der Athleten gemeinsam zum abschließenden Training. Auf der Wettkampfstrecke herrschte nun schon reger Verkehr. Auch viele andere Nationen trainierten, die Aufbauarbeiten waren im vollen Gange. Man traf bekannte Sportler anderer Länder, hielt vor und nach dem Training einen kleinen Smalltalk, machte ein paar letzte Steigerungen oder Technikübungen. Auch die mit viel Aufwand gestaltete Strecke wurde nun als Fotomotiv genutzt.
Der Abend davor
Die Gestaltung des Nachmittags und Abends verlief dann wieder individueller, da jeder eigene Rituale und eine persönliche Vorstellung hat, was die optimale Wettkampfvorbereitung betrifft. So traf sich ein Teil der Mannschaft bei Kaffee und Kuchen, einige trainierten noch einmal, andere blieben auf dem Hotelzimmer oder ließen sich von Physiotherapeut Marco Pelz oder Teamarzt Dr. Matthias Kieb behandeln.
Um 20:00 Uhr stand dann die zweite Teamsitzung an. Nun auch mit dem extra aus Karlsruhe vom Läufermeeting angereisten leitenden Bundestrainer, Thomas Dreißigacker.
Vermittelt wurde von ihm, Ronald Weigel und Teamkapitän Christopher Linke, das beim Europacup vor allem das Team im Vordergrund steht.
Ein kleiner Exkurs zur Mannschaftswertung
In der Jugend sowie bei den Erwachsenen Aktiven gibt es pro Distanz und Geschlecht eine Einzel- und eine Teamwertung. So werden bei den Erwachsenen die drei Besten des Teams der jeweiligen Distanz (20km, 50km), bei der Jugend die zwei Besten des Teams gewertet (10km). Die Platzierungen der jeweiligen Teilnehmer der Nation werden dann addiert und das europäische Team mit der geringsten Punktzahl gewinnt den Europacup über die entsprechende Strecke.
Individuelle Ziele versus Teamwertung
Diese Teamwertung bedeutet für alle Athleten vor allem eins- kämpfen um jeden Platz. Auch Teamkapitän Christopher machte dies in seiner Ansprache noch einmal deutlich indem er sagte, dass selbstverständlich jeder persönliche Ziele habe, aber es auch ganz klar um das Team geht und man in diesem Fall seine eigenen Zielen hinten anstellen müsse, falls dies nötig ist.
Diese Worte richteten sich auch an die 50km Geher Carl Dohmann, Karl Junghannß und Nathaniel Seiler. Bei 50km kann viel passieren, man kann Magenprobleme oder Krämpfe bekommen. Über diese Distanz ist es schwer vorherzusagen, wie ein Wettkampf enden wird. Nicht selten kommt es vor, dass Athleten das Rennen vorzeitig beenden. Christopher betonte hier ganz klar, dass das Hauptziel sein sollte, das jeder über 50km ins Ziel kommt. (Wie man Teamgeist lebt, konnte man rund 15 Stunden nach dieser Ansprache am 50km deutlich sehen.)
Zum Abschluss der Teamsitzung, durfte jeder den vor 2 Jahren errungenen Pokal für den ersten Platz in der Teamwertung über 20km, beim Europacup in Murcia/Spanien, in den Händen halten und streicheln, denn das soll bekanntlich Glück bringen.
Die Königsdisziplin
Am Morgen danach um 08:00 Uhr waren dann die 50km Geher gefragt. Zu Beginn des Rennens waren alle Deutschen in der Spitzengruppe vertreten. Karl Junghannß führte die Gruppe sogar teilweise an. Die anderen Team Mitglieder kamen unter anderem bei ihrem Auftakt an die Strecke um die „50er“ zu unterstützen. Andere feuerten sie an, während sie sich für ihren eigenen Wettkampf erwärmten. Aber auch auf TV, Laptop oder Handy schaute das deutsche Team den Livestream und drückte die Daumen. Ab Kilometer 35 kamen dann bei Karl und Carl erste Probleme auf. Karl, vom Team auch liebevoll Bleistift genannt, hatte mit muskulären- und Carl mit Magenproblemen zu kämpfen. Beide konnten ihr Tempo nicht mehr halten, mussten teilweise anhalten und hatten stark zu kämpfen. Nun musste sich Nathaniel allein durch die verbleibenden Kilometer beißen. Bei der Überrundung von Karl J. versuchte dieser mit Nathaniel mitzugehen und ihn ein wenig zu unterstützen. Nach einem harten Rennen beendete Nathaniel in einer persönlichen Bestzeit von 3:55:13h als starker siebter den Wettkampf.
Karl folgte mit 4:07:23h auf Platz 18, vor Carl mit 4:17:19h, Platz 21. Beide C/Karls blieben weit hinter ihren Möglichkeiten. Sie kamen mit rund 14 sowie 30 Minuten hinter ihrer Bestzeit ins Ziel.
Aber sie haben den Wettkampf beendet und somit wahren Teamgeist bewiesen. Beeindruckend und motivierend zugleich, war dies, für die gesamte deutsche Mannschaft.
Der erste deutsche Europa-Cup-Sieger
Das zweite Rennen des Tages stand um 10 Uhr an. Nun begaben sich die U20 Athleten über 10km auf den Weg. Leo Köpp, der Favorit im Feld, reihte sich kurz nach dem Startschuss in der Führungsgruppe ein, in welcher er bis Kilometer 8 verweilte. Auf dem letzten Kilometern erkämpfte er sich mit einer schönen Endbeschleuinigung dann noch einen beachtlichen Vorsprung und erreichte das Ziel auf Platz 1 in persönlicher Bestzeit von 41:08min. Noch nie zuvor ist es einem deutschen Geher gelungen einen Europacup zu gewinnen. Leo war somit der erste deutsche Geher, der einen Europacup gewinnen und somit für sich entscheiden konnte. Der nächste Paukenschlag und Grund zum Jubel für die gesamte deutsche Mannschaft.
Doch auch Jan Stramka und Johannes Frenzl lieferten sich ein packendes Rennen. Beide starteten zum allerersten Mal im Nationaltrikot und nutzen das internationale Feld zu ihren Gunsten. Sie verbesserten ihre Bestzeiten enorm. Johannes um rund eine Minute, er bestätigte somit noch einmal die Norm für die U18 Weltmeisterschaften in Nairobi/ Kenia und beendete das Rennen in 44:15min auf Position 16. Diese Norm stand für Jan noch aus, doch auch er schaffte sie. Mit 44:33min steigerte er sich um rund 1:20min und kam als 20er ins Ziel. Durch ihre beeindruckenden Einzelleistungen sicherten sich die drei deutschen U20 Athleten zudem noch den 4. Platz in der Mannschaftswertung.
Einzelkämpferin bei den Frauen
Als die Sonne am höchsten stand, um 13:00 Uhr, folgte das Rennen der Frauen über 20km
Favoritin auf den Sieg war die Italienerin Antonella Palmisano. Die 25-Jährige wurde im vergangenen Jahr 4. bei den Olympischen Spielen in Rio und zeigte in beeindruckender Weise, wie man ein Wettbewerb absolvieren kann. Ihrer Favoritenrolle bewusst setzte sie sich vom Start weg an die Spitze des Feldes und absolvierte die 20km Runden allein im „Windschatten“ des Kameramotorrades. So hatte sie im Ziel noch Zeit die Landesflagge entgegen zu nehmen und damit die Ziellinie in starken 1:27:57h zu überqueren. Als Einzelkämpferin war dagegen mit Emilia Lehmeyer die Vertreterin Deutschlands unterwegs. Auf dem Weg zu den U23-Europameisterschaften konnte sie ihre Bestzeit auf 1:34:31h erneut verbessern.
Souveräner Sieg durch Christopher Linke
Am Nachmittag um 16:00 Uhr folgte das Rennen mit der größten Teilnehmerzahl. 68 Herren waren nun über die 20km Distanz gefordert. Unter ihnen 4 deutsche Athleten. Christopher Linke, Hagen Pohle, Nils Brembach und Jonathan Hilbert. Sie hatten hohe Erwartungen an sich selbst, denn man ging als Titelverteidiger der Mannschaftswertung an den Start. Zudem führte Christopher die europäische Bestenliste über 20km an.
(Es gab also einiges zu beweisen/verlieren.)
Nach ersten hektischen und von Körperkontakt geprägten Metern sortierten sich die Deutschen Geher im Feld ein. Christopher in der Führungsgruppe, die drei anderen folgten dahinter. Die Führungsgruppe setzte sich nach einigen Runden ab. Hagen, Nils und Jonathan hielten sich bis zur Halbzeit zusammen im Feld der Verfolger auf. Bei Kilometer 13 musste Jonathan dann dem hohen Anfangstempo Tribut zollen. Hagen und Nils versuchten weiter zusammen zu bleiben und den anderen Paroli zu bieten.
Derweil setzte sich Christopher an der Spitze von den anderen der Führungsgruppe ab und bestimmte das Rennen. Runde für Runde kämpfte er gegen sich selbst und beendete das Rennen in einer beeindruckenden Vorstellung als 1. mit einer Top Zeit von 1:19:28h und rund einer Minute Vorsprung auf den Zweitplatzierten. Das erste Mal in der Geschichte des Europacups, dass ein Deutscher Geher die 20km gewann. Das nächste Ausrufezeichen an diesem ereignisreichen Tag.
Schon die ersten Fotos von sich machen lassend und den Sieg feiernd, hatten die anderen drei des Teams noch circa einen Kilometer zurückzulegen. Nach einem starken Kampf beendete Nils in 1:23:04h als 16. zwei Plätze vor Hagen, welcher mit 1:23:24h ins Ziel kam. Trotz der nicht geschafften angestrebten Leistung, kämpften beide bis zum Schluss und sicherten somit dem deutschen Team die Silbermedaille im Team über die 20km der Männer.
Nach 1:24:43h und einer mutigen ersten Hälfte beendete Jonathan sein Rennen auf Platz 27.
Außer Christopher war keiner der Jungs zufrieden mit der Einzelleistung, doch der zweite Platz im Team war ein Trostpflaster für alle drei und eine weitere Medaille für die deutsche Mannschaft.
Alle für den Erfolg
Ob mit der persönlichen Leistung zufrieden oder nicht, interessierte nach dem Wettkampf nur wenige Minuten. Denn nach dem eigenen Rennen fiel bereits der nächste Startschuss. Und dann kam der Teamgedanke wieder auf. Egal ob bereits 10km, 20km oder 50km zurückgelegt, hieß es nach einer kurzen Erholung wieder an die Strecke zu gehen und die geraden aktiven Teammitglieder zu unterstützen. Die schnelle 1km-lange Runde im Kurpark der Stadt an der Elbe eignete sich perfekt zum Anfeuern. Mit einem kurzen Spurt auf die andere Seite des Parks konnten die Teammitglieder fast alle 500m unterstützt werden. Ob mit wehenden Fahnen, mit lauten Rufen oder Tröten wurde versucht vom Streckenrand aus zu unterstützen. So auch beim abschließenden 10km Gehen der weiblichen Jugend.
Auch hier war mit Teresa Zurek wieder eine deutsche Vertreterin im Favoritenkreis. So bildete sich auch sofort das erwartete Spitzentrio. Neben Teresa war hier die Türkin Meryem Bekmez und die unter der Flagge des europäischen Verbandes startende Russin Yana Smerdova. Die drei belauerten sich auf ihren Runden und so war das Tempo für die 3 auch eher moderat. Runde um Runde wurde das Rennen für die außenstehenden spannender. Alle drei zeigten keinerlei Anstrengung und man wartete gespannt, wer zuerst die Entscheidung sucht. Am Streckenrand versuchten die Teammitglieder alles zu geben, um die Wettkämpferinnen zu unterstützen. Den entscheidenden Antritt setzte die Russin und gewann in 46:39min doch noch souverän. Im Kampf um Platz 2 blieb es bis 100m vor dem Ziel spannend. Am Streckenrand liefen Türken und Deutsche mit und schrien ihr Team Richtung Ziel. Teresa landete schließlich auf Platz 3 und legte den Grundstein für Bronze in der Teamwertung. Hier dem spannenden Geschehen an der Spitze zeigten nämlich auch Julia Richter mit Platz 11 und Julia Henze mit Platz 20 gute Leistungen.
Insgesamt 5 Medaillen im Gepäck
Mit 5 Medaillen im Gepäck konnte sich die deutsche Mannschaft wieder zufrieden auf den Heimweg begeben. So schaffte man eines der erfolgreichsten Abschneiden einer deutschen Mannschaft bei einem Europa-Cup. So zeigte sich auch die Teamführung zufrieden, da man eine Stellung in Europas Spitze festigen konnte. Delegationsleiter Thomas Dreißigacker zeigte sich vor allem vom Teamgeist beeindruckt, ob direkt im Wettkampf oder im Anschluss an den eigenen. So konnte man den Abend auch gemeinsam beim der Abschlusszeremonie genießen.
RaceWalk Pictures war in Podebrady mit vor Ort und bietet in seiner Galerie einen tollen Überblick über die Besonderheiten des Gehsports, der Dynamik im Rennen, Höhen und Tiefen!