Und weiter geht’s in der Serie „Spitzensportreform? So denken die Athleten darüber!“ Wir geben unseren Spitzensportlern in diesen Tagen die Möglichkeit, sich in die Diskussion über die geplante Spitzensportreform einzuklinken und ihre Ansichten und Optimierungsvorschläge bezüglich Leistungssport, Sportförderung und Nachwuchsarbeit mit uns zu teilen. Die Hintergründe dieser Diskussion haben wir bereits in einem vorigen Beitrag dargelegt und möchten jetzt, durch das Einbeziehen der Athleten, näher auf die Problematik eingehen.
Sebastian Keiner (27) B – Kader – Athlet, wohnhaft in Erfurt, startet für den Erfurter LAC und studiert seit 2010 Ingenieurinformatik an der TU Ilmenau auf Teilzeit. Als Zivildienstleistender und Pazifist ist ein Dienst bei der Polizei oder Bundeswehr für ihn keine Option, da die Ausbildung für seinen angestrebten Beruf wesentlich sinnvoller ist. Sebastian erreichte internationale Top – Platzierungen im Jugend und U23 – Bereich (5. Platz U20 EM, 8. Platz U23 EM). Sein Ziel ist einen Endlauf einer EM zu erreichen und eine Teilnahme an den Olympischen Spielen. Das Feuer brennt also leidenschaftlich für den Sport.
Lieber Sebasian, schön das du dich bereit erklärt hast an unserer kleinen Kampagne „Was denken die Athleten zur aktuellen Spitzensportreform?“ teilzunehmen.
Larasch: Was würdest du am jetzigen System im Leistungssport verändern wollen?
Der Athlet als Person muss wieder in den Mittelpunkt gerückt werden! Er ist das Herz und die Seele des Sports. Ohne die Menschen, die wahnsinnig viel für ihre Träume investieren und mit einer Hingabe für ihre Ziele arbeiten, wäre unsere Gesellschaft eine andere. Sie sind Vorbilder und diese Werte verdienen Respekt sowie eine umfassende Unterstützung. Damit meine ich nicht einfach Geld auszuschütten. Stattdessen ist eine Verbesserung des Umfeldes sinnvoll. Sportler im Spitzenbereich bzw. im Anschluss daran, sollten sich nicht ständig Gedanken über Miete, Essen, Physiotherapie usw. und die Vereinbarung mit dem Studium machen müssen. Das Risiko im Leistungssport ist für viele einfach zu hoch und es werden Abstriche zu Gunsten eines Jobs oder der Ausbildung hingenommen. Meiner Meinung nach würde eine Neustrukturierung und Zentralisierung der Stützpunkte helfen. Dort kann man den Athleten eine gewisse Grundsicherung zur Ausübung des Sports und der zeitgleichen Vorbereitung auf das Berufsleben anbieten.
Der zweite wichtige Punkt ist der Trainer. Auch diese Arbeit braucht mehr Unterstützung und Sicherheiten sowie eine bessere praxisnahe Aus- und Weiterbildung. Denn nur mit der Führung der Trainer sind diese Spitzenleistungen überhaupt erst möglich.
Larasch: Könntest du von der Sportförderung aktuell deinen Alltag finanzieren?
Ohne die Hilfe meiner Familie wäre es mir nicht möglich mit dem Sport meinen Alltag zu finanzieren. Ich bin froh von meinem Verein und der Thüringer Sporthilfe überhaupt etwas zu bekommen. Über die letzten Jahre hat sich die Förderung weiter verschlechtert. Es gibt zwar relativ viele Töpfe auf den verschiedensten Ebenen, doch nur mit Topleistungen hat man Zugriff darauf, dann aber gleich auf alle und man wird sozusagen mehrfachfinanziert. Es ist sogar absurd, dass man in diesem Falle teilweise die zugesagten Unterstützungen gar nicht ausschöpfen kann. Wenn allerdings die Erfolge aus den verschiedensten Gründen ausbleiben, fängt einem kein Sicherheitsnetz auf. Dieser Abgrund stellt ein Riesenproblem dar.
Larasch: Was denkst du über die aktuelle Spitzensportreform?
Ich finde es schon einmal sehr schade, dass eine so wichtige und dringend nötige Reform in Hinterzimmern ausgetüftelt wird und die betreffenden Personen einfach nicht dazu befragt werden. Am Ende wird eine fertige Lösung präsentiert, die an der Realität vorbeigeht. Die Entscheider sind zu weit von der Arbeit an der Basis entfernt. Trotzdem sind viele Ansatzpunkte in dem Entwurf wirklich sinnvoll und erstrebenswert. Leider fehlen mir hier tatsächliche Lösungsansätze in der Praxis. Das PotAS hingegen hinterlässt nicht nur einen faden Beigeschmack. Es ist ein Bürokratiemonster, was die Struktur nur noch komplizierter macht. Ein solches System verfehlt mit Sicherheit das gewollte Ziel. Außerdem ist meiner Meinung nach die Reduzierung der Kaderathleten aufgrund der fehlenden Anschlussförderung oder Unterstützung langfristig untragbar.
Larasch: Wie würde eine optimale Sportförderung aussehen/was müsste sie beinhalten?
Optimal ist ein schwieriger Begriff. Als gute Lösung stelle ich mir vor, dass eine Disziplingruppe auf wenige Stützpunkte in Deutschland verteilt wird. Dort findet man die bestmöglichen Bedingungen vor und trainiert mit anderen Disziplingruppen aus anderen Sportarten. Die Athleten können in erschwinglichen Wohnheimen zusammenleben, die ärztliche Unterstützung und die Trainingsbedingungen sowie die sportlergerechte Ernährung sind abgesichert. Wichtig sind weiterhin Partner in der Umgebung für die duale Karriere, damit sich die Sportler auf die spätere Karriere in Abstimmung mit dem Training vorbereiten können. Außerdem sollte ein reger Austausch des Knowhows unter den Trainern und Wissenschaftlern stattfinden. Alle arbeiten zusammen und nicht nur in ihrer eigenen kleinen Welt. Besondere Leistungen werden zusätzlich honoriert und können möglicherweise privatisiert werden. Des Weiteren haben natürlich Athleten aus höheren Kadern bzw. Nachwuchstalente Vorrang und weitere Vorteile.
Larasch: Wie nah liegen Fordern und Fördern noch beieinander?
Forderungen gehören zum Leistungssport dazu. Der Athlet stellt dabei schon die meisten Anforderungen an sich selbst. Probleme bereitet es, wenn von allen Seiten mehr gefordert als gefördert wird. Die wirtschaftliche Denkweise quetscht die Sportler erst aus und lässt sie dann einfach fallen. Ziel muss es sein, eine langfristige Förderung zu gewährleisten, damit die Leistungen voll ausgeschöpft, Perspektiven geschaffen und wieder mehr junge Menschen für diesen Weg begeistert werden. Der Sport hat einen viel größeren Stellenwert in der Gesellschaft als nur Medaillen. Es sind die Persönlichkeiten, die ihre Grenzen ausloten und um jedes Prozent kämpfen. Falls die Förderung funktioniert, kann man auch fordern.
Larasch: Was bedeutet Sport heutzutage? Darf sich Leidenschaft entfalten oder muss sie sich hinten anstellen?
Leidenschaft muss sich immer entfalten und der Sport ist der richtige Platz dafür. Aus meiner 20-jährigen Erfahrung kann ich sagen, dass gerade die besten Sportler einen wahnsinnigen Enthusiasmus mit einbringen. Eine solche Passion führt meist auch zum Erfolg. Doch leider kommt derzeit genau diese Leidenschaft in der Öffentlichkeit zu kurz und wird den Beteiligten ausgetrieben. Man hat das Gefühl, dass Fleiß, Ehrgeiz, Energie und die Aufopferung nicht so viel wert sind wie früher. Doch wir brauchen diese Werte mehr denn je und Leidenschaft bildet einen wichtigen Grundstein.
Lieber Sebastian, vielen Dank für dieses Gespräch.