Und weiter geht’s in der Serie „Spitzensportreform? So denken die Athleten darüber!“ Wir geben unseren Spitzensportlern in diesen Tagen die Möglichkeit, sich in die Diskussion über die geplante Spitzensportreform einzuklinken und ihre Ansichten und Optimierungsvorschläge bezüglich Leistungssport, Sportförderung und Nachwuchsarbeit mit uns zu teilen. Die Hintergründe dieser Diskussion haben wir bereits in einem vorigen Beitrag dargelegt und möchten jetzt, durch das Einbeziehen der Athleten, näher auf die Problematik eingehen.
Nach den Langstrecklern Hendrik Pfeiffer, Franzi Reng und Philipp Pflieger sowie der Hindernisläuferin Maya Rehberg sprechen wir heute mit der Laufikone Carsten Eich, der noch immer den deutschen Rekord über die Halbmarathon-Distanz hält.
Larasch: Was würdest du am jetzigen System im Leistungssport verändern wollen?
Carsten: Olympische Spiele ziehen die Zuschauer nach wie vor in ihren Bann. Das haben wir gerade erst wieder bei den Übertragungen aus Rio spüren können. Natürlich wollen die Sportfans möglichst viele Medaillen bejubeln und jeder von uns schaut dabei auch immer mal wieder auf den Medaillenspiegel. Doch Medaillen sind nicht alles im Sport und die meisten Teilnehmer an Olympischen Spielen können nicht einmal realistisch von Edelmetall träumen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht alles für ihren Sport gegeben und Respekt sowie Unterstützung auf ihrem Weg verdient haben. Wenn man sich dann den Medaillenspiegel der Leichtathletik-Europameisterschaft in Amsterdam anschaut, bei dem die Türkei mit insgesamt 12 Medaillen sensationell auf Platz vier landet, spricht dies erst einmal für das Leichtathletiksystem in der Türkei. Wenn man aber die bisherigen Nationen der Medaillengewinner berücksichtigt und weiß das der Nationenwechsel aktuell ein legitimes Mittel für kurzfristige Erfolge ist, hat der Medaillenspiegel plötzlich einen faden Beigeschmack.
Wie der Name schon sagt, wird bei einem Leistungssportsystem immer die Leistung im Mittelpunkt stehen und das wird auch von den Athleten befürwortet. Doch das System hat einen großen Fehler: In zunehmendem Maße stehen die nationalen und internationalen Verbände im Mittelpunkt und vermarkten sich selbst, ohne die eigentlichen Protagonisten mitzunehmen. Wie kann es beispielsweise sein, dass ich als Athlet bei Olympischen Spielen die Sponsoren nicht präsentieren darf, die für mich in den letzten vier Jahren der Vorbereitung wirklich an meiner Seite standen und jetzt, wo die öffentliche Wahrnehmung am größten ist, im Abseits stehen?
Larasch: Konntest du von der Sportförderung deinen Alltag finanzieren?
Carsten: Ich habe bereit im Jahr 2007 meine Profikarriere beendet. Eine stetige Verschlechterung der Sportförderung ist seit den neunziger Jahren zu spüren und verdient teilweise den Namen nicht mehr. Auch bei mir war es schon so, dass ich nur durch die Unterstützung von Vereinen, Arbeitgebern und Sponsoren professionellen Leistungssport betreiben konnte. Das größte Problem bei der Förderung ist das kurzfristige Denken der Verantwortlichen. Bei Erfolgen hast du viele Unterstützer. Läuft es auf Grund von Verletzungen mal schlechter, bist du sofort raus und auf dich allein gestellt. Das ist ein fataler Systemfehler! Ich kann nicht nachvollziehen, warum z.B. beim DLV von Jahr zu Jahr geschaut und jegliche langfristige Planung abgelehnt wird. Was passiert, wenn die deutsche Wirtschaft in die Konjunkturspirale nach unten gerät? Es werden spezielle Konjunkturprogramme verabschiedet, um die schwächelnde Wirtschaft zu unterstützen und langfristig wieder erfolgreich zu sein. So etwas ist zumindest in der deutschen Leichtathletik völlig undenkbar.
Larasch: Was denkst du über die aktuelle Spitzensportreform?
Carsten: Natürlich hat das für den deutschen Sport zuständige Innenministerium die Pflicht, kritisch auf die Verteilung der Gelder zu schauen, schließlich handelt es sich um Steuergelder. Aber aktuell würde aus meiner Sicht eher der Begriff „Abfrackprämie“ passen. Wir müssen uns aktuell entscheiden, ob wir auch in Zukunft noch konkurrenzfähig im internationalen Vergleich sein wollen oder nicht. Dazu müssen alle Sportarten und ihre Verbände durchleuchtet werden. Hier stellt sich z.B. die Frage, wieviel öffentliche Gelder kommen eigentlich bei den Athleten und ihren Heimtrainern an bzw. erlauben die Strukturen eines Verbands eine effektive Arbeit, was ich beim DLV nicht zwingend unterschreiben würde. Die Zahl der Bundestrainer steigt ins Unermessliche, aber die Arbeit in der Leichtathletik wird immer noch vom Heimtrainer gemacht. Da passt was nicht!
Larasch: Wie würde eine optimale Sportförderung aussehen/was müsste sie beinhalten?
Carsten: Warum hat der Wintersport insgesamt, aber auch speziell in Deutschland, einen derart erfolgreichen Weg hinter sich? Die Sportarten haben sich reformiert und sind deutlich näher an den Zuschauer herangerückt. Früher ist beim Skilanglauf jeder Läufer im Abstand von 30 Sekunden allein auf die Strecke gegangen, heute gibt es Verfolgungsrennen, Massenstart und Sprintentscheidungen in der Innenstadt. All das hat zu einer umfassenden TV-Übertragung geführt. In den kommenden Wochen wird wieder kein Wochenende vergehen, an dem wir nicht alle zumindest zeitweise vor dem TV sitzen und mitfiebern. Was gibt es besseres für einen Sponsor zum Transport seiner Werbebotschaft, als zu wissen, dass sein Athlet Woche für Woche zur besten Sendezeit am Wochenende in ARD und ZDF erscheinen wird? Wir können vom Staat sicher nicht verlangen, dass er die komplette Sportförderung allein übernimmt. Aber dann müssen wir zumindest dafür sorgen, dass unsere Sportarten so attraktiv wie möglich für TV und Sponsoren werden. Leichtathletikmeetings gehören ins Free-TV, auch große Laufveranstaltungen haben mit Sicherheit das Potenzial für Übertragungen. Aber warum muss eine Leichtathletik-WM über acht oder zehn Tage gehen? Wäre es für Zuschauer nicht viel interessanter, wenn an einem Abend zahlreiche Entscheidungen anstünden und endlich ein Spannungsbogen aufgebaut würde? Der Reformwillen bei der IAAF ist leider nahezu Null und dadurch strafen uns auch die Fernsehsender ab.
Larasch: Wie nah liegen Fordern und Fördern noch beieinander?
Carsten: Ich bin davon überzeugt, dass der Athlet in erster Linie von sich selbst eine Leistung fordern kann und dies auch tut. Der Weg in die nationale/internationale Spitze ist weit und nur durch zahlreiche Entbehrungen zu schaffen. Gerade in Individualsportarten kommt ein Athlet relativ schnell zur Überzeugung, dass er für sich selbst und nicht für seinen Trainer, Bundestrainer oder Verein trainiert. Natürlich gehören Forderungen von Außenstehenden auch dazu und können motivierende Wirkung haben, doch der Leistungssport ist kein Wunschkonzert und dadurch auch nicht berechenbar. Für mich ist die Arbeit eines Bundestrainers nicht ausschließlich an den Platzierungen seiner Athleten beim Jahreshöhepunkt zu messen, sondern vielmehr daran, ob er seine Kaderathleten optimal bei ihrer Trainingsarbeit unterstützt hat und beide gemeinsam ein langfristiges Ziel verfolgen. Wenn der Verband keine Unterstützung bieten kann, hat er auch keine Forderungen zu stellen.
Larasch: Was bedeutet das für den Nachwuchs?
Carsten: Ich selber habe im Jahr 1990 alles auf die Karte Leistungssport gesetzt – die Erfolge sind bekannt. Den heutigen Talenten und davon gibt es immer noch genug, kann man nur wünschen, dass sie einen möglichst starken Verein haben und Sponsoren auf sie aufmerksam werden. Nur geht es unseren Vereinen leider auch nicht wirklich gut und sie kämpfen um jeden Sponsor bzw. Ausrüster. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist das im letzten Jahr gegründete „ASICS Team Memmert“, welches unter anderem Julian Flügel auf seinem Weg zum olympischen Marathon in Rio unterstützt hat. Beim DLV wird dieser Verein allerdings als Team Memmert geführt. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Jahresbestenliste. Den Wettkampfrichtern beim DLV stört der zweite Sponsor im Vereinsnamen. Das wurde irgendwann mal so festgelegt, warum auch immer. Dies wird sicher keine neuen Sponsoren in die Leichtathletik locken und die Vereine vor immer größere Probleme bei der Unterstützung ihrer Athleten stellen. Man muss kein Prophet sein, um sich die Auswirkungen auf den Nachwuchsbereich und damit unsere Olympioniken von morgen auszumalen – kleiner Systemfehler, fatale Wirkung!
Larasch: Was bedeutet Sport heutzutage? Darf sich Leidenschaft entfalten oder muss sie sich hinten anstellen?
Carsten: Die Leidenschaft darf und wird niemals auf der Strecke bleiben. Gerade in der Laufszene leben wir von Leidenschaft, sonst würde es nicht eine so große Fangemeinde geben. Die Laufszene in Deutschland wächst und jeder findet im riesigen Angebot seinen Platz. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle gemeinsam als Laufszene unsere Idole von morgen unterstützen müssen. Die logische Konsequenz wäre für mich ein Profiteam, welches den Mitgliedern eine 100%ige Konzentration auf den Sport ermöglicht. Sponsoren, Veranstalter und Medien, aber auch der Verband sind hier gefragt, schließlich profitieren alle von der Größe der Laufszene und auch von Erfolgen deutscher Läufer in der Zukunft, selbst wenn man nicht von einem neuen „Tennisboom“ ausgeht. Aber Idole haben einer Sportart noch nie geschadet!
Lieber Carsten, wir danken dir für dieses Gespräch!