In den vergangenen vier Jahren haben wir uns im Frühjahr jeweils in Kenia, genauer in Iten, im Camp Kerio View auf die Saison vorbereitet. In diesem Jahr trainieren wir zum ersten Mal nicht in Kenia, sondern im Nachbarland Äthiopien. Kenia hat knapp 40 Mio Einwohner und ist halb so groß wie Äthiopien, Äthiopien wiederum ist rund dreimal so groß wie Deutschland und hat knapp 100 Mio Einwohner.
Warum Äthiopien und nicht Kenia wie in den vergangenen vier Jahren? Wir lieben Kenia, die Menschen, die Landschaft und die Atmosphäre. Auf die Idee Äthiopien sind wir gekommen, weil unser Trainer Renato Canova von Januar bis Anfang März hier ist. An dem Land reizt uns das Unbekannte, die neuen Trainingsbedingungen, die fremde Kultur und wir wollen sehen, wo und unter welchen Voraussetzungen die äthiopischen Läufer trainieren. Seit letztem Herbst trainiert Canova Kenenisa Bekele und dieser hat in Sululta, das außerhalb von Addis Abeba auf 2750m Höhe liegt, ein Camp für Athleten errichtet. Hier ist Canova mit der chinesischen Nationalmannschaft, die er ebenso betreut, hingefahren. Und der Gruppe haben wir uns angeschlossen.
In diesem Bericht wollen wir die zwei in der Läuferszene weltbekannten Trainingsorte vergleichen. Was sind die Vorteile von Kenia und was spricht für Äthiopien? Ist Afrika Afrika oder gibt es grundlegende Unterschiede zwischen beiden Ländern? Da wir in Kenia immer im Kerio View waren, werden wir dieses Camp mit dem Camp von Kenenisa Bekele hier in Äthiopien vergleichen.
Beginnen wir mit der Anreise und da gibt es sogleich mit Äthiopien einen klaren Sieger. Bis wir von Deutschland im Camp in Kenia waren, hat es bis zu 24h gedauert. Lufthansa fliegt nicht Nairobi an, daher gibt es keinen Direktflug nach Kenia. Also hat man die Möglichkeit z.B. über Amsterdam, Paris oder Abu Dhabi zu fliegen. Von Nairobi sind es noch mal mehrere Stunden Matatu-Fahrt (so werden hier die Kleinbusse genannt) bis zum Camp. Daher bietet sich ein Inlandsflug von Nairobi nach Eldoret an. Vom Flughafen in Eldoret sind es nur noch eine Stunde bis zum Camp. Die Anreise nach Äthiopien ist deutlich einfacher. Vom Flughafen Frankfurt geht es direkt nach Addis Abeba, die Flugzeit beträgt etwas mehr als sieben Stunden. Das Camp von Bekele liegt in Sululta, ca. 40min außerhalb der Hauptstadt. Sich im Straßenverkehr zurechtzufinden, gelingt in Äthiopien besser als in Kenia, da hier wie in Deutschland Rechtsverkehr herrscht. In Kenia fahren die Autos auf der linken Seite, zumindest theoretisch. In beiden Ländern ist es für uns Deutsche sehr schwer, einheitliche Regeln zu erkennen. Straßenschilder gibt es nahezu keine, überholt wird von beiden Seiten und die Hupe ist im Dauereinsatz: ob zur Begrüßung, zur Warnung oder um dem eigenen Ärger oder auch der Freude Luft zu machen.
Beide Länder liegen in der gleichen Zeitzone. Im Winter sind sie Deutschland zwei Stunden voraus und ab Sommerzeit nur noch eine. Daher gibt es in beiden Ländern kein Problem mit Jetlag. Iten in Kenia liegt auf ca. 2400m Höhe, Sululta in Äthiopien noch ein ganzes Stück höher auf 2750m. Der Unterschied ist beim Laufen spürbar, was weder ein Vorteil noch ein Nachteil, sondern lediglich eine Feststellung ist.
Das Wetter ist an beiden Orten ähnlich. Es gibt keine vier Jahreszeiten, sondern eine Trocken- und Regenzeit. Die Hauptregenzeit liegt zwischen Mitte Juni und September. Wir sind immer in einem Zeitraum zwischen Januar bis März in Afrika gewesen. Hier hat es äußerst selten geregnet, der Himmel ist fast immer blau mit keinen bis sehr wenigen Wolken. Sululta gehört aufgrund seiner Höhe klimatisch zur kühlen Zone, dadurch sind die Temperaturen optimal zum Laufen (ca. 8-24°C). In Iten ist es ein paar Grad wärmer als in Sululta.
Nun zu den Trainingsbedingungen. In Iten gibt es das legendäre Kamariny-Stadion, das 3-4km vom Camp entfernt ist. Die Aschelaufbahn hat auf der ersten Bahn eine Furche von den unzähligen Läufern, die hier täglich ihre Bahnen ziehen und sie misst etwas mehr als 400m. Manchmal sind auch noch Kühe im Innenfeld der Bahn. Das stört jedoch niemanden und so laufen hier am Track-day (dienstags) viele hundert Athleten. Das ist ein beeindruckendes Spektakel, was man sich unbedingt mal anschauen sollte. Das eigene Bahn-Training legt man besser nicht auf einen Dienstag. In Iten gibt es seit 2014 außerdem eine Tartanbahn. Die wurde von der gebürtigen Kenianerin und seit vielen Jahren für die Niederlande startende Lornah Kiplagat errichtet, die selbst auch das High Altitude Training Center in Iten betreibt. Die Tartanbahn ist nur für Gäste ihres Camps zugänglich. Vom Kerio View ist sie ca. 3km entfernt. In Sululta ist die Tartanbahn lediglich einen Steinwurf über die Straße entfernt, kaum ist man losgelaufen, erscheint bereits das Eingangstor am Straßenrand. Insgesamt herrscht hier deutlich weniger Betrieb als im Kamariny-Stadion. Die Bahn hat Kenenisa Bekele errichten lassen, der hier in ganz Äthiopien einen herausragenden Stellenwert hat. In Äthiopien verteilen sich fast alle Medaillen bei Großereignissen auf wenige Läufer. In Kenia ist dies anders. Dort gibt es viel mehr Läufer, die in den letzten Jahren bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften vorne mitgelaufen sind. In Äthiopien sind bei den Männern Haile Gebrselassie und eben Bekele die unangefochtenen Superstars. In Deutschland hat wohl selbst Franz Beckenbauer nicht solch einen Einfluss.
Die Landschaft bezaubert an beiden Orten. Das Kerio View Camp in Iten hat den für uns schönsten Blick, den wir uns vorstellen können. Unten erstreckt sich das Kerio Valley und im Morgengrauen kann man bei klarer Sicht den Mount Kenya am Horizont entdecken. Hier kann man nicht nur den Blick, sondern auch die Gedanken schweifen lassen. In Sululta beeindruckt die Bergsilhouette, die trotz der 2750m Höhe den Ort umgibt. Bei beiden Camps kann man direkt vom Camp aus zum Dauerlauf aufbrechen. In Kenia sind die Wege sehr staubig, man läuft auf der typischen roten Keniaerde, versetzt mit Steinen. Hier ist es fast unmöglich eben zu laufen. Die Strecken sind wellig bis hügelig, das ständige auf und ab sorgt für viel Kraft in den Beinen. In Sululta gibt es eine riesige Grasebene, die man vom Camp aus nach drei Kilometern durch Wald und Wiese erreicht. Hier kann man problemlos Runden von sieben Kilometern auf bestem Laufuntergrund laufen. Das Gras ist kurz und der Boden trocken, oft gelaufene Wege zeichnen sich bereits durch kürzeres und helleres Gras ab. Für Kenia steht die größere Vielfalt der Laufstrecken, Äthiopien überzeugt mit der riesigen Grasebene.
Für das marathonspezifische Training sind wir in Kenia mit dem Matatu zur Moiben-Road gefahren. Der Untergrund besteht überwiegend aus fester Erde, auf manchen Passagen liegen jedoch recht viele Steine. Es herrscht wenig Verkehr, doch wenn es längere Zeit nicht geregnet hat, dann wirbeln die Autos sehr viel Staub auf. Die Straße hat für Keniaverhältnisse keine großen Höhenunterschiede und man kann mindestens 23km in eine Richtung laufen. Sie liegt auf ca. 2250m ü.NN und vom Camp ist man in ca. 30min dort. Die Straße ist sehr leicht zu finden. Ca. 1,5h von Iten entfernt gibt es eine weitere Strecke, wo die Top-Athleten ihre 40km-Läufe machen. Dort waren wir selbst bisher noch nicht gewesen. In Äthiopien ist die Sebata-Road der Ort für die marathonspezifischen Einheiten. Die Anfahrt ist recht kompliziert, da man durch Addis Abeba fährt und dauert ca. 1,5h. Doch die lange Anfahrt lohnt sich. Die Straße, die auf 2100m ü. NN liegt, ist der Traum eines Marathonläufers: Guter Asphalt, eben, wenig Verkehr. Auch hier kann man mindestens 23km in eine Richtung laufen.
Wer nach Iten fährt, der wird durch einen großen Torbogen mit der Aufschrift „The home of champions“ begrüßt. Und das ist keineswegs übertrieben. In Iten befinden sich mehrere Trainingsgruppen, z.B. die von Geoffrey Mutai und Wilson Kipsang und auch die St. Patricks High School, der Ort, wo Brother Colm seinen Schützling David Rudisha entdeckt, trainiert und zum Weltklasse-Athleten geformt hat.
In Äthiopien sind die Läufer weiter verstreut. Zwar versammeln sich fast alle in Addis Abeba, doch das ist eine Millionen-Stadt und im Gegensatz zum 4000 Einwohner zählenden Iten sind die Wege für die Athleten deutlich weiter. In Kenia wohnen die meisten Athleten in Camps, in Äthiopien bei ihren Familien. Eine lange Anfahrt zum Training gehört für sie dazu, sie wechseln täglich die Orte wo sie trainieren und schlafen abends zu Hause. Der Vorteil dieser Lebensweise ist, dass sie keine längeren Heimaturlaube machen, da sie mit ihren Familien zusammen wohnen. Sululta ist einer der Trainingsorte, um die Stadt verteilt gibt es noch mehrere andere. In Iten sind uns morgens schon mal Gruppen von mehr als hundert Läufer entgegen gekommen, das ist uns hier in Äthiopien noch nicht passiert.
Das Kerio View Camp hat deutlich mehr Betten und Zimmer für Athleten. Vom Standard sind die Zimmer in den Camps vergleichbar. Einfach, doch sie haben alles was man braucht. Ein Bett, Schrank, Tisch mit zwei Stühlen und ein Bad. Im Kerio View gibt es eine richtige Dusche, in Kenenisas Camp ist die Dusche in die Baddecke integriert. In Kenenisas Camp gibt es einen Fernseher am Zimmer, der jedoch nur ein paar britische, äthiopische und arabische Sender empfängt. Im Kerio View hängt ein Fernseher im Gym, der viele verschiedene Kanäle sendet. Ein Gym mit verschiedenen Geräten wie Laufband, Spinning-Rad, Gewichte usw. gibt es ausschließlich im Kerio View.
In beiden Camps gibt es Free Wi-Fi, das mal mehr oder weniger gut funktioniert. Stromausfälle kommen in beiden Camps vor.
Im Kerio View gibt es für Athleten einen Waschservice. Die staubigen Trainingskleider werden vom Personal gewaschen und selbst die Sportsocken, die nach den Läufen rot und braun von der Keniaerde sind, leuchten wieder in ihrem ursprünglichen Weiß. Im Camp von Bekele ist man für seine Wäsche selbst zuständig. Im Waschbecken und mit Handwaschmittel ist das sogleich eine gute Kräftigungseinheit für die Unterarme. Im Zimmer steht ein Wäscheständer, sodass die Wäsche gut ausgewrungen nach ein bis zwei Tagen auch trocken ist.
Betrachten wir nun die Verpflegung in beiden Camps. Das Kerio View in Iten ist im weiten Umkreis bekannt für seine gute Küche, hier kommen Politiker und auch viele Top-Athleten regelmäßig zum Essen. Das Niveau ist mit einem sehr guten westlichen Restaurant vergleichbar. Wenn viele Athleten im Camp sind, dann gibt es oft Essen vom Buffet. Außerdem gibt es eine Karte mit vielen verschiedenen Gerichten. Nachmittags gibt es Kuchen und als Dessert kann man Eis, Mangomousse oder einen Joghurtdrink bestellen. Außerdem gibt es stets eine große Auswahl an verschiedenen frischen Früchten. Und wenn doch ein Wunsch offen bleibt, dann ist die Küche offen für Anregungen und Ideen. Das Essen im Kenenisa Camp ist ordentlich, jedoch nicht mit der Auswahl im Kerio View zu vergleichen. Das, was es gibt, ist sehr gut zubereitet, Kuchen oder Dessert gibt es jedoch nicht. Als Nachtisch gibt es manchmal Obst, hier vor allem Bananen oder Orangen.
Die Verständigung ist in Kenia einfacher, da viele Kenianer gut Englisch sprechen. Das Camp Kerio View wird vom Belgier Jean-Paul Fourier geleitet, der fließend Englisch, Französisch und Deutsch spricht. Seine rechte Hand, der Kenianer Joseph, spricht fließend Englisch und ein bisschen Deutsch. Das Kenenisa Camp wird vom Manager Lucky geleitet. Er ist Äthiopier und spricht Englisch, die Angestellten sprechen ein bisschen Englisch.
Zum Einkaufen kann man von Iten ca. 35km mit dem Matatu nach Eldoret fahren. Hier gibt es den Nakumat, einen großen Supermarkt, wo man fast alle Sachen bekommt. Von Sululta hinein nach Addis Abeba ist es ähnlich weit. Hier gibt es viele Einkaufsmöglichkeiten. In Kenia bezahlt man mit dem Kenia-Schilling in Äthiopien mit dem Äthiopischen Birr.
Wir lieben beide Orte, Kenia und Äthiopien, das Kerio View Camp in Iten und Kenenisas Camp in Sululta. Wenn wir ins Trainingslager nach Afrika fahren, dann geht es nicht nur um die super Laufbedingungen. Es geht auch um die Menschen mit denen wir hier sind und die wir kennenlernen. Hier oben kommen wir zur Ruhe, tanken Energie, Motivation und lassen uns von den vielen