In den letzten Wochen kursierten aufs Neue Schlagzeilen rund ums Doping. In unterschiedlichen Beiträgen war von einer „anonymen Befragungsstudie“ der Uni Tübingen und der Harvard Medical School die Rede, die bei der Leichtathletik-WM 2011 in Südkorea und bei den Pan-Arabischen Spielen in Doha zum Einsatz kam und erschreckende Zahlen offenlegte:
Rund 30 Prozent der Athleten bei der WM und 45 Prozent bei den Pan-Arabischen Spielen gaben an, gedopt zu sein. 1202 Athleten – darunter 65 Deutsche – nahmen an der von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in Auftrag gegebenen Studie teil. (vgl. Süddeutsche Zeitung, Zugriff am 02. September unter folgender URL)
Was genau aber hinter dieser Befragungsstudie steckt, stand bislang weniger im Fokus. Fest steht nur, dass sich mithilfe der angewandten Methode den Dunkelziffern genähert werden kann. Grund genug, sich diese einmal genauer anzuschauen.
Welche Methode steckt also hinter der anonymen Befragungsstudie?
Es ist die so genannte „Randomized-Response-Technik“ – kurz RRT. Hintergrund ist, sensible Antworten wahrheitsgemäß zu erfragen, welche nicht durch soziale Erwünschtheit oder durch peinliches berührt sein verfälscht wird. In unserem Beispiel wurde den Sportlern neben einer unverfänglichen Fragestellung eine Frage zum Thema Doping im Spitzensport (hier speziell bei der WM 2011 in Südkorea und den Pan-Arabischen Spielen in Doha) gestellt.
Wie genau läuft die Befragung ab?
Dem Studienteilnehmer wird eine von zwei möglichen Fragen gestellt, die sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Beispielsweise lautet dabei die Frage A: „Haben Sie jemals illegal Drogen zu sich genommen?“ Hinzu kommt eine weitere Frage B, die unverfänglich sein muss, beispielsweise: „Hat X in der ersten Jahreshälfte Geburtstag?“, wobei X eine beliebige Person ist, die der Befragte kennt.
Ein zufälliges Element (z. B. das Wurf eines Würfels, der nur von dem Befragten gesehen wird) bestimmt, welcher der zwei Fragen der Teilnehmer erhält.
Das Ergebnis – die „Ja“ oder „Nein“ Antwort – ist somit nicht auf den sensiblen Tatbestand zurückzuführen. Es lässt sich aber bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Teilnehmer Frage A oder B bekommt.
Bei einer großen Umfragepopulation kann dank der Kenntnis dieser Wahrscheinlichkeit und der Gesamtzahl der „Ja“-Antworten so die Stichprobe des sensiblen Gegenstandes abgeschätzt werden. Ein gutes Beispiel dazu findet ihr hier.
Auswertung und Glaubwürdigkeit der RRT
30 Prozent der Athleten bei der WM haben angegeben, in den letzen 12 Monaten wissentlich gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen zu haben. Bei den Befragten in Doha waren es im Schnitt sogar 57,1 Prozent, die angaben, willentlich gedopt zu haben. Dem gegenüber steht das Ergebnis der Verbandskontrollen, nach dem lediglich 0,5 Prozent positiv getestet wurden. (vgl. Süddeutsche Zeitung, Zugriff am 02. September unter folgender URL)
Eine umfangreiche Metaanalyse der RRT-Forschung hat gezeigt, dass diese Umfragetechniken zu gültigeren Daten führen als herkömmliche Frage-und-Antwort-Methoden (vgl. Lensvelt-Mulders GJLM. Meta-analysis of randomized response research: thirty-five years of validation. Sociol Methods Res. 2005;33:319–48.)
Gleichzeitig zeigt das Ergebnis, dass die Zahl der Doping-Fälle oft viel höher liegt als biologische Tests induzieren.
Schlussfolgerung
Die Methode ermittelt leider nur die untere aber nicht die obere Grenze der Prävalenz. Dennoch sollte angesichts dieser provokanten Erkenntnisse eine solche Methodik häufiger zum Einsatz kommen, um die Prävalenz des Dopings bei zukünftigen Sportveranstaltungen abzuschätzen. Voraussetzung dafür ist laut Prof. Ulrich allerdings, dass die Stichprobe groß genug ist (n>400).
Fest steht: auch wenn wir so mehr Licht in das Dunkelfeld „Doping im Spitzensport“ bringen, ändert es nichts an dem erschreckenden Fakt, dass gedopt wird. Und diejenigen werden es auch weiter tun, weil sie sich aufgrund der Anonymität in Sicherheit wiegen. Die Ergebnisse konfrontieren uns eigentlich nur aufs Neue mit dem fälschlichen Leistungsanspruch vieler Athleten und unserer Machtlosigkeit demgegenüber. Wir können nur hoffen, dass sich die ehrlichen Sportler nicht entmutigen lassen. Sich ihrer Leidenschaft besinnen und Leistung an sich selbst festmachen. Genauso wichtig ist es, nicht allein die Sportler zur Rechenschaft zu ziehen. Gedopt oder nicht gedopt – die Sportler sind häufig nur die Sündenböcke eines viel weitreichenderen Problems. Aber das Debakel wird auf ihren Köpfen ausgetragen, während das Vergehen jener Handlanger im Hintergrund reingewaschen wird.
Hintergrundinformationen
Wer mehr über das Thema – Doping im Spitzensport“ erfahren möchte, kann sich das erste Band des gleichnamigen Buches online kostenlos downloaden.
Hauptquelle: Rolf Ulrich et. al. (2017). „Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys“ (PDF-Dokument, 9p). Springer International Publishing AG 2017.