Das Gute an schmerzhaften Entscheidungen ist, dass sie meistens neue Aufgaben mit sich bringen und man in der Regel gar keine Zeit hat, sich zu lange der Resignation hinzugeben. Grund genug gab es vor einigen Wochen für mich allemal: Denn so locker zieht man einen schon sicheren Olympiastart im Marathon nicht zurück. Doch als die Entscheidung zu Gunsten einer Achillessehnen-Operation dann endlich gefallen war, verschwendete ich überraschend wenige Gedanken an Fragen der Sorte wie „Was wäre, wenn ich doch hingefahren wäre?“ oder „Wäre es nicht doch irgendwie gegangen?“. Es gab schlichtweg zu viel zu organisieren.
Denn ein Eingriff an einer für Läufer so bedeutsamen Körperstelle will gut vorbereitet sein und es war mir sehr wichtig, alle Risiken möglichst klein zu halten. Gar nicht so leicht, denn wieder musste ich viele Entscheidungen treffen, die man vorher gar nicht so auf der Rechnung hat: Zu welchem Arzt gehe ich, wenn mir gesagt wird, dass nur wenige diesen Eingriff beherrschen, diese aber nur Privatpatienten aufnehmen? Warte ich sechs Wochen auf ein MRT und schiebe die ganze Genesung um eine für Leistungssportler nicht unerhebliche Zeit auf oder zahle ich für einen schnellen Termin viele Hundert Euro drauf? Wie gehe ich mit teilweise völlig konträren Diagnosen um? Wie sichere ich die Finanzierung, was übernimmt die Krankenkasse und wie gehe ich die anschließende Reha an? Solche Fragen beschäftigten mich nach der Olympia-Absage und hielten mich ganz schön auf Trab. Denn das muss alles im Vorfeld geklärt werden.
Nie zuvor war ich derartig auf Unterstützung meines Umfeldes angewiesen. Ich fühlte mich wie ein Wanderer vor einem dichten Wald bei Dunkelheit. Wo soll ich hin? Ich musste die optimale Mischung aus einer professionellen Behandlung und Finanzierbarkeit finden. Doch während mir der Leichtathletik-Verband zwar sein Bedauern über das Olympia-Aus ausdrückte, aber gleichzeitig deutlich machte, dass ich nicht mit finanzieller Unterstützung rechnen sollte, sorgten einzelne Personen dafür, dass es voran ging. Nicht weil es deren Aufgabe war, sondern aus gutem Willen. So begleitete mich mein Trainer Tono Kirschbaum häufig zu Arztterminen, mein Vereinsmanager prüfte Finanzierungsmöglichkeiten, der eigentlich nicht für mich zuständige Bundestrainer Jens Boyde kümmerte sich gemeinsam mit Dr. Bernd Wolfarth um geeignete Behandlungsoptionen in ganz Deutschland, der ehemalige Marathon-Läufer Thomas Eickmann besorgte mir einen Termin bei einem vertrauten Mediziner und der Leiter des Herxheimer Reha-Zentrums Johannes Eisinger offenbarte mir eine OP-Möglichkeit mit anschließender Reha.
Durch diesen Einsatz meiner persönlichen Freunde und Förderer war ich nun doch in der komfortablen Situation, eine Handvoll Behandlungsmöglichkeiten zu haben, die ich zwar nicht persönlich kannte, aber bei denen ich sicher sein konnte, ihnen vertrauen zu können. Ihnen mit einem guten Gefühl meine ganze weitere Sportkarriere in Form meiner Achillesferse in die Hand geben zu können. Diese Ärzte haben sich die Zeit genommen, meine MRT-Bilder und Vorgeschichte anzuschauen und mir eine persönliche Beratung zu geben, in welcher Form die Operation Sinn machen würde. Nicht weil es deren Aufgabe war, sondern aus gutem Willen. Keiner dieser hilfsbereiten Ärzte hätte mir anbieten müssen auf sein OP-Honorar zu verzichten, wodurch diese überhaupt erst finanziell für mich möglich wurde. Der Heidelberger Chirurg Professor Dr. Thermann hätte mich nicht kurzfristig in seinen Operationsplan einschieben müssen und Johannes Eisinger hätte mich nicht direkt im Anschluss in sein Reha-Zentrum in Herxheim aufnehmen müssen, wo ich alle vorhandenen Ressourcen für eine möglichst schnelle Rehabilitation nutzen darf. Der Linzer Chirurg und Sportmediziner Dr. Altmann, der mich im Vorfeld ebenfalls beraten hatte, hätte sich nicht nach dem Verlauf der Operation erkundigen müssen und der eigentlich nicht für mich zuständige Bundestrainer Jens Boyde hätte nicht extra die Fahrt nach Herxheim aufnehmen müssen, um mich zu besuchen. Es war nicht deren Aufgabe, sondern ihr guter Wille. Ihr Wunsch, einen Marathonläufer mit Perspektive wieder auf den Weg zu bringen. Dieser Weg ist nach der erfolgreichen Operation nun eingeschlagen. Ich empfinde dafür eine tiefe Dankbarkeit.
Die Frage, ob die sportlichen Förderstrukturen in Deutschland solch eine auf Zufällen basierende Geschichte hervorbringen sollten, möchte ich an dieser Stelle trotzdem aufwerfen. Ich hätte mir am Anfang meiner Situation einen festen Ansprechpartner beim Verband gewünscht. Sicher bin ich nicht der erste verletzte Kaderathlet und werde auch nicht der letzte sein. Warum arbeitet ein Verband nicht enger mit den wenigen Menschen zusammen, die den sportlichen Erfolg anderer über ihren persönlichen Profit stellen oder zeigt ihnen zumindest eine gewisse Wertschätzung? Sollte eine leistungssportliche Karriere auf olympischem Niveau in schweren Zeiten vom Engagement weniger sportbegeisterter Menschen „mit Herz“ abhängen?
Nichtsdestotrotz ist die Operation erfolgreich verlaufen und der lange Weg zurück hat endlich begonnen. Gerade die ersten Wochen, in denen ich noch auf Krücken unterwegs bin und kaum aktiv sein kann, sind natürlich ganz schön zäh und langweilig. Denn zu allem Überfluss sind auch noch Semesterferien und es ist schwer, produktiv zu werden. Ja ich weiß, ein Sportlerproblem! Aber ich weiß die Couch eben nicht zu schätzen. Gut, dass mich die Themen „Olympia“ und „Marathon“ doch wieder so schnell einholen: Denn ohne den fast dreiwöchigen „Fernsehmarathon“ wäre ich aufgeschmissen.
Lieber Hendrik, wir sind heiss drauf, Dich wieder laufen zu sehen!
Danke fuer Deine Insides, die Du mit uns geteilt hast.
Ein Glueck, dass Du so gute Unterstuetzer gefunden hast.
Alles Gute in der Reha! Das richtige Tempo wirst Du sicher finden.
Du hast noch so viel vor Dir…