Yoga hat sich schon längst von seinem spirituellen Hippie-Image befreit und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Doch macht die ursprünglich aus Indien stammende Philosophie und Meditationspraxis auch für ambitionierte Sportler Sinn? Franzi Reng schreibt von ihren ganz eigenen Erfahrungen…
„Bewegt euch wie ein Stein!“
Fragt man mich nach meiner ersten Begegnung mit Yoga, habe ich folgendes Szenario vor Augen: Etwa dreißig Mädchen laufen in einer muffigen Sporthalle herum, während grässlicher 80ies-Pop von Kassette aus einem Ghettoblaster tönt. Eine Frau in Schlabberklamotten ruft vom Seitenrand, unterstützt von bedeutungsschwangeren Gesten: „Bewegt euch wie ein Stein! Fühlt die Energie! Ihr seid rund und schweeer!“
Plötzlich verstummt die Musik und dieselbe Frau gibt mit gellender Stimme das Kommando: „Deeeeeer Storch!“ Sofort beginnen alle Mädchen mit einer Bewegungsfolge, die ich noch heute im Schlaf beherrsche. Unsere Sportlehrerin, die neben Ultimate Frisbee, esoterischen Erziehungsmethoden und einem recht speziellen Kleidungsstil auch Yoga zu ihren Leidenschaften zählte, hatte uns diese Übung über Monate hinweg durchexerzieren lassen, als wäre dies der einzige Weg zur Glückseligkeit. Leider bewirkte sie bei mir das Gegenteil: Wir bekamen Noten drauf und in meinem Fall war das eine drei minus.
Ich weiß nicht, ob mein persönliches Versagen (Ich eine drei? Ernsthaft? In Sport?!) oder mein über die Jahre hinweg angespanntes Verhältnis zu jener Lehrerin daran schuld sind, dass Yoga und ich keinen besonders guten Start hatten. Ob Yoga mit recht viel mehr als mit Steinen und Störchen zu tun hat, war mir damals jedenfalls nicht klar.
„Nach der ersten Stunde dachte ich mir: Nie wieder!“
Ich war zur damaligen Gymnasialzeit bereits jahrelang als Schwimmerin leistungssportlich aktiv und hielt Yoga schon deshalb für nichts, das mit ernstzunehmendem Sport in Verbindung gebracht werden könnte. „Da ging es mir nicht anders. Das liegt an diesem komischen esoterischen Beigeschmack, der dem Yoga leider oft anhaftet“, bestätigt mich Waltraud Scheller, „das wird von manchen Kursleitern in Form einer Gehirnwäsche viel zu sehr ins Extreme getrieben, das schreckt viele natürlich erst einmal ab. Mir ging es als Anfängerin ganz ähnlich: Nach meiner ersten Yoga-Stunde dachte ich mir: Nie wieder! Die sind doch nicht ganz dicht.“
Heute ist Waltraud hauptberufliche Yogalererin und beschäftigt sich damit, die ursprünglich aus Indien stammende Philosophie unter anderem auch Leistungssportlern nahezubringen. „Ich bin überzeugt, dass Yoga eine Form des zusätzlichen Trainings darstellen und für einen Sportler, der fokussiert Wettkämpfe vorbereitet, eine positive Ergänzung sein kann: Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit – mit all dem befasst sich auch Yoga. Da geht es nicht nur um langatmiges Herumsitzen, man kann dabei auch ganz schön ins Schwitzen kommen.“
„Alles ist auf Leistung ausgerichtet. Yoga soll das Gegenteil sein.“
Diese Erfahrung durfte ich erst viele Jahre nach meinem Storch-Schock machen. Mittlerweile studierte ich am Sportzentrum der Universität. Also eine akademische Ausbildung. Also ernstzunehmendem Sport, oder?
Und doch musste ich sogar dort ein Semester lang das Praxisseminar „Yoga und Entspannungsmethoden“ belegen. Besonders gefreut hatte ich mich aufgrund meiner fast schon traumatischen Vorgeschichte verständlicherweise nicht. Mit meiner Matte versteckte ich mich in der letzten Reihe und versuchte, durch meine schlecht koordinierten Bewegungen nicht zu sehr aufzufallen. Und um mir nicht anmerken zu lassen, dass die langen Haltezeiten mancher Asanas, gestützt auf die Handflächen oder ohne jegliches Gleichgewicht, bei mir regelmäßig zu einem frühzeitigen Abbruch sorgten. Die bevorstehende Prüfung hing von der ersten Stunde an wie ein Damoklesschwert über mir.
„Bewertung ist bei Yoga eigentlich der falsche Ansatz“, bemerkt Waltraud Scheller, „da geht es doch gerade einmal nicht darum, verglichen zu werden. Man muss es nicht richtig machen, oder besser als andere. Unsere Gesellschaft ist überall, egal ob im Sport oder in der Berufswelt, so stark auf Leistung ausgerichtet, die auch noch messbar ist. Yoga soll genau das Gegenteil sein.“
„Das ist nichts anderes als Crosslaufen!“
Also doch kein ernstzunehmender Sport? In Anbetracht meines Muskelkaters, den ich oft am Tag nach meinem Yogaseminar hatte, wurde ich immer mehr vom Gegenteil überzeugt. Schließlich war ich zu diesem Zeitpunkt alles andere als unfit und steckte mitten in den Vorbereitungen auf die Cross-Europameisterschaften in Frankreich.
Das hatte irgendwann auch mein Dozent mitbekommen und seitdem bekam ich in den Kursen die Aufmerksamkeit, die ich zuvor immer tunlichst zu vermeiden versucht hatte. Wenn ich wieder einmal völlig verzweifelt auf meiner Matte kniete, bekam ich nun Sätze wie: „Franzi, das ist leichter als du denkst. Eigentlich ist das nichts anderes als Crosslaufen“, zu hören.
Es war ja auch trotz allem gut gemeint – und im Prinzip richtig: Im Crosslauf musst du auch vieles beachten, darfst nicht unaufmerksam sein. Aber wirklich gut läuft es vor allem dann, wenn du keine Angst hast, wenn du es einfach probierst, mal was riskierst, an deine Grenzen gehst.
„Nicht nur Omm-Klischees und Yogis in Schneidersitzen“
Das Ende der Geschichte war gottseidank ein Gutes: Die Cross-EM wurde ein Erfolg, ich bestand meine Yoga-Prüfung und ertappte mich in den wohlverdienten Semesterferien sogar hin und wieder dabei, dass ich die wöchentlichen Yogastunden vermisste. Ich war danach immer irgendwie erschöpft, aber gleichzeitig im Kopf auch sehr befreit für die anschließenden Vorlesungen gewesen.
„Das ist das Gute an Yoga: Es hat nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Wirkung auf uns“, erklärt Waltraud Scheller, „die Yoga-Praxis hängt ja immer mit Meditation zusammen. Man muss nicht jede Stunde von Anfang bis Ende durchmeditieren, aber ein gewisser Anteil ist immer dabei. Davon kann auch ein Leistungssportler enorm profitieren.“
Natürlich hat man beim Stichwort Meditation sofort die üblichen „Omm-Klischees“ von Yogis im Schneidersitz vor Augen, die fast schon zu schweben beginnen. „Aber dass das nicht der Kern von Yoga ist, wissen heute zum Glück die meisten“, ist Waltraud Scheller überzeugt, „Yoga bekommt ja immer mehr Aufmerksamkeit. Die Leute merken einfach, dass es ihnen gut tut, egal ob Hausfrau, Banker – oder eben auch der ein oder andere Profi-Athlet.“
„Yoga kann helfen, dass ich ganz genau weiß, wo meine Grenzen liegen.“
Doch was genau bringt mir Yoga für eine Wettkampfvorbereitung außer einen „freien Kopf“? Dafür könnte ich in derselben Zeit ja auch einfach vor dem Fernseher entspannen oder eine Stunde länger schlafen.
„Yoga fördert die Regeneration auf eine andere Art und Weise“, erläutert Waltraud Scheller, „es handelt sich um aktive Erholung und bringt uns unserem Körper gleichzeitig noch ein bisschen näher. Wir lernen ihn durch die Aufmerksamkeit während der Bewegungen besser kennen, können ihn gut einschätzen – und finden vielleicht sogar Lösungen, die uns bei der sportlichen Aktivität zu Gute kommen. Starte ich zum Beispiel mit einem Training und merke sofort, dass es überhaupt nicht läuft, gewinne ich durch Yoga vielleicht neue Anhaltspunkte, woran das bei mir ganz persönlich liegt. Sind es körperliche Beschwerden? Oder sitzt die Blockade vielleicht im Kopf? Yoga kann helfen, dass ich nicht gleich aufgebe oder abbreche. Es hilft dabei, dass ich ganz genau weiß, wo meine Grenzen liegen und wie nah ich gerade an sie herankomme.“ Eine Fähigkeit, die dann natürlich im Wettkampf noch um ein Vielfaches wertvoller ist. Grundsätzlich klingt das also fast schon zu vielversprechend. Würde es so schnell und einfach gehen, würden ja vermutlich alle Spitzenathleten Yoga betreiben.
„Man muss sich natürlich Zeit geben und sich auch darauf einlassen können“, lenkt Waltraud ein, „nicht jeder findet sofort sein Glück im Yoga, gerät vielleicht auch erst an die Philosophie und Herangehensweise eines Lehrers, die ihm nicht so ganz entspricht. Ganz ähnlich wie es auch bei mir war. Aber da hilft einfach nur, hartnäckig zu bleiben, es nochmal auf eine andere Weise auszuprobieren und – ganz der Wettkampftyp – nicht, wenn es beim ersten Mal nicht ganz so gut klappt, gleich aufzugeben.“
Waltraud Scheller
- Die Quereinsteigerin arbeitete zunächst im Büro und ist seit 2013, mittlerweile hauptberuflich, als Yoga-Lehrerin tätig
- Sie betreibt ab Juni zusammen mit Ehemann Uli Scheller ihr eigenes „kleines“ Yoga-Studio (soultracks)
- Über ihre Yoga-Kurse sagt sie selbst: „Zu mir kommen vor allem Leute, die sich bewegen wollen. Bei mir können sie sich auspowern, auch mal ins Schwitzen kommen, aber genau so auch etwas Gutes für sich selbst tun.“
- Am meisten an Yoga schätzt sie, „dass es im Prinzip einfach ist. Man braucht nicht viel, beziehungsweise kein Equipment dafür: Eine weiche Unterlage und ein ruhiger Rückzugsort findet sich fast überall. Das ist wie beim Laufen: Man kann einfach loslegen.“
…Einfach mal ausprobieren? Nächste Woche stellen wir euch mit Waltraud fünf kleine Yoga-Übungen vor, die sich für Sportler zur Regeneration eignen.