Wir müssen reden. Und zwar über ein Thema, das irgendwie immer noch viel zu selten Thema ist. Weil wir es links liegen lassen, als unwichtig erachten oder einfach so hinnehmen, dass es eben ein Thema ist, über das man nicht so gerne spricht. Die Medizinerin Giulia Enders hat sich dieser Problematik vor Jahren bereits angenommen und mit ihrem Buch „Darm mit Charme – Alles über ein unterschätztes Organ“ einen großen Publikumserfolg gefeiert. Ich hatte vor zwei Jahren außerdem bereits die Gelegenheit, mit ihr über den Darm und seine speziellen „Verhaltensweisen“ bei Sportlern zu sprechen. Dadurch ist mein Interesse für die Auswirkungen unseres Verdauungssystems auf den Sport das erste Mal wirklich gewachsen, nachdem ich durch meinen Vater als Gastroenterologen doch irgendwie manchmal etwas „abschreckt“ war. Als ich dann in diesem Jahr auch noch selbst von Erkrankungen im Magen-Darm-Bereich betroffen war, wurde mir zugegebenermaßen aber erst so richtig bewusst, wie entscheidend seine Funktionsfähigkeit doch dafür ist, ob wir uns sportlich bewegen können oder eben nicht. Es ist alles glimpflich ausgegangen und ich wünsche niemand ähnliche Erfahrungen – möchte mich aber genau deshalb im folgenden Artikel ein wenig dem Thema annähern. Ich sage bewusst annähern, da die Form eines Community-Beitrages hierfür bei weitem nicht ausreichend wäre. Ich habe hierfür mit Giulia Enders sowie meinem Vater PD Dr. med. Carl-Michael Reng gesprochen. Zudem ziehe ich die unten genannten Quellen hinzu, die ich allen ans Herz lege, die sich ebenfalls genauer mit einem Thema beschäftigen wollen, das irgendwie mehr Thema sein sollte.
Schmerzen sorgen dafür, dass wir anfangen, unser Training zu überdenken: Schmerzen haben wir regelmäßig im aktiven Bewegungsapparat – also in Muskeln und Sehnen, oder hin und wieder – was aber deutlich gefährlicher einzustufen ist – im passiven Bewegungsapparat – also in Knochen und Gelenken.
Sendet uns der Körper Schmerzsignale, sind wir ohnehin oft viel zu lange untätig. Bis wir handeln, sind wir dann meist schon gar nicht mehr in der Lage, normal weiter zu trainieren, sehen uns also gezwungen, etwas zu unternehmen.
Bei einem starken Muskelkater ist das natürlich noch nicht der Fall (aber wer bezeichnet Muskelkater denn auch ernsthaft als Schmerz? ? ). Haben wir uns allerdings eine fiese Sehnenreizung zugezogen oder gar einen Ermüdungsbruch, ist es nur noch selten möglich, das Training im üblichen Umfang fortzusetzen und den Alarm des Körpers ohne weiteres zu übergehen.
In einem ganz anderen Bereich ist das dagegen fast alltägliche Sportler-Praxis: Geht es um unseren Magen-Darm-Trakt sind wir mehr als stiefmütterlich im Umgang mit unseren inneren Organen, die jedoch deutlich wichtiger und entscheidender für unsere Leistungsfähigkeit sind, als wir das vielleicht wahrhaben wollen.
Fühlen wir uns nach einer intensiven und laktaziden Einheit auf der Bahn schlecht, kommt es in manchen Fällen sogar zu Erbrechen. Von mancher Seite wird das als besonders tolle Leistung empfunden: Da ist jemand bis zum Kotzen gerannt. Der hat echt alles gegeben.
Schon möglich. Gehen maximale Trainingsbelastung und Erbrechen allerdings untrennbar miteinander einher, sollte man durchaus aufmerksam sein. Denn ein gesunder Körper muss eine intensive Einheit wegstecken können, ohne sich danach entleeren zu müssen.
Auch von Durchfall sind wir ähnlich schwer zu beeindrucken: Dieser tritt erwiesenermaßen bei einem Großteil von Ausdauersportlern regelmäßig auf, besonders im ambitionierten Hobbysport, wo einige Berufstätige sich nach Feierabend eigentlich noch schnell etwas Gutes tun möchten. Der Umstieg zum Sport erfolgt von einem Tag auf den anderen, nach der beruflichen Belastung gibt man sich nun täglich noch ein zweites Mal „die Kante“ und die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit werden unabsichtlich maximal ausgereizt. Das schlägt sich schnell auf die Verdauung nieder, besonders wenn die Ernährung den neuen Gewohnheiten nicht angepasst wird.
Aber selbstverständlich haben auch professionelle Ausdauersportler mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Ursachen hierfür werden nur selten gesucht, meistens ist ja auch gar keine Zeit dafür denn: In 61 Prozent der Magen-Darm-Symptomatiken bei Ausdauersportlern treten diese in Wettkampfperioden auf oder kurz davor – denkbar ungünstig, da eben mal einen Arzt aufzusuchen, die Ernährung umzustellen, eine Therapie zu beginnen oder gar die Belastung herunterzufahren. Und wer sagt denn, dass ein Reizdarm oder Unverträglichkeiten unbedingt mit dem Sport zusammenhängen müssen?
Gibt es Magen-Darm-Erkrankungen, die definitiv durch sportliche Belastung und nicht etwa aufgrund anderer, individueller Dispositionen des einzelnen Athleten entstehen?
Ja, die gibt es und zwar eine ganze Menge. Eine Störung, die mit großer Sicherheit in direktem Zusammenhang mit intensiver sportlicher Ausdauerbelastung steht, ist der gastroösophageale Reflux, der sich vor allem durch saures Aufstoßen, Sodbrennen oder retrosternales Brennen bemerkbar macht.
Durch eine Abschwächung der Trainingsbelastung, die ja aber von Leistungssportlern, seien es nun Profis oder Amateure, nicht dauerhaft erwünscht ist, können in vielen Fällen Besserungen eintreten. Oft ist allerdings eine Ernährungsumstellung der Schlüssel zum Erfolg: Schwer verdauliche Nahrungsmittel sowie große Mahlzeiten sollten bei regelmäßigem Aufstoßen oder Brechreiz besonders im unmittelbaren Vorfeld von Trainingseinheiten vermieden werden und durch leicht verdauliche Lebensmittel in Kombination mit ausreichend Flüssigkeit ersetzt werden, die in mehreren, über den Tag verteilten, kleineren Mahlzeiten in regelmäßigen Abständen eingenommen werden. Eine gute Möglichkeit für eine magenfreundliche Zwischenmahlzeit, die Energie vor einer kräftezehrenden Trainingseinheit liefern soll, können zum Beispiel protein- und kohlehydratreiche Smoothies sein. Fettreiche Nahrung ist im Vorfeld von körperlichen Belastungen bei Sportlern mit Refluxbeschwerden dagegen eher zu meiden.
Sollten sich die Probleme jedoch durch all diese Maßnahmen nicht bessern, gibt es ebenso medikamentöse Therapien, die allerdings unbedingt mit fachlich hierfür ausgewiesenen Gastroenterologen und Sportmedizinern abgeklärt werden müssen.
Ein anderes Phänomen, das vermutlich viele Sportler kennen, die schon nah an die körpereigenen Leistungsgrenze gelangt sind, ist ein unwohles Magengefühl während oder nach Belastungen, vor allem wenn es hierbei zur Ausschüttung von Laktat kommt.
Bei Intensitäten von über 70 Prozent über der maximalen Sauerstoffaufnahme neigen viele Sportler zu Magentlehrung aufgrund von Dehydrierung, erhöhter Körpertemperatur, hohem Kohlehydratgehalt im Magen und starker Endorphinausschüttung, bedingt durch emotionalen (nicht zwingend negativ empfundenen) Stress.
Auch hier können Ursachen in der Ernährung gefunden werden. Allerdings gibt es auf diesem Gebiet so viele Meinungen wie Sand am Meer. Dies liegt unter anderem daran, dass die Medizin selbst noch nicht alle Antworten auf die Fragen gefunden haben, die ihnen Sportler mit Beschwerden stellen. Wissenschaftlich ist es noch nicht vollständig geklärt, ob sich die Darmtransitzeit während sportlicher Belastung sowie im Anschluss daran beschleunigt oder verlangsamt. Studien kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Grundsätzlich ist eine ärztliche Untersuchung bei besonders regelmäßig auftretendem Durchfall und flüssigem Stuhlgang jedoch sicherlich die beste Lösung, um gegebenenfalls vorliegende ernsthafte Erkrankungen auszuschließen.
Fest steht, dass die Durchblutung Darmschleimhaut während leichter sportlicher Betätigung ansteigt und bei starker sportlicher Belastung um bis zu 80 Prozent abnehmen kann. Dass dadurch Schäden auftreten, die sogar operative Eingriffe mit sich ziehen können, ist nicht überraschend: Auch anderes Gewebe, das lange Zeit unterversorgt ist, stirbt ab oder ist nicht mehr voll funktionsfähig.
Da hilft auch die beste und ausgeklügelteste Ernährung nichts. Denn meistens ist das die einzige Stellschraube, an der Sportler bereit sind, zu schrauben. Teils auch in akribischem Maße und mit sehr sonderlichen Auswüchsen, die hier aber weder auf- noch abgewertet werden sollen.
Insgesamt ist es äußerst schwierig, Sportlern, die sich auf eine ausdauerbetonte Wettkampfbelastung vorbereiten, einen eindeutigen Rat zu erteilen, ob sie vor dem Start vornehmlich auf kohlehydratreiche Nahrung oder auch Mahlzeiten mit Fettanteilen setzen sollen.
Während besonders „konzentrierte“ Nahrungsmittel (energiereiche Getränke, Mineralien, Gels, Energieriegel und Co.) eher zu einem hohen osmotischen Druck im Magen-Darm-Trakt führen und daher zu Bauchkrämpfen oder Durchfällen führen können, bewirkt fettreiche Nahrung das Gegenteil: Völlegefühl, Übelkeit und Aufstoßen (s. oben: gastroösophagealer Reflux).
Es ist unbestritten, dass moderate sportliche Betätigung selbst bei Darmpatienten mit ernsthaften Symptomen, die medikamentöse Therapien oder sogar operative Eingriffe mit sich ziehen, durchaus positive Auswirkungen hat. Dies bezieht sich jedoch, wie bereits erwähnt, nur auf aerobe Belastungsintensitäten. Dies bestätigt auch Giulia Enders: „Allgemein ist [aerober] Sport durch die verbesserte Darm-Durchblutung […] zu befürworten. Der Darm nimmt durch Bewegung keinerlei Schaden. Es kommt aber immer auf den Grad der Bewegung an, der wir ihn aussetzen. […] Sportliche Überlastung tut ihm nicht gut.“
Personen mit Darmkrebserkrankungen, starken Entzündungen der Darmschleimhaut oder anderen dauerhaften Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts ist daher vom Leistungssport dringend abzuraten.
Allen anderen, die sich regelmäßig mit weniger drastischen Beschwerden im „Bauchbereich“ herumkämpfen, ist dagegen Folgendes zu raten:
- Erst einmal einen Blick ins Trainingstagebuch werfen. Wurde die Belastung zu schnell gesteigert? Fehlen möglicherweise aerobe Trainingsanteilen, Ausgleichs- und Kompensationseinheiten?
- Wie sieht es mit der Ernährung aus? Besteht die Möglichkeit einer Unverträglichkeit? Sind möglicherweise die Zusammensetzung und Menge der Nahrung nicht optimal oder mit Steigerung der Intensitäten nicht angepasst worden?
- Als letzter und finaler Schritt sollte zur Klärung der Ursachen ein fachkundiger Arzt (ja, Ernährungsberater, Fitnesstrainer, Physiotherapeuten oder Osteopathen sind auf ihren Gebieten sicherlich prima und haben auch den ein oder anderen Trick und Kniff parat – einen medizinischen Rat können sie aber nach wie vor nicht ersetzen und sind diesem auch in keinem Falle vorzuziehen!) aufgesucht werden. Dieser verfügt über Untersuchungsmethoden, bildgebende Verfahren und ausreichende Expertise bei der Verabreichung von Medikamenten – sollte diese denn überhaupt von Nöten sein.
Denn in einigen Fällen, ist es tatsächlich einfach so, dass Darm- und Bauchbeschwerden gar nicht mit einer „körperlichen“ Fehlfunktion zusammenhängen. Vieles spielt sich – und das gilt vor allem und ganz besonders im Sport – in unseren Köpfen ab: Beschäftigt uns etwas sehr stark, empfinden wir Stress, Leistungsdruck oder sind wir einfach überfordert mit den Ansprüchen, die wir an uns selbst stellen und die durch sportlichen Ehrgeiz nicht gerade die Niedrigsten sind – dann spiegelt sich das auch ganz oft in unserem „Bauchgefühl“ wieder.
Nicht umsonst sagen wir:
„Es schlägt mir auf den Magen“
„Liebe geht durch den Magen“
„Ich habe Wut im Bauch“
…oder besonders im Sport: „Ich habe Schiss“
Magen und Darm sind nämlich letzten Endes ein kleiner Spiegel unserer Seele. So wie wir auf Schmerzen in den Muskeln oder Sehnen achten sollten, müssen wir auch immer gut auf unseren Bauch hören, ihn pflegen und ihm genügend Ruhe geben, seine Aufgaben zu erledigen. Er wird es uns danken – schon beim nächsten schnellen Dauerlauf.
Quellen:
Lachtermann, Ella; Jung, Klaus: Sport und gastrointestinales System. Einfluss und Wechselwirkungen. Deutsches Ärzteblatt 2006; 103(31-32): A-2116 / B-1824 / C-1765
Reng, Franzi: Unser Darm ist ein Sensibelchen. Interview mit Giulia Enders. Runnersworld 9/2016.