Die Form war so gut wie noch nie, der Fokus zu 100% auf diesen einen Tag gerichtet. Das Ziel: das absolute Maximum aus meinem Körper herauszuholen. Alles schien angerichtet für einen weiteren perfekten Tag, so wie ich ihn 2019 erleben durfte.
Gekommen ist es anders und trotzdem irgendwie gleich:
Die Wetterprognosen waren schlecht, das Wetter dann noch schlechter. Nichts was mich im Vorfeld beunruhigt hätte. In der Vergangenheit kam ich mit nasskalten Bedingungen stets bestens zurecht. Vielleicht war ich dieses Jahr schlicht zu gut trainiert um dem Wetter zu trotzen. 4 kg weniger auf den Rippen und so wenig Körperfett wie noch nie helfen bekanntlich wenig, wenn es darum geht die Körpertemperatur hoch zu halten. So war das Wetter am Renntag wohl mein härtester Konkurrent.
Der Tag begann gut, der erste Lauf (10 km) der Langdistanz-Duathlon-WM war schnell aber nicht überfordernd. Beim Einlaufen in die Wechselzone küsste ich ein Absperrgitter um der ganzen Geschichte noch etwas mehr Dramatik zu verleihen. Der Cut oberhalb des linken Auges sah zwar übel aus, behinderte mich den weiteren Tag über aber keine Sekunde.
Zu Beginn der 150km langen Radstrecke formierte sich die Spitzengruppe mit den Athleten, die man schon im Voraus auf der Rechnung haben konnte. Diese blieb dann bis in die Schlussrunde mehr oder weniger zusammen. Mehr als meine sportlichen Gegner jedoch, machte mir die Kälte zu schaffen. Ich schlotterte zu Beginn nur in den Abfahrten, später auch in den Flachpassagen und die Beine fühlten sich schon bald steif und leer an. So kam es eher ungelegen, dass ich am Fuße des letzten namhaften Anstieges einen Kettenabwurf hatte und kurz absteigen musste. Die Gruppe war weg und vorne griff in diesem Moment gerade der Belgier Seppe Odeyn an. Zwar konnte ich bis auf den entfesselten Belgier alle wieder aufholen und mich mit Matthieu Bourgeois etwas vom Rest absetzen, der Körper hatte aber bereits in den Überlebensmodus geschaltet. Daher war an ein hohes Tempo für die restlichen Kilometer bis zum zweiten Wechsel nicht mehr zu denken.
Vom ersten Meter in den Laufschuhen an spürte ich, dass dies eine absolute Grenzerfahrung werden würde. Zurückgefallen auf Rang 4, die Beine komplett leer, Übelkeit kam auf und der Verdauungstrakt meldete sich mit Bauchkrämpfen. Platzierungen wurden zur Nebensächlichkeit, es ging nur noch darum irgendwie auf den abschließenden 30 Laufkilometern vorwärts zu kommen. Ich weiß nicht mehr, ob und wo ich genau Schmerzen hatte. Erbrochen habe ich mal. Im Wald zur Erleichterung war ich zweimal. Und trotz aller Schwierigkeiten, fand ich mich zu Beginn der Schlussrunde auf dem zweiten Rang wieder und sah bald, dass ich diesen wohl auch bis zum Schluss würde halten können. Trotzdem war es bis ins Ziel eine einzige Tortour.
Noch wie war ich so froh eine Ziellinie zu erreichen. Noch nie in meinem Leben musste ich so tief gehen. Ich hatte für einen ganz anderen Tag trainiert, hatte mehr drauf und wollte mehr zeigen. Aber es war schlicht nicht mehr drin. Nicht eine Sekunde dachte ich ans Aufgeben. Und deshalb bin ich unglaublich zufrieden und stolz über erneutes WM-Silber! Ziel erreicht.
In einer eigenen Liga war der hochverdiente Sieger Seppe Odeyn. Was für eine beeindruckende Leistung! Gratulation auch an den Drittplatzierten Matthieu Bourgeois !
Vielen Dank an alle, die mit mir mitgefiebert und mich angefeuert haben, sei es zu Hause vor dem Livestream oder trotz garstigem Wetter an der Strecke. Für mich gehts in die wohlverdiente Saisonpause. Auf ein erfolgreiches 2022!