Steffen Justus, Olympia Teilnehmer 2012 in London und Vizeweltmeister 2010, stellt sich unmittelbar vor seinem Debüt bei der 70.3 Europameisterschaft in Wiesbaden unseren Fragen.
Larasch.de: Hallo Steffen. Mitte/Ende Juli gab es heftige Diskussionen und ein ziemliches Durcheinander was die Nominierung für die Olympischen Spiele betrifft. Wie hast du diese Unklarheit als auch die deutliche Hängepartie erlebt?
Steffen: Am Dienstag, dem 12.07.2016 haben wir den Entscheid des DOSB mitbekommen, dass wir nicht nominiert sind. Das war definitiv ein Schock! Danach war für mich klar, ich brauche neue Ziele, obwohl dieses HickHack in der besagten Woche sich noch ein wenig zog und ein Start bei Olympia rein theoretisch noch möglich war. In Absprache mit meinem Trainer Dan Lorang [aktueller Bundestrainer] stellte sich dann die Frage, ob ich in 4 Wochen fähig bin, einen Halb – Ironman zu absolvieren? Gemeinsam mit Anja Knapp und Gregor Buchholz, welcher zufällig die gleiche Idee hatte, fassten wir den 70.3 Ironman in Wiesbaden, was gleichzeitig die Europameisterschaft ist, ins Auge. Diese Gelegenheit ist für mich ein kleines Trostpflaster und ich freue mich darauf.
Larasch.de: Mit HickHack meinst du die Vergabe der Quotenplätze?
Steffen: Richtig. Nach dem Rennen in Yokohama hatten wir als deutsches Team von 6 möglichen Quotenplätzen 5 erkämpft, aber nur Anne Haug hatte die nationale Olympianorm erfüllt. Demnach existierten 4 freie Plätze bei der ITU, welche durch die nicht in Anspruchnahme des DOSB von nachfolgenden Nationen besetzt werden konnten. Die 2 Quotenplätze der Männer sind gleich am Mittwoch (13.07.2016) von Puerto Rico und Barbados genutzt worden. Bei den Frauen hatte Frankreich direkt einen Quotenplatz genutzt, Österreich und Italien nicht, sodass glücklicherweise Laura Lindemann nach dem Weltcup in Hamburg den einen verbliebenen Platz erhielt. Trotzdem ging das hin und her aufgrund der Russlandproblematik weiter, wo es schon noch die Möglichkeit gab, nachzurücken und doch an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Als dann dieses Thema auch erledigt war, war für mich klar, ich mache Wiesbaden und freue mich auf mein Zeitfahrrad.
Larasch.de: Wie bewertest du die Qualifikationskriterien? [1 x Top 8 bei einem Qualifikationsrennen]
Steffen: Die hochgesetzen Zielvereinbarungen wurden zu einem Zeitpunkt formuliert, als lediglich Anne Haug und ich Weltspitze gewesen sind. Als dann Verletzungen usw. dazu kamen, wurde es natürlich schwierig, die Kriterien zu erfüllen bzw. auch die Erwartungshaltung bei Olympia [ 1 x Medaillenplatzierung plus 2 x Top 8] standzuhalten. Ich meine, wenn die Norm niedriger wäre, bspw. eine Top 15 ausreicht, und es im Gegenzug 5 Athleten schaffen, werden die Athleten sich untereinander so pushen, dass auch 3 Top – Platzierungen herausspringen. Das beste Beispiel hierzu ist doch der Marathon. Es sind jetzt viel mehr Leute, die die Qualifikationszeit schaffen können oder bereits nachgewiesen haben. Die schaukeln sich im Anschluss hoch. Wenn es im Marathon so weiter geht, haben wir in 4 Jahren vielleicht schon 3 Läufer, die unter 2:12:00 Stunden laufen. Und wenn hierbei alle noch als Team arbeiten, funktioniert das sicherlich noch besser.
Larasch.de: Du hast in einem Frühjahrsinterview 2015 gemeint, dass du vor deiner mehrmonatigen Verletzungspause 2014/2015 die vorangegangenen Jahre praktisch zwischen Wettkämpfen und Trainingslager gependelt bist. Gleichzeitig dich die Pause aber gezwungen hat, verschiedene Ausgleichsübungen zu absolvieren, die dich sogar direkt weitergebracht haben. Ist dieser damalige Eindruck noch so aktuell?
Steffen: Im November 2014 hatte ich mir meine Schulter verletzt und musste bis Februar/März 2015 pausieren bzw. Alternativtraining absolvieren. Grundsätzlich hat alles seine Vor-und Nachteile. Speziell eine Phase mit viel Rehatraining schafft schon eine erhöhte Sensibilität was Athletik, Technik oder Koordination betrifft. Seit diesem Zeitpunkt bin ich verletzungsfrei und merke erst in den letzten Wochen, wie die Form wieder kommt und ich auf dem Niveau von 2010 bis 2012 bin. Das ärgert natürlich im Hinblick auf Olympia. Vor allem weil ich in den letzten Rennen nachweisen konnte, dass die Form da ist.
Larasch.de: Du entstammst „noch“ einer Generation, die unter aderem mit Jan Frodeno, Maik Petzold und dir sehr erfolgreich gewesen ist. Wie beurteilst du den aktuellen Nachwuchs in Deutschland?
Steffen: Schwierig. Wir haben Talente. Zum Teil gibt es erhebliche Probleme mit Verletzungen und mit der Belastungsverträglichkeit, gerade bei den Jungs. Bei den Frauen sieht es da etwas besser aus. Zudem ist es mittlerweile auch schwieriger. Zu meiner Generation konnten wir bei den Junioren 5 Leute unter den Top 10 platzieren. Heutzutage sind wir froh, wenn die Athleten überhaupt ins Ziel kommen. Sicherlich, damals ist es noch leichter gewesen Top – Ergebnisse zu bringen und die Zeiten sind auch schwer miteinander zu vergleichen. Grundsätzlich haben wir aber die Talente, jetzt muss nur alles passen und die Jungs und Mädels müssen gesund und verletzungsfrei durchkommen. Dann sind auch mittel- bis langfristig wieder sehr gute Resultate machbar. Da gehört sehr viel Fleiß und Training neben dem Talent dazu.
Larasch.de: Ein weiterer Grund ist sicherlich in der fehlenden Breite zu sehen, oder?
Steffen: Absolut. Vor 5 – 10 Jahren hatten wir eine wesentlich höhere Dichte und waren mit mehr Junioren bei verschiedenen Internationalen Meisterschaften am Start. Als dann die Elite – Männer mit 5 – 6 Athleten bei Weltcuprennen am Start und alle Starter gut für eine Top 10 Platzierung waren, da haben die Nachwuchsleute es sehr schwer gehabt, sich fürs Weltcupteam zu qualifizieren. Das ist ein ständiger Prozess des Auf und Abs, welchen man auch bei den Australiern oder Spaniern beobachtet. Das heißt, es existiert ein Loch von circa 4 – 6 Jahren und dann kommt Schritt für Schritt wieder einer nach und dann ist eine Nation wieder groß dabei, wobei wir [Deutschland] uns sicher gegenwärtig in einem extremen „Loch“ befinden. Vielleicht beinhaltet dieses Thema des Zykluses ausreichend Stoff für eine wissenschaftliche Betrachtung.
Larasch.de: Was ist deine Erklärung für dieses ausgeprägte „Loch“? Siehst du hierfür ein strukturelles Problem?
Steffen: Eigentlich nicht. Wir haben super ausgebildete Trainer, sehr gut ausgestattete Stützpunkte. Das Problem ist, dass zum Teil in den letzten Juniorenjahren die Athleten bereits wegbrechen. Hier brauchen wir uns nur die aktuelle Berichterstattung als auch die der vergangenen Jahre anschauen. Da ist eine Platzierung unter den Top 10 nichts mehr Wert. Die Anerkennung gibt es erst bei einer Medaille. Demzufolge fehlt komplett der Vorbildcharakter für junge, begeisterungsfähige Sportler und damit die Basis. Zum Glück gibt es im Triathlon hierfür eine Alternative mit den Langdistanzen, so dass der Sport, neben dem Studium, semiprofessionell ausgeübt werden kann. Zusätzlich müssen junge Sportler eine Perspektive über den Sport hinaus geboten bekommen. Das heißt, mit dem Sport könnt ihr den aktuellen Lebensunterhalt verdienen und parallel trotzdem eine Ausbildung oder Studium absolvieren. Diese Zeit braucht es mit allen Höhen und Tiefen, denn unser Sport als Ausdauerdisziplin ist leider so, dass diese Zeit bis Mitte zwanzig gebraucht wird, um seine Hochleistung zu entwickeln. Ausnahmen gibt es immer, aber für einen großen Teil wäre dieser Weg praktikabel und wünschenswert, ohne dabei natürlich das Training aus den Augen zu verlieren. Zum Glück gibt es dabei die Sprintdistanzen, die nicht die hohen Umfänge erfordern, sondern mehr die hohen Intensitäten.
Larasch.de: Du kommst aus einer sehr sportlichen Familie. Dein Vater war ein sehr erfolgreicher 1.500 m Läufer, ebenso sind deine Mutter als auch Schwester sehr talentiert. Wie bist du in dieser Konstellation groß geworden?
Steffen: Mein Vater war Trainer und ich, salopp formuliert, ein „Sportplatzkind“. Da wurde vieles direkt vorgelebt. Am Anfang war alles Spaß an der Freude und einfach machen. Irgendwann mit 15, 16 Jahren war natürlich, als es um nationale Platzierungen ging, der Ehrgeiz geweckt. Olympia war auch hier ein wesentlicher Motor, dieses Ziel, eine Teilnahme, irgendwann zu erreichen. Diesen Traum konnte ich mir zum Glück 2012 in London erfüllen. Das entscheidende ist natürlich in diesen jungen Jahren eine umfassende Förderung durch das Elternhaus. Mein Vater hatte zusätzlich noch die Erfahrung mich im Jugend/Juniorenalter zu bremsen, denn es zählt nicht was jetzt [mit 15, 16, 17 Jahren] ist, sondern in 10 Jahren. Der behutsame Aufbau war schon sehr gut und rückblickend richtig.
Larasch.de: Deinen Durchbruch schafftest du 2008. Wie würdest du nachträglich diese Entwicklung beschreiben?
Steffen: In der Gruppe um Daniel Unger, Jan Frodeno, Maik Petzold habe ich mich 2005/2006 in Ruhe entwickeln können. Es gab Phasen, da war ich nicht gut. Trotzdem bin ich im Training in deren Schatten extrem vorangekommen, bis ich schließlich die Trainingsleistungen auch im Wettkampf zeigen konnte. Sobald ein oder zwei richtig gute Athleten im Team sind, zieht es den Nachwuchs mit nach oben. Aber wenn die Top – Leute nur um Platz 20 kämpfen, wird es eben sehr schwierig.
Larasch.de: Vorletzte Frage: Am kommenden Wochenende startest du das erste Mal bei einem 70.3 Rennen in Wiesbaden. Wie verlief dafür die Vorbereitung? Werden wir dich zukünftig häufiger auf den längeren Distanzen sehen?
Steffen: Letzte Woche testete ich beim Frankfurter City – Triathlon auf verkürzter Distanz den Ablauf, vor allem den Schwerpunkt mit Zeitfahrrad unterwegs zu sein. Das Schwimmen müsste schon ganz gut passen. Das Radfahren ist der Knackpunkt. Auf Grundlage der Wattzahlen allerdings, sollte ich eigentlich bei den Top – Leuten wie Boris Stein gut mitkommen können. Trotzdem möchte ich nicht überziehen und versuchen meinen Plan umzusetzen. Im letzten Abschnitt, dem Laufen, erhoffe ich mir schon, dass ich auf Grundlage meiner Fähigkeiten noch deutlich Zeit gut machen kann. Nichts desto trotz muss ich situativ entscheiden und smart bleiben, dann kann ich meine riesige Vorfreude auf Wiesbaden auch auskosten. Dennoch will ich zeigen, dass die Form da ist. Dass wir würdige Starter in Rio gewesen wären. Es ist auch gut, dass das Rennen in Rio erst nächste Woche ist, so dass ich mit einer ganz anderen Erfahrung im Vorfeld das Rennen in Rio mir anschauen kann.
Larasch.de: Abschließende Frage: Welchen Rennverlauf erwartest du bei Olympia, sowohl bei den Damen und als auch bei den Herren?
Steffen: Also bei den Herren würde ich mich freuen, wenn das eintritt, was erwartet wird, indem vorn ein Gruppe geht, die die Platzierungen unter sich ausmachen. Dann würde ich mich nicht ärgern, denn die Gruppe hätte ich wahrscheinlich nie gesehen. Aber Spaß bei Seite. Bei beiden Rennen wird es ein brutales Schwimmen und anschließend werden 200% gegeben, um beim Radfahren sofort eine Lücke zu reißen, um eine Vorentscheidung zu suchen. Flora Duffy wird das sicherlich so versuchen, weil es das einzige Mittel ist Gwen Jorgensen abzustellen. Trotzdem können auch Damen, die nach dem Schwimmen weiter zurück liegen, noch gut nach vorn kommen. Hier sehe ich vor allem Anne Haug, Ashleigh Gentle oder Non Standford durchaus mit Chancen in die Top 10. Bei den Männern: Die Brownlees können sicherlich gewinnen, aber wenn es ans Laufen geht, sind sicher Mario Mola, Richard Murray, Joao Silva als die heißesten Kandidaten einzuschätzen. Also bis zu den ersten 1 -2 Radrunden bleibt es spannend, dann könnte schon ein grobes Ergebnis abgeleitet werden. Knackpunkt ist also, ob sich nach dem Schwimmen sofort eine Gruppe formiert oder ob die erste Verfolgergruppe noch ran kommt. Wenn das gelingt, ist für Anne ein Top 10 Ergebnis absolut machbar. Laura Lindemann wird sicher in der ersten großen Gruppe sein und im Läuferischen noch den ein oder anderen Platz rausholen.
Lieber Steffen, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen dir alles gute für Wiesbaden und für natürlich für deine sportliche Zukunft.