Ich fass mir ja immer unverständlich an den Kopf, wenn ich Profi-Geher sehe, die tatsächlich schneller gehen als ich laufen kann. Gleichzeitig muss ich innerlich immer etwas schmunzeln, denn der Hüftschwung dabei kann sich selbst bei den Männern sehen lassen 😉
Zwei Athleten jener Disziplin möchte ich euch heute vorstellen… Hagen Pohle und Carl Dohmann! Beide sind hier in Rio über 50km am Start (19. August). Die Jungs wissen also, wie sie die Füße abwechselnd voreinander setzen, ohne in Gefahr zu laufen, ins Laufen überzugehen… wortwörtlich.
Hagen hat als Läufer angefangen und ist 2005 dann an die Potsdamer Sportschule gewechselt. Doch die Entwicklung lief nicht so wie erhofft… „Als dann eine größere Jugendgruppe im Gehen nach Potsdam wechselte, kam ich erstmals mit dieser Disziplin in Kontakt.“
Auch ihm war die etwas ominöse Fortbewegung anfangs suspekt und „in dem Alter hat man das Gehen schön des Öfteren ’nachgeäfft‘.“ Allerdings schien Hagen wie gemacht dafür und bewies augenscheinlich ein gewisses Talent, denn die Bundesnachwuchstrainerin Manja Berger, ermutigte ihn, das Gehen einmal auszuprobieren. Ein gutes halbes Jahr später versuchte er sich dann erstmals in der Teamwertung beim DLV-Schülercup, weil noch eine Person fehlte. Da der Wettkampf sehr erfolgreich lief bzw. ging, blieb Hagen dran. „Also im Prinzip ein sehr glücklicher Zufall.“
Carl dagegen ist mit elf Jahren einem Leichtathletikverein beigetreten, hat sich dort querbeet in den unterschiedlichsten Disziplinen ausprobiert und ist letztlich beim Gehen hängen geblieben. „Einfach weil ich das am besten konnte und dort nach und nach auch einen gewissen Ehrgeiz entwickelt habe.“
Worauf kommt es beim Gehen an?
Hagen: „Für das Gehen gibt es laut internationaler Wettkampfordnung zwei Regeln – Den Bodenkontakt und die Kniestreckung. Heißt, das am Boden befindliche Bein muss vom Moment des Fußaufsatzes bis unter den Körperschwerpunkt am Knie gestreckt sein.“
Aber wann gehe ich noch und laufe nicht zufällig schon?
Carl: „Beim Gehen darf mit bloßem Auge kein Verlust des Bodenkontaktes erkennbar sein, man darf also nicht springen. Außerdem muss man das Knie durchstrecken, sobald man mit dem Fuß aufsetzt.“
Und wie trainiert ihr?
Hagen: „Es ist ähnlich wie im Laufen, nur dass man halt geht. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei im Training auf der Grundlagenausdauer. Also viele lange Strecken.“
Carl: „Man sammelt in der Woche viele Kilometer – da kommt man schon auf 200km!“
Ich weiß selber, wie zeitintensiv es ist, allein 100km die Woche zu laufen… würde ich das in halber Geschwindigkeit gehend zurücklegen, wäre ich nachts noch nicht zu Hause. Aber die beiden bekommen ihre Kilometer zusammen – sind ja auch schneller unterwegs – und bauen zusätzlich Tempoeinheiten und Krafttraining ein.
Beide sind sehr ehrgeizig und eher ruhige Gemüter. Scheinbar also kein Zufall, dass sie das Gehen dem Laufen vorgezogen haben?! Aber wie eingangs angesprochen, ist das kein gemächliches Spazieren! Die Jungs sind schnell und deshalb nicht grundlos bei den Olympischen Spielen dabei.
Was bedeuten sie euch?
Carl: „Wie fast jedem Teilnehmer sehr viel. Es ist immerhin der Höhepunkt meiner Sportlerkarriere. Als die Spiele 2009 nach Rio vergeben wurden, wusste ich: Da will ich hin.“
Hagen: „Die Olympischen Spiele sind der Traum eines Sportlers, so auch für mich. Es ist das größte Sportereignis und ich darf dabei sein. Von einer Teilnahme bei Olympia habe ich schon als Kind geträumt. Es ist außerdem ein Wettstreit, bei welchem Sportler der ganzen Welt friedlich gegeneinander kämpfen.“
Fest steht: Der Weg nach Rio war langwierig und sehr zeitintensiv. Die letzten Wochen natürlich umso fokussierter auf ihren Höhepunkt am 19. August ausgerichtet – der 50km Wettkampf, wobei Hagen am 12.8. bereits über 20km startet.
Hagen: „Eigentlich war das gesamte Jahr auf die Olympischen Spiele ausgerichtet, weil ich im vergangenen Oktober meine erste Norm erfüllen konnte. Im Juni begann dann die finale Vorbereitung.“
Trainingslager standen bei beiden auf dem Programm. Traditionell auf der Sportbasis Belmeken in Bulgarien: „Diese liegt im östlichen Teil des Rilagebirges auf rund 2000m Höhe. Hier haben wir sehr viele Kilometer absolviert, ca. 200-210 Kilometer pro Woche.“
Insgesamt standen drei Trainingslager auf dem Programm. Dabei bestand eine typische Woche aus mittellangen und langen Strecken bis 40 Kilometer, Tempotraining und Athletik, aber auch aus viel Regeneration mit Massagen, Sauna und viel Schlaf.
Somit sind beide hoffentlich gut vorbereitet! Was nehmt ihr euch vor? Wie wollt ihr das Rennen anGEHEN?
Hagen: „Ich möchte einen erfolgreichen Wettkampf in Rio auf den Asphalt bringen. Da es trotz Winter in Rio warm sein wird, werde ich meine Wettkämpfe auch etwas zurückhaltender angehen, um auch zum Ende genügend Kräfte bereit zu haben.“
Carl: „Meine Taktik wird vor Ort vom Wetter und letztlich von meiner Form abhängen. Welche Gedanken mich am Ende begleiten werden, kann ich noch nicht sagen, da fehlt mir die Erfahrung mit Olympischen Spielen. Auf jeden Fall werde ich alle negativen Gedanken von mir fern halten.“
Auf die Frage, was beide auf jeden Fall aus Deutschland mitbringen, darf bei Carl neben seiner Olympiakleidung und den Wettkampfschuhen also auch der klare Kopf nicht fehlen.
Und Hagen packt noch sein Getränkepulver ein, damit im Wettkampf neben der Flüssigkeit auch die Mineralien und Elektrolyte nicht dursten.
Obendrein haben beide die Unterstützung ihres Vereines sowie der deutschen Gehsportfans im Petto. Hagen findet noch eine leere Seitentasche, um die Rückendeckung der Bewohner seiner Heimatstadt Beeskow mitzunehmen.
In wenigen Tagen ist es dann auch schon soweit. Gibt es ein bestimmtes Wettkampfritual? Ein bestimmtes Frühstück oder ein motivierendes Lied kurz vor dem Start?
Bei Carl darf das Brot oder die Brötchen mit Käse und eine Banane nicht fehlen. Hagen nimmt dagegen was kommt, wobei er auf Ei- oder Milchspeisen sowie Deftiges lieber verzichtet. Ansonsten sind sie eher bescheiden und lassen sich durch unnötiges Störfeuer nicht beirren und konzentrieren sich schlicht auf den Wettkampf.
Die einzige Konstante bei Hagen ist, dass er versucht ca. vier Stunden vor dem Wettkampf aufzustehen, damit der Körper pünktlich leistungsfähig ist.
Stichwort: Leistung! Wie sähen die perfekten Wettkampfbedingungen aus?
Bei Hagen leichter Nieselregen und 10-15°C. Außerdem möglichst ein Rundkurs ohne Enden, bzw. mit großem Wenderadius.
Carl hofft dagegen auf viele Zuschauer, sodass der Wettkampf auch Spaß macht. Das Wetter ist ihm im Grunde egal, „durch die Bedingungen müssen wir schließlich alle durch.“
Welches Ziel habt ihr euch gesetzt?
Carl: „Mich in Bestform zu präsentieren. Für welchen Platz das reichen könnte, kann ich nicht einschätzen, dafür ist die Leistungsdichte einfach zu groß. Langfristig möchte ich aber mal unter die ersten Zehn in der Welt kommen.“
Auch Hagen möchte natürlich erfolgreich abschneiden und Erfahrungen für kommende Olympiaden sammeln. Die 50km absolviert er schließlich erst zum zweiten Mal in seiner Karriere, „deshalb will ich vor allem das Ziel erreichen. Möglichst aber auf beiden Strecken zu den besten 20 Gehern gehören.“
Euch beiden drücken wir natürlich die Daumen, dass über jeden Kilometer die Füße abwechselnd den Bodenkontakt halten und die Knie immer schön durchgestreckt sind 😉
Kleiner Tippfehler in der Überschrift: Carl „L“ohmann. Ansonsten ein toller Artikel 🙂
Oh vielen lieben Dank für den Hinweis!