Ich durfte Anna zuletzt in Pforzheim (Sparkassen Cross) nicht nur über den Weg laufen, sondern sie auch am Abend der Anreise auf ihrer vier Kilometer Runde begleiten. Glücklicherweise in einem lockeren Beine-ausschütteln-Tempo, der für die rasende Reporterin zwar weniger entspannt aber machbar war. Machbar heißt: ohne beim Reden hechelnd vor sich hin zu stolpern. Meine Fähigkeiten als Trainingspartner beschränken sich daher auf eine bestimmte Pace, bei der das Interviewen auch noch machbar ist.
Da wir am besagten Abend nicht nur zu zweit unterwegs waren, erwies sich das näher-Kennenlernen als ein Gelegenheits-Smalltalk. Sprich, leider konnte ich nicht all zu viele Infos sammeln und mir nur einen flüchtigen Eindruck machen. Dieser schien etwas zurückhaltend aber selbstsicher. Jemand, der die Situation lieber erst einmal abschätzt und sich in einer sympathischen Art nicht aufdrängt. Heißt aber nicht, dass Anna nicht auch ordentlich schnacken kann.
„Schon als Kind habe ich geredet und erzählt, wie ein Wasserfall. Das ist bis heute geblieben, sogar bei den härtesten Tempoläufen, auch wenn es bei meinen Mitläufern häufig ab einem gewissen Erschöpfungssgrad auf wenig Begeisterung stößt…“
Gut zu wissen! Das nächste Interview kann also ruhig laufend sein, weil ich dann nur vereinzelt Fragen reinwerfe und die gute Anna reden lasse 😉
Unabhängig davon, wirkte sie sehr klar und ehrlich im Auftreten. Still und konzentriert vor Wettkämpfen. Die angespannte Nervosität und adrenalinreiche Euphorie wird mit sich selbst ausgemacht. Fokussiert steht sie dann letztlich an der Startlinie, wo alle Gefühle gebündelt und als extra Speed beim Startschuss abgefeuert werden. Mit Erfolg!
Aber dieser klarer Fokus hat sich erst in diesem Jahr ausgerichtet.
„Noch vor einem halben Jahr hatte ich keine wirkliche Vorstellung von meiner Zukunft, wollte am liebsten alle Möglichkeiten, die sich mir boten zu 100% verfolgen. Das hat leider gar nicht funktioniert und ich fand mich im Sommer sowohl im sportlichen Bornout, als auch ohne Studienplatz wieder.“
Erfolg war lange Zeit ein berechnendes Ziel und auf dem Weg dorthin blieb die Leidenschaft – der Spaß am Laufen – auf der Strecke.
„In der Endphase des Abiturs hat der Trainingsplan meinen Lebensalltag bestimmt: Die Laufeinheiten habe ich zu 120% so abgearbeitet, wie sie vorgesehen waren, sogar noch mit zusätzlichen Einheiten ergänzt. Ich spreche hier bewusst vom ‚Abarbeiten‘ des Trainings, denn ich dachte gar nicht mehr drüber nach, ob ich Lust habe, Laufen zu gehen.“ Sie ignorierte körpereigne Signale und funktionierte einfach. Dabei sendete ihr Körper ihr zu Hauf Signale, „dass ich es mit der Belastung, die von allen Seiten – sowohl schulisch als auch sportlich auf mich einprasselten – maßlos übertrieb!“
Gefangen im übertriebenen Ehrgeiz, verlor sie sich in diesem zwanghaften Leistungskampf. Und irgendwann der bewusste Cut! Nachdem sie die Saison vor einem halben Jahr mit guten Ergebnissen in Kassel und Bochum zu Ende gebracht hatte, ging es erstmal mit ihrer Familie in den Urlaub.
„Meine Laufschuhe habe ich gar nicht erst in den Koffer gepackt. Früher war ich ein Mensch, der es kaum 2 Tage ohne Sport oder Bewegung ausgehalten hat, aber während diesem zehntägigen Urlaub habe ich es wirklich keine Sekunde lang bereut, meine Laufschuhe nicht dabei zu haben!“
Daran richtete sie auch die nächste Saisonpause: Diese dauerte nicht wie üblich knapp vier Wochen, sondern so lange, bis sie wieder Lust aufs Laufen bekam.
„Das waren in meinem Fall dann zwei Monate! Zwei Monate, in denen ich es einfach genossen habe, meinen Körper nicht jeden Tag aufs Neue zu schinden und unabhängig von irgendwelchen Plänen in den Tag hineinzuleben.“
Zwar lag Anna jetzt nicht die ganzen zwei Monate auf der Couch, aber versuchte bei ihren Läufen durch den Wald – ohne Uhr – oder beim Radfahren und Schwimmen mit ihrer alten Triathlongruppe ehrliche Lust am Sport wiederzufinden. Zu wollen und sich nicht vom Kopf-gelenkten Muss einnehmen zu lassen. Sie wollte dieser Maßregelung bewusst entfliehen und die Freiheit, die einem das Laufen eigentlich gibt, wiedergewinnen.
Anfang Oktober entschied sie sich dafür, dass die Berufsausbildung an erster Stelle steht und begann wenig später mit einem sechswöchigen Pflegepraktikum im Krankenhaus – wohl wissend, dass ein 40-stündige Arbeitswoche im Schichtdienst alles andere als eine gute Voraussetzung für die anstehende Crosssaison ist.
Darauf wurde aber in der Traningsplanung Rücksicht genommen, sodass lediglich fünf Laufeinheiten pro Woche anstanden, „wobei ich davon immer noch viele Läufe streichen musste, weil nach der Arbeit die Luft einfach raus war und die Beine zu schwer, um nochmal nach Draußen zu gehen und zu trainieren.“
Meistens waren es Dauerläufe, ganz selten hat sich auch mal ein Tempodauerlauf dazu verirrt. Trotzdem ist Anna in diesem Winter ihre bisher mit Abstand beste Crosssaison gelaufen und Vize-Europameisterin geworden – „weil ich gelernt habe, wie wichtig es ist, auf seinen Körper zu hören und das Sport bzw. Laufen eine schöne Nebensache, aber noch lange nicht alles im Leben ist!“
Bedeutete aber teilweise auch, dass sich Anna teilweise bereits abends um acht Uhr im Bett wieder fand – „anders hätte ich die Doppelbelastung wohl kaum vertragen.“
Und neben dieser Rücksicht bestimmen auch Sauna und Blackroll die Leistungsfähigkeit bzw. Regeneration. Und kurz vor einem Wettkampf: „ein bisschen Bananenbrot, was ich eigentlich schon fast traditionell vorher Zuhause backe.“
Und das ergibt in der Summe Annas Erfolgsrezept: „Auf den eigenen Körper hören und den Spaß am Training nicht verlieren! Sport ist ein tolles Hobby und ein super Ausgleich zum Alltag, so lange es nicht primär dein Leben bestimmt! Ich glaube, dass weniger Trainingseinheiten pro Woche viel mehr bringen können, wenn wirklich jede Einheit mit Spaß absolviert wird kann und es nicht stumpf um viele Trainingskilometer geht!“
Für 2017 lautet deshalb das Ziel, einen Studienplatz zu bekommen! Sportlich möchte sie sich für die U23 EM qualifizieren und vor allem den Spaß am Laufen behalten!
„Langfristig möchte ich mich nicht darauf versteifen, den Leistungssport parallel zum Studium durchzuziehen. Ich möchte mich einfach, wie jeder andere Student auch, noch mit anderen Dingen beschäftigen, als mit Anatomiebüchern und meinen Laufschuhen.“
Diese Crosssaison hat ihr allerdings dahingehend Mut gemacht, dass man das mit ein bisschen Organisationstalent hinbekommt. „Und außerdem laufe ich an sich sowieso viel zu gerne, um die Laufschuhe einfach in die Ecke zu schmeißen.“ Also wird es ‚zwangsläufig‘ immer ein Teil des Alltags bleiben.
Ich glaube Anna ist ein wertvoller Beweis dafür, dass weniger oft mehr ist und aufrichtige Leidenschaft den Erfolg bestimmt. Auf Zwang einen ‚Soll‘ zu erfüllen, bedeutet langfristig, weder das ein noch andere erfolgreich abzuschließen.
Manchmal sollte vielleicht so manch ein Profiläufer an dem Hobby-Läufer ein Beispiel nehmen. Denn so wie wir Freizeitrenner die Leistungen der Profiathleten bewundern, bleibt die aufrichtige Hingabe, der ehrliche Spaß am Training beneidenswert und letztlich zielführend.
Also liebe Anna, bleibe dir weiterhin selbst treu und freue dich über jeden Laufschritt. Dann bringt er dich auch voran 🙂
Beitragsbild by Francesco Lietti/ trackarena.com