Die Vorbereitung für den Frühjahrsmarathon geht in die heiße Endphase, in vier Wochen werden die Würfel für die Berliner Heim-EM in Düsseldorf und Hamburg gefallen sein. Nicht zuletzt wegen der vermeintlich „einfachen“ Norm und vor allem der bis zu sieben frohlockenden Startplätze ist quasi jede/r Langstreckler/in auf den Marathon-Zug aufgesprungen.
Hier eine Liste der mir bekannten Marathonaspiranten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).
- Philipp Baar 1992
- Marcin Blazinski 1988
- Tobias Blum 1995 – abgesagt
- Marcel Bräutigam 1987
- Thorben Dietz 1989
- Julian Flügel 1986 – abgesagt
- (Arne Gabius) 1981
- Timo Göhler 1991 – abgesagt
- Tom Gröschel 1991
- Nic Ihlow 1995
- Jonas Koller 1993
- Karsten Meier 1991
- Jens Nerkamp 1989
- Hendrik Pfeiffer 1993
- Philipp Pflieger 1987
- Tim Ramdane 1994
- Sebastian Reinwand 1987
- Frank Schauer 1989
- Paul Schmidt 1985
- Marcus Schöfisch 1987
- (Manuel Stöckert?) 1988 – kein Lebenszeichen
- Andreas Straßner 1979
- Steffen Uliczka 1984
Ich sehe es kritisch, dass darunter zahlreiche U23 bzw. der U23 gerade entwachsene Athleten sind, die ihre Möglichkeiten und Hausaufgaben auf der Bahn alles andere als ausgereizt bzw. erledigt haben und meiner Meinung nach für einen kurzfristigen Erfolg (potentielle EM Teilnahme) den langfristigen Fortschritt gefährden.
Aus der Sicht junger und erfolgshungriger Athleten ist für mich die Anziehungskraft einer EM-Teilnahme, noch dazu im eigenen Land vollkommen nachvollziehbar.
Die Entscheidungshoheit liegt am Ende beim Athleten selbst, dennoch sehe ich es als fragwürdig an, dass der DLV mit seiner Kaderpolitik zum Jahreswechsel ein Signal in genau diese Richtung gesendet hat.
Normalerweise werden in den Kader Athleten mit der vielbeschworenen „Endkampfchance“ (Platzierung unter den Top8) bei einer internationalen Meisterschaft oder Erfüllung der Olympianorm berufen. Jetzt sollte man sich vielleicht nicht unbedingt beschweren, wenn der Verband auf den Nachwuchs setzt, dennoch erschließt sich mir die Sinnhaftigkeit hinter der Gestaltung der Marathon Kader M/F nicht.
Ich möchte vorweg betonen das die folgenden Analyse keine Geringschätzung einzelner Athleten sondern eine (in meinen Augen) objektive Einordnung ihrer erbrachten Leistungen und damit verbundenen Perspektive ist.
In den Marathon Kader neu berufen wurden Jonas Koller (13:58min – 29:40min – 65:23min) und Tobias Blum (14:05min – 29:32min – 65:42min), dafür musste u.a. Philipp Pflieger (13:31min – 28:40min – 63:44min – 2:12:50h) weichen. In welcher Welt schlagen Jonas Koller oder Tobias Blum ihren Konkurrenten Philipp Pflieger? – da lege ich mich fest – in keiner! Philipp Pflieger ist mindestens eine Klasse besser als die Beiden anderen und er kratzt immer gerade so haarscharf an den DLV Normen für internationale Meisterschaften. Nun ist Jonas Koller in Frankfurt gute 2:16h gelaufen und hat damit die geforderte B-Norm für Berlin erfüllt und wohl deshalb den Vorzug gegenüber seinem Vereinskameraden Pflieger erhalten, der bekanntlich eine Saison ohne Happyend erlebt hat und zudem wohl als „Querulant“ in den Akten geführt wird. Der Fortbestand dieser Team-Norm über die Heim-EM hinaus ist in meinen Augen sehr fraglich und damit auch eine wiederholte Normerfüllung von Jonas Koller. Tobias Blum hat nach meiner Einschätzung überhaupt keine Leistung erbracht die in Richtung EM 2018 deutet. Warum signalisiert der DLV also gerade diesen Jungs „macht mal Marathon“, wenn bei realistischer Betrachtung der Unterdistanzleistungen auch in Zukunft keine 2:12h greifbar sind? Schließlich sind dem DLV die nur unter Androhung des Rechtsweges entstandenen 2:14h von Rio2016 grundsätzlich zu schlecht.
Am Ende ist die Personalie Philipp Pflieger auch nur ein Nebenschauplatz, denn das eigentliche Problem der Sache ist ein anderes, wenn man „unfertige“ Athleten direkt nach der U23 zu Straßenkindern macht, torpediert das die positive Entwicklung der Leistungsdichte der Bahnleistungen in den vergangenen 5-6 Jahren. Während beispielsweise 2008 der Zehnte der deutschen Bestenliste die 5.000/10.000m in 14:13min und 30:22min gelaufen war, hat sich bis zum letzten Jahr ein spürbarer Aufwärtstrend mit 13:57min und 29:40min fortgesetzt. Jetzt rennt ein halbes Dutzend junger Läufer mit Befürwortung des DLV einen Frühjahrsmarathon mit der Perspektive bestenfalls in die Reichweite des Frauenweltrekords zu kommen und wird anschließend die Bahnsaison weitgehend verpassen. Wir waren eigentlich an einem Punkt, an dem es sinnvoll ist die DM-Norm wieder auf 14:10min festzulegen, ich bin gespannt auf die Bestenliste 2018… Ohne entsprechende Konkurrenz wird sich in der weiteren Entwicklung nicht mehr viel tun. Auf den ersten Blick mögen zwar auch 13:55min/5000m international irrelevant erscheinen, diese Lückenfüller tragen national aber zur Leistungsdichte bei und bieten einen Ansporn für andere Athleten wieder besser zu sein und dadurch kommt dann auch mal wieder ein 13:30min oder 13:20min-Läufer zu Tage, der mit dieser Basis später auf der Straße eine echte Chance hat, zumindest in Europa, relevant zu sein.
Natürlich ist es nicht grundsätzlich falsch wenn Athleten sich frühzeitig für den Marathon entscheiden, wie das Beispiel Hendrik Pfeiffer belegt. Hendrik ist als „geborener Marathonläufer“ aber eine Ausnahme und hat schon vorab mehrmals unter Beweis gestellt wo seine Reise hingeht. Nebenbei bemerkt hat er 2014 in einem taktischen 5.000m DM-Hitzerennen mit 14:04min gezeigt dass er nicht langsam ist. Direkt Richtung Marathon macht eben nur für junge Läufer Sinn, die mehr oder weniger auf Anhieb 64er Zeiten rennen und nicht erst einmal drei Jahre mit 67 bis 65-Minuten zu kämpfen haben.
Bei den Frauen ist die Kaderzusammensetzung des DLV schlichtweg absurd. Franziska Reng, Fabienne Amrhein und Laura Hottenrott oder gar Inga Hundeborn und Sara Kistner verfügen bei allem Respekt doch nicht über internationales konkurrenzfähiges Marathon-Potential!? Wo soll der gut 15 minütige Rückstand hinter der internationalen bzw. die über 5 Minuten hinter den nationalen Top 4 hinführen? Die beiden letzteren sind noch nie Marathon gelaufen. In einem Fall müsste man schon die 10km mal vier nehmen, damit eine brauchbare Marathonzeit rauskommt. Das würde bei den Männern bedeuten, dass man mit 2:18-20h noch für eine Straßenlaufkarriere in Frage kommt (oder mit 32min/10km J ). Meines Wissens war es dem DLV aber nicht möglich Marcus Schöfisch entsprechendes, lediglich für die Sportfördergruppe der Polizei zu bescheinigen (Ich kenne dazu allerdings keine weiteren Details und habe davon lediglich über Dritte Kenntnis genommen).
Wie Kadernominierungen zusammen kommen ist für mich nicht objektiv nachvollziehbar. Während auf der Bahn eine Bestzeit deutlich unter 5.000m EM-Norm nicht mehr ausreichend ist, genügt es im Marathon schon die halbe Distanz im Zieltempo geschafft zu haben. Noch weniger nachvollziehen kann ich die DLV Politik im Punkto Straßenlauf, warum nötigt man junge Nachwuchstalente dazu sich für den Kaderstatus auf der Straße zu prostituieren und suggeriert ihnen damit eine Zukunft, die sie nicht haben? Die Kompetenz der entsprechenden Entscheidungsgremien, die schließlich aus Steuermitteln finanziert werden, stelle ich aufgrund dessen offen in Frage. Das Bisschen an vorhandenen Sportfördermitteln sollte möglichst sinnvoll eingesetzt und nicht durch einen inkompetenten Verwaltungsapparat verbrannt werden.
Das einzig Positive an der Situation ist, dass der Marathon Frühling dadurch jede Menge Spannung verspricht und Raum für wilde Spekulationen bietet.
In Teil 2 erfahrt ihr nächste Woche Freitag wie meine Vorschau, mit Blick auf die Männer, ausfällt.