Larasch: Im September 2007 hast du mit dem Laufen angefangen, seitdem sind jetzt schon fast 12 Jahre vergangen. Wie denkst du heute über diesen Schritt, war es im Nachhinein ein Schritt in ein neues Leben?
Tim Kleinwächter: Definitiv, das kann ich nur bestätigen. Heute feiere ich tatsächlich mit Familie und engen Freunden gleich zweimal im Jahr Geburtstag. Für mich hat nach dem Unfall ein zweites Leben begonnen. Ich glaube, wenn sich heute der „frühere“ und der „aktuelle“ Tim treffen würden, könnten die beiden nichts mit einander anfangen. Ich gebe nur kurz ein paar Beispiele: Seit meinem Unfall habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken, vor meinem Unfall habe ich nie Sport getrieben, ich habe mir keine Gedanken über meine Ernährung gemacht und für den Beruf als Physiotherapeut und Masseur hätte ich mich niemals entschieden. Ich glaube die beiden Tims hätten gar keine Gesprächsgrundlage.
Viele treiben Sport um gesünder zu Leben oder sich vom Stress des Alltags abzulenken. Für dich bedeutet der Radsport ja mittlererweile viel mehr, im Herrmann Radteam bist du seit Ende 2016 und hast als Ziel die Sommer-Paralympics 2020 ausgegeben. Ist das deine Motivation, jeden Tag im Training an deine Grenzen zu gehen?
Angefangen hatte ich mit dem Sport um einen Ausgleich zum Berufs- und Ausbildungsalltag zu haben. Erste Runden habe ich auf einem alten Mountainbiketandem mit meinem guten Freund Markus (meinem heute wichtigsten Mechaniker) gedreht, damit war der Stein ins Rollen gebracht. Aus einem Ausgleich wurde eine große Leidenschaft und mit der Leidenschaft kam irgendwann auch der Erfolg. Schon lange habe ich den großen Traum an den Paralympischen Spielen teilzunehmen, der treibt mich jeden Tag an und ich habe jeden Tag die Motivation wieder ein klein Bisschen besser zu werden. Noch dazu habe ich großartige Eltern, die mich seit Beginn unterstützen, mich zu den wichtigsten Wettkämpfen immer begleiten und mir ein Stück weit auch erst ermöglichen, dass ich den Radsport so leben kann wie ich es tue.
Was ist an dem Tandem-Sport für dich das Besondere? Ist es richtig, dass Dr. Peter Renner, dein Straßenpilot in seinem „anderen Leben“ Arzt ist?
Ich kann es für meinen Teil natürlich schlecht mit dem „anderen Radsport“ vergleichen, da ich den Radsport nur auf dem Tandem kennen gelernt habe. Allerdings kann ich in jedem Fall sagen, dass Vertrauen und Teamgeist eine ganz zentrale Rolle spielen. Außerdem muss die Chemie stimmen, es ist schon eine ganz besondere Art der Beziehung (so komisch das vielleicht klingen mag) die Pilot und Stoker auf dem Rad verbinden. Mit Peter habe ich wirklich ein großes Los gezogen, zwar ist er zuvor niemals die Tour de France gefahren, oder hat WM- oder andere Medaillen gewonnen… Aber er ist einfach trotzdem ein unheimlich guter Radfahrer finde ich. Außerdem stimmt es menschlich er bringt viel Know-How mit und weiß wie wir vorankommen, wir sind ein richtig gutes Team geworden, auch ich habe mich mit ihm weiterentwickelt. Und ja, Arzt ist er „nebenbei“ auch noch, aber da müsst ihr ihn selber fragen wie das zeitlich alles funktioniert, das habe ich selbst noch nicht verstanden.
Seit dem Herbst 2018 ist Stefan Nimke dein neuer Tandempartner auf der Bahn. Stefan ist ja Olympiasieger und sechsfacher Weltmeister geworden. Wie sehr motiviert dich die Zusammenarbeit mit ihm?
Ich hatte mich von Anfang an sehr auf diese Bahnsaison gefreut. Noch nie zuvor habe ich mit einem so erfolgreichen Piloten auf dem Tandem gesessen, entsprechend motiviert war ich natürlich. Vieles ist bei Stefan einfach in Fleisch und Blut übergegangen, die Erfahrung die er über die Jahre gesammelt hat bemerkt man überall. Er konnte da wirklich ein super Coach sein und ich viel Neues über mich und den Bahnradsport lernen. Ich habe zuletzt wirklich ein Gefühl bekommen warum er so erfolgreich war, das kam sicher nicht von ungefähr!
Ende November konntest du den deutschen Rekord in der Einerverfolgung über 4000m auf 4:27,41min verbessern und gleichzeitig Deutscher Meister über diese Distanz werden. Es war zwar nicht dein erster Meistertitel, aber sicherlich einer deiner größten Erfolge. Wie hast du dich mit dem Titel und Rekord gefühlt?
Ein deutscher Rekord ist immer etwas ganz Besonderes, das ist ganz klar. Dass ich ihn gleich nach nur vier Wochen gemeinsamer Arbeit mit Stefan aufstellen konnte, kam für mich eher überraschend. Trotzdem muss ich an dieser Stelle ganz ehrlich sagen, dass Stefan und ich ein noch größeres Potential haben. Ich möchte das gar nicht klein reden – ganz und gar nicht – aber wenn ich die Zeiten der weltbesten Tandems sehe, weiß ich, dass wir da auch noch deutlich schneller sein könnten. Allerdings muss ich anfügen, dass mein Fokus seit ein paar Jahren ganz klar auf der Straße liegt. Umso mehr freue ich mich über die neue Zusammenarbeit mit Stefan mit den vielen spannenden Facetten.
Kommen wir nun zu deinem Training. Wie muss man sich das vorstellen, trainierst du dann die meiste Zeit auf der Rolle, oder kannst du auch regelmäßig mit einer Begleitung draußen fahren? Auf deinem Niveau ist es sicherlich nicht so einfach, einen passenden Begleiter zu finden
Ich habe das große Glück, dass ich mittlerweile an meinem Wohnort Bad Windsheim und Umgebung einige Sportler kenne, die ich regelmäßig kontaktieren kann um gemeinsam zu trainieren. In der Tat ist es aber so, dass ich mit steigendem Niveau auch einige Partner verloren habe, nicht jeder schafft es mich fünf Stunden mit einem zum Teil 35er Schnitt und voller Konzentration zu pilotieren… Außerdem trainiere ich natürlich auch sehr viel alleine auf der Rolle. Ich glaube ich habe eine seltsame Einstellung zum Thema Rolle – irgendwie macht es mir doch meist Spaß mich bis zu fünf Stunden am Stück zu quälen, es gibt Wochen, da sitze ich 25 Stunden in der Woche im Keller auf dem Rad. …und das ganz ohne Filme oder z.B. Zwift – denn dafür ist meine Sehfähigkeit zu schlecht: Ich habe immer direkt vor mir am Monitor die aktuelle Wattleistung in wahrscheinlich Schriftgröße 200, das kann ich dann doch ganz gut erkennen.
Das klingt nach einem eisernen Willen. Bleiben wir bei deinem Training. Was ist deine Lieblingseinheit, eher kurze Intervalle oder längere Ausfahrten über mehrere Stunden?
Es sind zwar sicher nicht die effektivsten, wichtigsten und sinnvollsten Einheiten – aber danach habt ihr ja nicht gefragt: Radfahren von früh bis spät, mit einem schnellen Stundenmittel, da dürfen es auch gerne mal 300 Kilometer sein – und wenn wir dann noch ein paar Strava-Krönchen sammeln – dann ist es perfekt.
Wenn du nach einer harten Einheit auf dem Rad fertig mit dem Training bist, wie belohnst du dich dann danach?
Mein Vater ist ein super Koch, der sorgt für die eine Belohnung, die andere hole ich mir auf dem Sofa: ich finde es fühlt sich dann einfach gut an, wenn man die Muskulatur spürt und merkt was der Körper geleistet hat.
Die Entfernung zwischen dir und deinem Bahn- Trainingspartner (Schwerin und Bad Windsheim) ist ziemlich groß. Wie oft könnt ihr dann überhaupt zusammen trainieren?
Klar, das ist der große Vorteil mit meinem Straßenpartner Peter. Trotzdem haben Stefan und ich einige verlängerte Wochenenden und zwei Trainingslager in Frankfurt Oder verbracht. Meist bin ich hier mit der Bahn gefahren, mittlerweile weiß ich genau wo ich im Berliner Hauptbahnhof meinen Anschlusszug finde und wie ich in Frankfurt zur Radrennbahn komme. Trotzdem ist es natürlich schon ein gewisses Hindernis, auf der anderen Seite haben wir im Raum Nürnberg keine entsprechende Möglichkeit. Noch nicht, erst kürzlich wurden wir kontaktiert, da die geplante Bahnradsporthalle in Nürnberg (Fertigstellung vielleicht 2021) auch blindengerecht sein soll.
Das hört sich vielversprechend an. Dein großes Ziel sind ja die Sommer-Paralympics 2020 in Tokio. An welchen Schrauben im Training musst du bis dahin noch drehen, wo siehst du noch Verbesserungspotential?
Glücklicherweise haben wir bereits ein paar Schrauben entdeckt, an denen wir noch drehen können. Ich glaube gerade auch unser Trainer Dr. Holger Eckhardt von der Friedrich-Alexander Universität (Fakultät für Sportwissenschaft und Sport) hat unsere Möglichkeiten und auch Schwächen erkannt und wird unsere Trainingspläne entsprechend anpassen. Um es kurz zu machen ist es wohl insbesondere der Kampf gegen die Uhr, in dem wir noch einige größere Schritte machen können. Für mich ist es auch ein ständiger Prozess auf dem Weg zu einem besseren Zeitfahrer. Aber im Hinterkopf zu haben, im September 2020 am Fuße des Berges Fuji eine neue persönliche Bestmarke aufstellen zu können, das wird mich auch morgen wieder antreiben alles zu geben!
Dafür wünschen wir alles erdenklich Gute und weiterhin viel Spaß und Erfolg auf dem Rad!
Profil von Tim Kleinwächter beim Herrmann Radteam.
Instagram-Profil von Tim Kleinwächter.