Der 26-jährige Silbermedaillengewinner der Olympischen Winterspielspiele 2010 in Vancouver und mehrfache Weltcupsieger im Skilanglauf, Tim Tscharnke, gibt uns einen Einblick in seine aktuelle Situation, welche Gründe er für die Probleme der vergangenen Saison hauptsächlich sieht und wie er trotz aller Schwierigkeiten es geschafft hat, sich aufzurappeln.
Larasch.de: Hallo Tim, vor ziemlich exakt einem Jahr hast du uns schon einmal an dieser Stelle ein Interview gegeben. Damals meintest du, dass die Tour de Ski 2016 absolute Priorität hat. Bis auf einige Weltcupstarts zu Beginn der Saison, konntest du jedoch nicht ins Wettkampfgeschehen eingreifen. Doch bevor wir zu den Gründen kommen, woran es gelegen hat, möchten wir zu Beginn gern wissen wie es dir aktuell geht? Bist du körperlich voll belastbar und kannst wieder „normal“ trainieren?
Tim: Ich bin wieder einigermaßen belastbar, trainiere aber dennoch ein ganzes Stück weniger als meine Kollegen. Ich versuche mich jetzt von Monat zu Monat zu steigern. Ca. 20 Stunden körperlich anspruchsvolle Aktivität kommen aber trotzdem pro Woche zusammen. Im Juli hoffe ich so stabil zu sein, um meinen Kreislauf das ein oder andere mal ,,vergewaltigen“ zu können. Irgendwann fehlt einem ,,das richtig weh tun im Training“.
Larasch.de: Wann hast du im letzten Jahr gemerkt, dass dein Körper nicht mehr die volle Leistung abrufen kann?
Tim: Das ging im Herbst los. Ich habe nach intensiven Einheiten etwa das 5-fache an Zeit zur Regeneration gebraucht. Mein Körpergewicht war auch viel zu niedrig, was natürlich eine entsprechende Leere unterstreicht.
Larasch.de: In deinem letzten Blogbeitrag auf deiner Homepage nennst du die Trainingsgestaltung der Vorsaison (2014/2015) als einen möglichen Grund für die Probleme. Welche Fehler wurden hierbei gemacht? Gibt es rückblickend weitere Gründe, die zu deinem recht langen Leistungsloch beitrugen?
Tim: Da kann man eventuell noch weiter ausholen. Gerade im Olympiajahr musste ich mich sehr schnell in Form schießen, da ich durch zahlreiche Ausfälle keine Basis hatte, fällt es irgendwann sehr schwer, intensive Belastungen wegzustecken. Mein Körper hatte mir schon da einige Signale, wie beispielsweise Ruhepulswerte um 25 über mehrere Tage, teilweise 16 Stunden Tagesschlaf und andere unangenehme Erscheinungen übermittelt. Im Endeffekt hat sich der Stoffwechsel umgestellt und reichlich Eiweiß anstatt Kohlenhydrate verbrannt.
Larasch.de: Da wir seit dem letzten Jahr verstärkt mit Leistungssportlern in direktem Kontakt stehen und hierbei die psychische Komponente immer wieder ein wichtiges Thema ist, interessiert es uns, wie du es geschafft hast, mit deinem Leistungstief mental umzugehen?
Tim: Das Problem ist nicht das letzte Jahr, die Summe aus den letzten Jahren macht es kompliziert. Die Krönung hier ist ganz klar das Olympia Jahr gewesen. Ohne meine besten Freunde und meine Familie wäre es nahezu unmöglich gewesen, sich nochmal aufzurappeln. Die haben mich aufgebaut. Keiner macht Freudensprünge, wenn es auf Arbeit sehr schlecht läuft und ein Rückschlag nach dem anderen kommt. Ich muss das einfach als meine besondere Herausforderung sehen. Eins kann man in diesem Geschäft nicht gebrauchen, und das ist Schwäche; auch mentale nicht!
Larasch.de: Wir hatten im Februar ein längeres Interview mit dem aktuellen Bundestrainer Janko Neuber geführt. Darin beschreibt er sehr anschaulich, welches neue trainingsmethodische Konzept er und Torstein Drivenes (Damenbundestrainer) verfolgen. Inwieweit setzt du diesen Ansatz in deinem Trainingsalltag ein? Welche positiven Seiten stecken für dich in diesem Konzept?
Tim: Ich finde einen neuen Reiz nicht schlecht, inwiefern der Früchte trägt kann ich nicht beurteilen, da ich im letzten Jahr keine Wettkämpfe hatte. Technisch gibt es ein paar Veränderungen und an Intensitäten wird mehr gespart, dafür ist der Umfang im ruhigen Training sehr hoch. Aber egal wie der Reiz auch aussieht, ich möchte einfach gesund sein und dann ist es wichtig das ich genügend Widerstände im Training schaffe und diese wegstecke.
Larasch.de: Welche Ziele gibt es für die Saison 2016/2017?
Tim: Mein Ziel ist es erst einmal ohne großen Ausfall ein paar Monate konsequent zu trainieren. Dann wird sich abzeichnen, wohin die Reise im Winter geht.
Larasch.de: Die olympischen Sommerspiele stehen unmittelbar bevor. Welche Sportarten verfolgst du hierbei mit Interesse? Was darfst du auf keinen Fall verpassen?
Tim: Das wichtigste für mich in Rio ist das Einzelzeitfahren der Männer. Hier drücke ich Tony Martin, der auf Grund seiner etlichen Rückschläge immer wieder zurück kam und so eine Art Idol für mich geworden ist, ganz fest die Daumen.
Lieber Tim, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Wir wünschen dir alles Gute für die kommende Saison und das du an alte Erfolge wieder anknüpfen kannst. Bleib optimistisch und natürlich verletzungsfrei!