Vor exakt zwei Jahren saß ich mit einigen Personen zusammen um zum ersten Mal ernsthaft darüber zu diskutieren, einmal die Marathondistanz zu laufen. Damals kam ich mir schon sehr mutig vor, als ich eine Zeit von 2:40h als Ziel für mein Debüt äußerte. Die Anderen lachten mich aus. Ich selbst hätte wahrscheinlich auch jeden Menschen ausgelacht, der mir eröffnete, dass ich 2018 Deutsche Meisterin im Marathon werde und als beste Deutsche auf Rang 11 bei den Europameisterschaften laufen werde. Dennoch ahnte ich, dass es mein Weg sein würde, doch war mir nicht klar, wohin er führte.
Nach meinem erfolgreichen Einstand beim Berlin Marathon im September, entschied ich mich im Herbst 2017 mehr als zuvor, alles mir mögliche für meinen Sport zu tun. Seit diesem Zeitraum strecke ich mein Studium und erstmals in meinem Leben steht der Sport an erster Stelle. Mein Trainer schreibt mir meinen Trainingsplan und dann entscheide ich, wie viel Zeit noch für die Uni übrig bleibt. Davor lief es immer genau umgekehrt: Ich trainierte so viel, wie ich neben meinem Studium noch konnte – oftmals kam die Regeneration viel zu kurz und die Trainingsleistungen litten oder es kamen Verletzungen. Auch, wenn ich bis dato beides sehr gut unter einen Hut bringen konnte – ich hatte durchweg sehr gute Noten im Studium und ergatterte hin und wieder eine Medaille bei Deutschen Meisterschaften – wollte ich mehr: ich wollte Deutsche Meisterin werden, ich wollte mich auf internationalem Niveau profilieren. Aber am allermeisten wollte ich wissen, wie gut die allerbeste Fabienne sein kann. Dies brachte mich auf ein neues Level, was Trainingsbegeisterung und Leidenschaft anging. Ich war bereit noch mehr zu arbeiten, noch mehr zu ertragen und noch emotionaler zu sein.
Trotz aller Erfolge und scheinbar unaufhörlichem Formanstieg war 2018 kein „Solarium“-Jahr, wie ein Bekannter von mir neulich festzustellen glaubte. Dieses Jahr lief so verquert wie noch kein anderes zuvor. Vor jedem Saisonhöhepunkt gelang es mir absolute Topform aufzubauen und jedesmal musste ich von heute auf morgen bangen, ob ich überhaupt an der Startlinie stehen werde.
Das Jahr begann mit einem vierwöchigen Trainingslager in Spanien zusammen mit einer kleinen Gruppe rund um Sabrina Mockenhaupt. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, wie übermotiviert ich war, mit dieser Ikone trainieren zu dürfen und ich brummte bei jeder Einheit. Ich trainierte auf einem für mich komplett neuen Level und freute mich auf meinen ersten Wettkampf im Frühjahr, um die hervorragende Form bei einem Halbmarathon unter Beweis zu stellen. Hier kam der erste Rückschlag: Die Grippewelle schlug über mir zusammen und ich war so krank wie schon seit Jahren nicht mehr. Als ich ungeduldig wie ein Kind wieder mit den ersten Laufeinheiten anfing, erwischte mich noch eine bakterielle Superinfektion. Am Ende verbuchte mein Trainingsprotokoll einen Trainingsausfall von 4 Wochen. Und genauso lang dauerte es, bis ich wieder ansatzweise mein gewohntes Trainingspensum abspulen konnte.
Bei den Deutschen Halbmarathonmeisterschaften in Hannover am 8. April musste ich mich unheimlich quälen um überhaupt das Ziel zu erreichen. Nach 14 Kilometern ging mir die Puste aus und die letzten 7 waren die bis dahin härtesten meines Lebens. Die Endzeit war frustrierend, die greifbare Chance auf meinen ersten Deutschen Meistertitel dahin, aber immerhin kam ein 3. Platz heraus und noch waren es ja 3 Wochen bis zu den Deutschen Marathonmeisterschaften.
Jede weitere Woche Abstand zu meiner Krankheit war ein Gewinn und die Trainingsleistungen waren schon fast wieder auf dem Januarniveau. Dann kam Tag X. Als ich an der Startlinie stand, wusste ich weder, was mein Körper drei Wochen nach dem katastrophalen Halbmarathon schon mobilisieren konnte, noch wusste ich, wie sich ein hartes Marathonrennen anfühlte. Mir war klar, dass es nicht immer so laufen würde, wie 7 Monate zuvor in Berlin, als ich im Rausch meines ersten Marathons, nicht am Limit laufend, 42 Kilometer lang den Kurs entlang geflogen war. Egal, ich war bereit zu leiden, bereit zu kämpfen bis ich umfalle und ich wollte eine neue Bestzeit. Natürlich wollte ich auch meinen ersten Deutschen Meistertitel, aber ich hatte beschlossen mich ganz auf mich zu fokussieren und mir keine Gedanken über die Konkurrenz zu machen.
Marathon ist im Endeffekt ein Kampf gegen dich selbst, Wille gegen Körper. Ich nahm den Kampf an und schien ihn auch zu gewinnen, bis ich nach 28 Kilometern den Anschluss an meine Gruppe verlor und es zudem auch noch anfing wie aus Eimern zu schütten. Mit einem Mal lief ich nicht mehr die 3:35min/km sondern nur noch 3:47/km. Das wars dann wohl, oder? Nein, niemals! Immer weiter, Schritt für Schritt, ein Fuß vor den anderen. Und irgendwann kam plötzlich wieder die Sonne und die Schritte wurden wieder schneller. Nach dem überwunden Tief konnte mich nichts mehr aufhalten und ich lief mit neuer persönlicher Bestzeit meinem ersten Deutschen Titel entgegen.
Danach gönnte ich mir zwei sehr ruhige Trainingswochen ehe ich in die Vorbereitung für die Europameisterschaften in Berlin startete. Diesmal kam ich ohne Erkältung durch und erfüllte meinen knallharten Trainingsplan im wohl heißesten Sommer aller Zeiten. In den frühen Morgenstunden, wenn das Schlafzimmer endlich kühle Luft hatte, klingelte mein Wecker und ich quälte mich aus dem Bett, um nicht bei 35 Grad zu laufen, sondern eben nur bei 30 Grad ;-). So gut wie zu dieser Zeit hatte ich noch nie in meinem Leben trainiert.
Die Hoffnungen auf eine tolle EM wurden täglich größer. 3,5 Wochen vor dem heiß ersehnten größten Lauf meiner bisherigen Karriere, an einem Mittwochmorgen, kam es zum erneuten Rückschlag. Als ich mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einer Tempoeinheit im Stadion war, ging plötzlich die Tür eines am Straßenrand geparkten Autos auf und ich hatte keine Chance mehr auszuweichen. Mein Arm wurde von der Fensterscheibe tief aufgerissen und eine große Wunde klaffte am Oberarm. Natürlich war der erste Gedanke die EM, die in gerade mal 25 Tagen anstand. Ich sah meinen Start schon schwinden, während eine zufällig anwesende Krankenschwester meinen Arm komprimierte und somit den Blutverlust minimal hielt. Ich hatte Glück im Unglück, hatte ich mir ansonsten nichts getan. Noch keine zwei Stunden später wurde mein Bizepsmuskel zusammengenäht und gerade einmal 24 Stunden später machte ich bereits wieder ein leichtes Athletikprogramm. Man kann immer etwas tun, solange man nicht mit Fieber im Bett liegt. Im Endeffekt konnte ich nach 72 Stunden wieder mit dem Training beginnen. Ich dachte alles gut, es wird.
Tja, zwei Tage später kam dann die Erkältung, vermutlich wegen all dem Stress die Tage zuvor. Wieder drei Tage Trainingspause. Langsam wurde ich ungeduldig. Doch zwei Wochen vor dem großen Lauf konnte ich wieder voll trainieren. Spulte ich meine Dauerläufe vor dem Unfall fast schon spielerisch ab, lief es nun jedoch überhaupt nicht mehr rund. Ich schaute ständig auf meine GPS Uhr und war frustriert, wie weit es noch ist. Außerdem war ich auf einmal deutlich langsamer unterwegs und es fühlte sich einfach anstrengend an. Was die Psyche doch alles bewirken kann.
Noch eine Woche zur EM. Am letzten Samstagstraining, 7 Tage vor dem Lauf, platzte endlich der Knoten. Auf einmal, ich hatte mich schon damit angefreundet, dass die EM wohl nicht so gut werden würde, wie gehofft, war die Form wieder da. Der Asphalt brannte und ich lief so schnell wie vor dem Unfall. Zwei Tage vor dem Rennen fuhr ich dann nach Berlin, wo mich Freunde und Familie willkommen hießen und letztendlich konnte ich mich wieder fokussieren. Am Wettkampftag waren die vorherigen Wochen vergessen und ich war glücklich es trotz aller Hindernisse an die Startlinie geschafft zu haben. Das ist im Marathon schon der erste große Erfolg und zwei anderen Deutschen Läuferinnen, Anja und Franzi, war dies leider nicht gegönnt.
Als der Startschuss fiel, lief ich mir all die Aufregung und den Frust vom Herzen, attackierte mit allem Mut den ich aufbringen konnte und kam als elfte und beste Deutsche ins Ziel. Es war das erhoffte optimale Resultat. Was es zu einem für mich persönlich riesigen Erfolg machte, war jedoch die Tatsache, dass ich dieses Resultat erkämpft hatte trotz aller Hindernisse und Widerstände. Ich hatte den Kampf gegen mich gewonnen, alle Zweifel besiegt und bin bis zur Ziellinie stark geblieben.
Danach konnte ich mir dann endlich die wohlverdiente Sportpause gönnen. In den drei Wochen Irlandurlaub mit meinem Freund Karsten lief ich maximal jeden zweiten Tag in ruhiger Pace für 40 bis 60 Minuten, je nach Laune. Ich war eingestellt auf alles, was ruhig, entspannend und ohne große Aufregung abläuft. Jedoch folgte nun ein Highlight anderer Art, das ich so gar nicht geplant hatte: Ich bekam einen Heiratsantrag. Karsten und ich werden am 04.05.2019 heiraten und dann werde ich als Fabienne Königstein über den Asphalt heizen.
Es war eine regelrechte Achterbahnfahrt im letzten Jahr. Und der Crosslauf im Herbst, meine große Leidenschaft, passte da als letzter Akt wie die Faust aufs Auge. Gleiches Spiel wie bei den Marathons zuvor: super Training, beste Form ever, KRANK!!! Diesmal genau 10 Tage vor der EM in Tilburg. Also hieß es mal wieder cool bleiben, abwarten, gesund werden. Vier Tage vor dem Lauf konnte ich immerhin schon wieder locker 40 Minuten laufen. Drei Tage vor der EM konnte ich die letzten drei Kilometer schon wieder in Tempodauerlaufgeschwindigkeit absolvieren. Die Zeit wurde knapp. Zwei Tage dann der Speed-Test: 5x600m: die Pace passte, die Anstrengung viel zu hoch. Tja, das wars dann wohl. Zu diesem Zeitpunkt stellte ich mich darauf ein, dass ich bei der EM untergehen würde und die erhoffte Teammedaille von den anderen Mädels erlaufen werden müsste.
Was dann beim Lauf zwei Tage später geschah, passte zu dem ganzen Jahr. Zwar wurde es nicht die von den Trainingsleistungen sicherlich mögliche Top 10 Platzierung, aber mit dem 19. Platz war ich nicht nur zweitbeste Deutsche, sondern erreichte auch noch meine jemals beste Cross-EM-Platzierung. Auf die gemeinsam erlaufene Team-Bronze, nebenbei meine erste internationale Medaille war ich daher besonders stolz.
Blickt man auf die Resultate, war 2018 das augenscheinliche Jahr in der Sonne. Doch wann immer ich auf die große Narbe an meinem rechten Oberarm blicke, kommt die Erinnerung an das, was ich dieses Jahr gelernt habe: Erfolg kommt nicht von alleine. Wer sein wahres Potenzial ausschöpfen möchte, muss den Mut aufbringen den ganzen Weg zu gehen. Das gilt für die guten und noch viel mehr für die schlechten Zeiten. Mein Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft, das spüre ich. Daher richtet sich mein Blick nach vorne. 2019 wird ein Jahr, in dem es darum geht neue Maßstäbe zu setzen. Im Training warten neue Herausforderungen, dafür sorgt mein Trainer und am Ende des Jahres sollen wieder Leistungen stehen, die sich eine Fabienne 2018 vorher nicht hat träumen lassen.