„Wann hast du das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht oder erlebt?“. Mit dieser Frage konfrontierte mich kürzlich mein Vater. Zunächst dachte ich an einen Scherz, doch die Frage war ernst gemeint, aber die Antwort fiel nicht so leicht. Lag es vielleicht daran, dass „erste Male“ mit zunehmendem Alter seltener werden? Wir kamen bald in einen angeregten Austausch über das Leben und seine Überraschungen und stellten fest, dass „erste Male“ immer wieder mal passieren. Das vergangene Wochenende hat mir gezeigt, wie schnell das manchmal gehen kann. Da passierten nämlich ungewöhnlich viele Sachen zum ersten Mal in meinem Leben …
Viele setzen sich am 1. Advent mit der Familie um die erste Adventskerze. Ich wählte dieses Jahr Variante B und machte mich auf nach Tilburg in den Niederlanden. Dort fand die internationale Crossgala und gleichzeitig der entscheidende Qualifikationslauf für die Crosslauf-Europameisterschaften statt. Wie ihr euch sicherlich denken könnt, wurde dieses Event auch zu meiner Premiere auf holländischem Boden. Laut Veranstalter stellten sich über 130 Läufer der 10.000m langen Strecke. Als ich mir die Strecke vor dem Start etwas genauer anschaute, war ich angenehm überrascht. Auf einem teils schmalen Rundkurs mit langen Geraden gab es einige kurvenreiche Abschnitte welche von kleinen Anstiegen geprägt wurden. Ebenfalls gab es eine Passage mit drei fast kniehohen Baumstämmen. Durch die langen und ebenen Abschnitte war ein hohes Grundtempo abzusehen. Für mich, mit meinem Halbmarathondebüt im Herbst, vielleicht ein kleiner Vorteil.
Der Startschuss fiel auf die Sekunde genau um 13:05 Uhr. Wie so oft beim Crosslauf waren die ersten Meter in einem großen Starterfeld wie der „Lauf um das Leben“. Auch wenn noch 10 Kilometer vor einem liegen, versuchen alle Aktiven nicht schon am Start Fehler zu machen und geben alles. Ellenbogen, Schultern und Schubser sind bewährte Begleiter auf den ersten Metern. Ich versuchte mich zügig im vorderen Drittel zu positionieren und wollte im Hinblick auf die EM auch etwas riskieren. Da meine unmittelbare Wettkampfvorbereitung auf Grund eines Infektes nicht optimal verlief, musste ich zudem auf eine gute Tagesform hoffen. In einem Läuferfeld mit vielen Konkurrenten um die Startplätze zur Cross-EM in Chia/Sardinien galt es sich schließlich zu behaupten.
Im Vorfeld wurde von allen Seiten mehrfach der Stellenwert des holländischen Events in der Nominierung angesprochen. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf gestaltete ich die zweite Rennhälfte aktiver und versuchte mich von der Konkurrenz zu lösen. Keine leichte Aufgabe und ich musste mich auf meinen Schlussspurt verlassen. Diesen setzte ich schon vor der letzten Kurve an und das mit Erfolg. Als 4. Deutscher der U23-Wertung konnte ich drei weitere Anwärter auf die Startplätze in Italien hinter mir lassen. Die Zielzeit von 31:10min über die 10km im Cross sprechen natürlich auch für das schnelle Rennen, das von einer tollen Atmosphäre an der Strecke begleitet wurde.
Nun kam es nach dem Lauf zur alles entscheidenden Frage: Wer wird für die EM nominiert? Orientierung geben da zum einen die NominierungsRICHTLINIEN des DLV, die öffentlich einzusehen sind (Link). Darüber hinaus hatte ich zwei stark besetzte Läufe mit tollen Ergebnissen absolviert. In Pforzheim wurde ich 3. in der U23-Wertung (4. Platz gesamt in europäischer Wertung) und in Tilburg erreichte ich aus der nationalen U23 Sicht den 4. Platz. Bestand da nicht Grund zur Hoffnung?
Gestern nun der Schock. Ich erfuhr von offizieller Seite, dass ich nicht nominiert werde (bzw. als Ersatzläufer, also 6. Mann im Notfall), da ich keine der bestehenden Richtlinien erfülle. Ein Traum zerplatzte. Nun muss ein Sportler Niederlagen hinnehmen und die bessere Leistung anderer anerkennen. Doch genau an dieser Stelle beginnen die Fragen.
Mir ist bewusst, dass ich durch die fehlende Erfüllung der Richtlinie KEINEN Anspruch auf einen Startplatz bei der Cross-EM habe. Die zu beantwortende Frage heißt also: geht Richtlinie vor Leistung? Es wird ein Team von fünf Läufern nach Chia geschickt! Warum bin ich da nicht dabei? Zur kurzen Erinnerung: Ich wurde im unmittelbaren Vergleichswettkampf mit allen Anwärtern in Tilburg Vierter in der deutschen U23 Wertung! Es ist daher durchaus frustrierend für mich, da es aus meiner Sicht primär nicht an meiner Leistung lag. Durch die Richtlinien spielte meine erbrachte Leistung in Tilburg überhaupt keine Rolle. Ich bin immer noch ein wenig auf der Suche nach einer logischen Erklärung. Aktuelle Diskussionen drehen sich schließlich im Besonderen um die Rolle des Sportlers und die Erwartungen von Leistungen. Somit stehe ich mit dieser Nominierung vor dem zweiten „ersten Mal“ an diesem Wochenende.
Es geht mir in den letzten Tagen viel durch den Kopf: Wie gehen wir mit Transparenz um? Wie gehen wir mit den Sportlern um? Welche Rolle spielt Sympathie? Und welche Rolle spielen Leistungen? Momentan habe ich mehr Fragen als Antworten. Ja, als Sportler muss man immer wieder mit Rückschlägen kämpfen und diese bewältigen. Doch manchmal trifft einen selbst keine Schuld an der Niederlage. Dennoch muss man nach vorn schauen und mein Plan B steht schon. Zudem heißt es nicht umsonst in einem alten Sprichwort:
Immer ist Niederlage im Sieg und Sieg in der Niederlage.
Allen Nominierten und im besonderem dem U23 Team wünsche ich maximalen Erfolg bei dem letzten internationalen Highlight des Jahres 2016!
Foto: (c) sport-pictures.nl
Durftest Du doch starten???
DNS steht in der Ergebnisliste
Hallo Martin, mir ist auch gerade aufgefallen das ich sowohl in der Startliste, als auch in der Ergebnisliste unter DNS stehe. Vermutlich wurde ich als Ersatzläufer gemeldet, um im Falle eines Ausfalles eines der anderen Teammitglieder einen Startplatz zu haben (pro Nation gibt es ja maximal 6 Startplätze). Aber um auf deine Frage zu antworten: Nein ich durfte nicht starten. LG Philipp