Spitzenathleten starten nur bei Top-Meetings mit hohen Antritts- und Preisgeldern? Sie messen sich nur mit der internationalen Konkurrenz? Ein kleines aber feines Abendsportfest bewies kürzlich, dass hochklassige Athleten manchmal gar nicht die große Bühne brauchen, um zu glänzen. Zwischen dem Trubel um europäische oder sogar weltweite Meisterschaftskämpfe fühlt man sich in der heimischen Stadionidylle nämlich eigentlich viel wohler…
Ein lauer Sommerabend in Regensburg, 25 Grad. Die Sonne steht schon tief. Ein leichter Wind weht durch die Wipfel der hohen Birken, die das Ufer der Donau säumen, wenn man die Wöhrdinsel vom Eisernen Steg aus in westliche Richtung entlangspaziert. Man kommt an zwei Biergärten und einem italienischen Restaurant vorbei. Die Gäste sitzen draußen beim Abendessen. Es riecht nach Grillfleisch und ein bisschen Knoblauch.
Der Weg gabelt sich nun auf in einen Schotterweg, der weiter am Fluss entlangführt, und die Einfahrt zu einem Parkplatz, auf dem für diese späte Zeit des Tages noch ungewöhnlich viele Autos stehen. Blickt man zwischen ihnen hindurch, erkennt man, dass um die Leichtathletikbahn ebenfalls noch reges Treiben herrscht: Auf der Tartanbahn laufen gut zwanzig Athleten auf und ab. Die Musik aus einer Lautsprecherbox wird durch die hohen Baumwipfel um das kleine Sportgelände herum nahezu komplett geschluckt. Wer hören will, was gespielt wird, muss schon ein bisschen näherkommen.
So haben es sich bereits einige Leute am Rand der Tartanbahn bequem gemacht. Sie sitzen im Gras, unterhalten sich und beobachten gut gelaunt, was sich auf dem Sportplatz vor ihnen abspielt.
Pünktlich um 22 Uhr verstummt nämlich die Musik, während sich die Athleten an der weißen Startlinie aufstellen. Auch Moderator Norbert Lieske hält kurz inne.
Dann ertönt ein Schuss und die Sportler stürmen unter Anfeuerungsrufen ihrer Freunde, Bekannten oder Vereinskameraden los. Sie sind gut auf das heutige Rennen vorbereitet, ist sich ihr Trainer Kurt Ring sicher, der seinen Schützlingen demensprechend ruhig vom Innenbereich des Bahn-Ovals aus Anweisungen gibt.
„Das Rennen war geplant. Unser Trainingskalender hat es so vorgesehen“, erklärt er, „der Hintergrundgedanke, diesen Lauf auszurichten war also reine Strategie. Ich wollte mir, aber vor allem auch den Athleten selbst einmal zeigen, dass man auch im Sommer gute 10 000 Meter laufen kann und nicht unbedingt schlechter ist als im Frühjahr.“ Dass er damit Recht behalten wird, demonstrieren an diesem Abend beispielsweise Simon Boch und Tim Ramdane Cherif: Ersterer liefert in Eigenregie eine formidable Zeit, der andere im Verfolgerfeld sogar eine Bestzeit ab.
Dass sie im Laufe der 25 Runden vor ihren weiblichen Kolleginnen bald einen großen Vorsprung herausgearbeitet haben, stand natürlich schon im Vorhinein fest – nichtsdestotrotz ist die Leistungsdichte aller teilnehmenden Läufer und Läuferinnen so hoch, wie man sie normalerweise nur bei deutschland- oder europaweiten Top-Meetings findet.
Diese sind allerdings meistens stark beworben, mit Preisgeldern und Antrittsgagen deutlich rentabler, medial oft auf ein Maximum dramatisiert und inszeniert.
Stattdessen gibt es heute die kleine Kulisse nur mit Familien und Bekannten aus dem engen Freundeskreis. Kein spitzfindiger Sportjournalist, kein Fotograf, lediglich der leichtathletikaffine Reporter Claus-Dieter Wotruba hat durch einen Geheimtipp Wind von der Sache bekommen und den Weg auf die Wöhrdinsel gefunden.
„Wir haben im Vorfeld mit Absicht ganz wenig Werbung gemacht“, meint Kurt Ring, „wir wussten ja gar nicht, ob alles so klappt, wie wir uns das vorgestellt hatten. Wir haben an dieser Stelle noch nie so ein Rennen abgehalten, daher gab es so viele Unwägbarkeiten.“ Und so drehten die teils auf internationaler Ebene schon hoch dekorierten Athleten im beschaulichen Rahmen ihre Runden.
Für Außenstehende ist ein bisschen, wie wenn Formel-1-Fahrer mit ihrem Wagen auf der Landstraße fahren: Eigentlich sind sie gut ausgebaute, breite Straßen, Massen an Zuschauern – kurzum den ganz großen Rennzirkus gewöhnt. Sie passen irgendwie nicht in dieses intime, unaufgeregte Setting – und gerade das macht es so faszinierend. Bis zum Schluss bleibt der Lauf spannend, es sind nun mal 10 000 Meter mit ihren Höhen und Tiefen.
Manch einer muss kämpfen oder sogar aufgeben. Andere zeigen couragierte und mutige Läufe. Das Flutlicht bestrahlt sie wie ein Fokus, der alles noch szenischer wirken lässt. Wen so etwas kalt lässt?
Höchstens diejenigen, die sich grundsätzlich an ungewohnten Neuerungen stören. In diesem Fall ein alt-eingesessener Wöhrd-Insulaner: „Ein Laufwettkampf um 21 Uhr? Das ist ja schon nachts!“
Was im Vorfeld – zugegeben vielleicht ein bisschen einfallslos – als „Abendlauf“ tituliert wurde (weil 21 Uhr im Sommer nun mal alles andere als stockfinstere Nacht bedeutet), sollte ja gar kein Riesen-Event werden. Den Lärm der dreiwöchigen Regensburger Dult, den frühmorgendlichen Start des Arber-Radmarathons, den Sommer-Betrieb des RT-Bads – all das sind die Bewohner der Wöhrdinsel schon seit einer Ewigkeit gewohnt. Aber Laufveranstaltungen mussten sie bisher – einer schlichten Aschenbahn im alten Stil sei Dank – noch nicht ertragen.
Zum Glück der Regensburger Athleten wurde diese im vergangenen Jahr aber endlich in eine etwas zeitgemäßere Tartanbahn verwandelt, auf der sich die Leistungsgruppe der LG Telis Finanz pudelwohl fühlt. Vier Rundbahnen, Flutlicht und eine Mehrzweckhalle nebenan sind für sie das perfekte Trainingsgelände.
„Und wir haben es hier auch total schön: Die Altstadt in Gehweite, trotzdem eine Menge Grün, die Donau…“, Kurt Ring gerät geradezu ins Schwärmen. Die Atmosphäre beim ersten Abendlauf dieser Art beschreibt er zutreffend mit Attributen wie „kuschelig“: Die Zuschauer kennen sich größtenteils untereinander, man kommt ins Gespräch, fiebert beim Rennen mit und beklatscht die Leistungen der Läufer bis auch der Letzte das Ziel erreicht hat.
„Die Athleten haben nur ein bisschen Mundpropaganda gemacht. So war es wie ein kleines Familienfest. Da hat nur noch der Grill gefehlt“, freut sich Kurt Ring. Er ist vor allem große Leichtathletik-Meetings mit viel Hektik und einem straffen Zeitplan gewohnt. Stattdessen gab es an diesem Abend (oder war es dann schon Nacht?) eine kleine improvisierte Kofferraum-Party mit selbstgebackenem Kuchen. „Wir mussten leider irgendwann das Flutlicht abschalten“, berichtet Kurt Ring weiter, „die Leute wollten gar nicht nach Hause.“ Dass er im nächsten Jahr erneut versuchen wird, ein ähnliches Event auf die Beine zu stellen, lässt niemanden zweifeln, der den umtriebigen Coach besser kennt: „Das ist doch auch mal schön für das engere Umfeld der Athleten. Wir sind ständig unterwegs. So können wir den Lieben in der Heimat auch einmal etwas bieten. Ihnen etwas zurückgeben für ihr großes Verständnis, wenn wir in der Saison mal wieder ununterbrochen auf Achse sind.“
Apropos Verständnis: Der Wöhrd-Inselbewohner, der sich zuvor vehement gegen den kleinen „Abendlauf“ gewehrt hatte, ist im nächsten Jahr bei der Neuauflage natürlich herzlich eingeladen, einfach vorbeizukommen. Und selbst wenn er der Leichtathletik danach noch immer nichts abgewinnen kann, bekommt er zumindest eine Bratwurstsemmel umsonst. Versprochen!