Wie sag ich doch immer so schön… „Nicht nur auf den Tag X schauen!“
Aber dieser wäre gestern gewesen bzw. war es für Philipp Reinhardt auch. Im Rahmen des 18. Piepenbrock Dresden-Marathon wagte er sich zum ersten Mal in seiner jungen Renner-Karriere auf die Halbmarathondistanz. Mehr oder weniger spontan, aber für seinen Trainer Armin Göckeritz sollte es trotz unspezifischer Vorbereitung ein entscheidendes Indiz in Sachen Grundlagenausdauer darstellen.
Ich blieb mir mit dem „nicht nur Tag X“ treu und reiste bereits einen Tag vorher an, quartierte mich wie ‚Reini‘ ins Hotel Elbflorenz ein und sammelte im Laufe des Abends Notizen. Schlägt der Adrenalinpegel verdächtig aus? Was landet abends auf dem Teller? Welche letzten Worte gibt ihm sein Trainer mit auf sein Debüt?
Ich mischte mich also ins vorwettkampfliche Setting und schnappte entscheidende Last-Minute-Infos ein.
Unser ‚Reini‘ war dieses Mal recht entspannt – vor wichtigeren Wettkämpfen kennt man ihn eher angespannt. „Geht ja an sich um nichts…“ was aber nicht heißt, dass er nicht auch hier sein Bestes geben möchte. Und bei den Worten seines Trainers: „Ich weiß, dass er das sehr gut meistern wird!“ – macht der innere Ansporn natürlich einen Hüpfer. Das schürt einerseits natürlich gewisse Erwartungen, aber setzt einen nicht zwingend unter Druck. „Es ist weniger ein Fordern, sondern Fördern“ und kitzelt quasi zusätzlich an der Motivation.
Neuland erobert man mit Neugierde. Der Leistungsdruck bleibt da erst einmal links liegen. Trotzdem wusste auch Philipp, dass sich 21km nicht mal eben so abspulen lassen. Der 3000m Hindernisläufer ist schließlich kürzere Distanzen gewöhnt. Trotzdem stellen laut Herrn Göckeritz die 21km ein Anhaltspunkt dar, inwiefern Philipp auch größere Belastungen standhält. Denn ab der neuen Saison ist die „Schonfrist“ abgelaufen und der dann 23-Jährige misst sich mit den Erwachsenen. „Da nehmen Umfang und Intensität nochmal zu.“ Ein Halbmarathon ist somit gar nicht schlecht, um zu testen, inwiefern man ihn im Training später tatsächlich extra penetrieren kann.
Und das darf man offensichtlich, denn mit seinen 66:56 Minuten und somit Platz fünf insgesamt (2. schnellster Europäer), weiß sein Trainer nun, dass der Junge etwas ab kann. Aber zurück zum Samstag…
Nachdem im hoteleigenen Italiener die Glykogenspeicher mit Bruschetta als Vorspeise sowie Tagliolini als Hauptgang gefüllt wurden und das alkoholfreie Hefeweizen alles genüsslich herunterspülte, wurde noch ein wenig über Ernährung, Trainingsphilosophie und Lebens-Eckdaten geplaudert.
Gute Nacht!
Die fiel bei Philipp semi-gut aus, aber bekanntlich ist die Nacht vor dem Wettkampf selber nicht entscheidend – mehr die Nacht davor. Am Tag X selbst macht das Adrenalin schon wach genug. Problem allerdings: die zwei Grad Außentemperatur mussten geschickt gehändelt werden, ohne dabei unnötig Energie zu verlieren. Dass andere mit kurzer Hose ankamen und sich dann paradoxerweise warm liefen, sei einmal dahingestellt…
Philipp war kleidungstechnisch gut gerüstet und machte sich erst kurz vor halb 11 nach einem lockeren Warm-Up in kurzen Sachen und Handschuhen auf zum Start.
Leider war die Halbmarathon-Strecke ungeeignet, die Läuferinnen und Läufer zwischendrin abzufangen. Ein Rundkurs, der es nicht erlaubte, von A nach B zu hetzen. Also blieb dem Trainer und mir nichts anderes übrig, als geduldig im Ziel zu warten und zu hoffen, dass er in seiner geplanten Zielzeit (68 Minuten) eintrudelt.
Nachdem drei Kenianer sich die Spitze teilten und Nic Ihlow als bester Deutsche durchs Ziel pacete, ’sprintete‘ auch Philipp die letzten Meter ins Ziel. Natürlich sah der Endspurt nach 21km anders aus als nach den gewohnten 3000m – aber der Zieleinlauf ließ sich trotzdem sehen.
Allein bei der Vorstellung, mit welcher Geschwindigkeit (im Schnitt 18,3km/h, 3:09/km) der gebürtige Worbiser (Thüringen) durch die Stadt jagte, muss ich mich – trotz des rasenden Reporterinnen Status – ja immer an den Kopf fassen. Versucht, diese Pace doch mal auf 400m durchzuhalten – ja, merkt ihr selbst! Unglaublich. Und deshalb großen Respekt dafür, was unsere Läuferinnen und Läufer auf der Bahn und der Straße teilweise abliefern.
Kurzes Verschnaufen im Zielbereich ist daher erlaubt. Sind ja alles auch keine Maschinen. Deshalb war ich auch so gütig und ersparte ihm die unnötigen Treppen hoch zum Congress Center, wo der Chip abgegeben werden sollte. So konnte auch ich meinem Bewegungsdrang nachgehen. Besonders wenn ich bei Wettkämpfen nur passiv dabei bin, werden die Hummeln unruhig.
Anschließend tauschten wir wieder unsere Laufuhren aus. Seine meldete nämlich kurz vorm Start „Akku schwach“ und drohte damit, während des Rennes auszugehen.
„Du hast eine äußere und innere Uhr!“ wie Frau Göckeritz schon am Vorabend feststellte und somit scheinbar schon die Vorahnungen hatte, dass am Morgen ein kleines Problem auftreten wird. Recht hat sie damit, dass die innere Uhr bei den Läufern teils auf die Sekunde genau ist, trotzdem: sicher ist sicher. Also legte ich ihm kurzerhand meine Garmin an.
„Das ist mir auch so noch nie passiert…“ Naja Philipp, beide Debüts wurden letztlich doch aber erfolgreich gemeistert.
Mittlerweile sollte er mit dem Zug wieder in Jena angekommen sein und heute hoffentlich wieder erholt in den Alltag starten. Spätestens bei der Physio aber wird sein 1,76m-Gestell wieder gebrauchsfähig repariert.
An dieser Stelle: Glückwunsch Philipp zu diesem irren Debüt.