Es fing an mit einem Telefonat… es folgten mindestens vier weitere und nur eine Woche später sitze ich hier am Essentisch im Hause Stephan. Neben mir Olympionik Julian Flügel, der seinen dritten Teller Nudeln verputzt, während sein Trainer Jürgen Stephan die Teigschlingel lieber langsam aufrollt. Auch beim selbst gemachten Eis samt Sahnehäupchen und Schoko-Topick hinkt Jürgen etwas hinterher und lässt schließlich auch Julian seine zweite Portion Eis verspeisen.
Zu meiner Linken die Laufsprösslinge Philipp Baar und Regina Salinas, die sich vor fünf Jahren in Texas laufend kennenlernten – wie es sich halt gehört: „Wie schnell läufst du über 1500m?“ So macht man das in der Laufszene, wenn dich jemand besonders anspricht 😉
Weiterer Verlauf also klar: seit fünf Jahren sind die beiden nun zusammen und wollen Ende Oktober auch nach Deutschland ziehen. Philipp, der sich gerne erst einmal an die Dinge heran tastet, ehe er auf der Straße läuferisch aufdreht… wie auch Regina, die dank Philipp in kurzer Zeit die 10km nun ganze zwei Minuten schneller läuft (36:52Min).
Aber auch Angelika Stephan, Jürgens Frau, macht die Elite-Crew hier am Tisch komplett – sie gewann den Berlin Marathon 1981 in 2:47:24 Stunden und macht auch jetzt noch mit 63 Jahren die Kassler Berge rennend unsicher.
Und ich sitze dazwischen – der Zug ist bei mir abgefahren… Da nimmt Jürgen kein Blatt vorm Mund. Zumindest lässt der Laufstil zu wünschen übrig und grundlegende Lauf-Must-Dos habe ich bis dato nicht beherzigt: „Muuuunnnddd auf beim Laufen! Wie sollst du Sauerstoff bekommen! Ellenbogen ran!“
Ich reiße nur erschrocken den Mund auf und ziehe wie ein Zinnsoldat die Ellenbogen an. Jürgen wieder: „Keine Fäuste, ganz locker!“ Versuche also trotz Anspannung, irgendwie entspannt zu laufen und drehe auf den letzten drei schnellen Kilometern tatsächlich gleich mit Minus-zehn-Sekunden pro Kilometer auf. Nase ein, Mund aus? Ab heute nicht mehr!
Tempotraining mit Julian und seinem Trainer Jürgen erlebt man natürlich nicht alle Tage. Und dass man zugleich grundlegende Lauftechniken aufgezeigt bekommt, ist für mich natürlich goldwert. Also lasse ich mich jetzt nicht entmutigen – vielleicht ist es auch gerade geschickt motivierend, einem seine Zweifel aufzuhängen. Ich meine, beim Julian war es nicht anders bzw. da glaubten die anderen weniger an sein Können und nur Jürgen sah das Potential, wie bei so manch anderen – u.a. die Hahnertwins.
14 Jahre ist Jürgen jetzt bereits Julians Trainer und dieser für ihn „quasi wie ein Sohn!“ Julian ist seine „Leidenschaft„, wie er mir schon beim ersten Telefonat zu verstehen gab 🙂
Was will man also mehr?
Jürgen ist ein Trainer, der weiß, welche Knöpfe er drücken muss, um den Sportler anzuspornen, fachmännisch auf die richtig Bahn zu lenken und das entlarvte Potential gezielt zu fördern. Er steht zu 100% hinter einem – als Trainer und menschlich gesehen. Julian wiegt sich in dieser Sicherheit und arbeitet mit 110% an seinem Trainingsplan. Professionalität und eine innige Freundschaft. Familie. Ein offenherziges Gefühl, das auch mir gleich am Anfang entgegen gebracht wurde.
Ich glaube aber auch, dass ist unter Sportlern einfach üblich. Besonders in der Laufszene kennt sich am Ende irgendwie jeder und die große Welt konzentriert sich mal wieder gefühlt auf ein kleines Dorf. Wortwörtlich sogar. Als ich am Mittwoch Nachmittag nämlich mit Julian aus Kassel nach Fulda fahre, wo er mit seiner Frau wohnt, erzählt er mir auf der Fahrt, dass hier eigentlich um die Ecke die Hahnertwins wohnen oder er sich auch schon damals mit drei Freunden unmittelbar in der Nähe seines Zuhause zum Laufen verabreden konnte. Richtiges Laufen! Denn alle vier rennen die zehn Kilometer um und bei 30 Minuten.
„Ich habe immer Fußball gespielt, wo ich jetzt mein Haus baue…“ sagt mir Julian und zeigt auf die noch unbebaute grüne Fläche, neben dem Grundstück seiner Eltern. Perfekt für das in drei Wochen hoffentlich gesund zur Welt kommende Kind – da hat SIE Oma und Opa gleich um die Ecke.
Nach dem Tempotraining geht’s um 19 Uhr gleich laufend weiter – dies mal mit rund 12 Flüchtlingen. Eine sechs Kilometer Runde durch die von einem feuchten Nebelschwarm umzäunten Kassler Berge. Matschig war es obendrein, aber eine schöne Aktion vom Julian, die Flüchtlinge – dies mal aber im gemächlichen 6:14Min/km-Schnitt – mit zum Laufen zu nehmen.
Julian dabei ganz klar VIP und jeder motiviert genug, am Olympioniken dran zu bleiben. Am Ende sah ich nur in verschwitzt glückliche und vor allem dankbare Gesichter, die sich abwechselnd noch mal mit dem Julian ablichten lassen wollten. Irgendwann saßen dann auch wir wieder im Auto und fuhren nach Haus.
Mir bot der Mittwoch sportliche und vor allem menschliche Einblicke in den Alltag von unserem Julian, für den jetzt die letzten zwei Wochen vor Rio anbrechen. Ich dagegen mache mich jetzt schon auf den Weg zum Flughafen und läute mit meiner Kollegin alias dem kreativen Kamera-Pro Steph das Projekt ‚Larasch goes for Olympia‘ ein! Man sieht sich 😉