Heute möchte ich Euch von Frank Lorenz erzählen, den ich beim Frankfurt Marathon vergangenen Jahres persönlich kennenlernen durfte. Nachdem er 2005 neben einer Ernährungsumstellung auch mit dem Laufsport anfing, „entdeckte ich eine völlig neue Welt.“
Mit dem „irren Gefühl, beim Berlin Marathon 2005 über die Ziellinie zu laufen,“ hatte er eine neue Leidenschaft fürs Leben gefunden.
Im Jahr 2008 nahm er bereits zum vierten Mal am Berlin Marathon teil.
Distanzen verlieren ihren Respekt, je öfter sie bewältigt werden! Was jedoch niemals abklingt, ist das herrliche Glücksgefühl beim Erreichen des Ziels.
Plötzlich aber die 180-Grad-Wendung.
Frank erwacht auf der Intensivstation. Um ihn herum leuchtende Monitore und piepsende Geräte. Auf dem Weg zur Arbeit hatte eine Autofahrerin die Kontrolle verloren und sein Motorrad frontal erwischt. Die Ärzte kämpften um ihn, konnten aufgrund der schweren, inneren Blutungen jedoch noch nicht erkennen, wie schlimm die inneren Organe betroffen waren.
Symphysensprengung, Beckenbruch, Wirbelsäulenstauchung, beide Handgelenke zertrümmert, diverse Quetschungen, extremer Blutverlust…
„Wären Sie nicht so gut trainiert gewesen, dann hätten wir Sie nicht durchgebracht“, bekam Frank vom Chefarzt zu hören.
Da muss man erst einmal beträchtlich schlucken. Aber der folgende Satz traf Frank noch schlimmer: „Marathon werden Sie nie wieder laufen können!“
In dem Moment hielt seine Frau Ellen seine Hand. Teilte seinen Schmerz… der innerlich teilweise größer war als die physischen Beschwerden.
Bluttransfusionen, Medikamente, Tränen, Verzweiflung.
Ellen gab ihm aber gleichzeitig Kraft und Mut zurück und weckte wieder seinen Ehrgeiz: „Solltest Du jemals wieder Marathon laufen, dann laufe ich gemeinsam mit Dir!“ Auch sein Bruder und ein Freund gaben ihm dieses Versprechen.
Aber zu dem Zeitpunkt war weder an 42,195km, geschweige denn 100 Meter zu denken.
„Ich war den Schwestern und Pflegern hilflos ausgeliefert und 100 Prozent auf sie angewiesen.“ Obendrein verbannte ihn ein externer Beckenfixateur zur permanenten Rückenlage.
Liegen müssen – den Schmerz ausharren. Während die Beine bereits anfingen, unkontrollierbar zu zucken, „weil sie einfach nur laufen wollten.“
Aber ob Frank überhaupt jemals wieder auf den eigenen Beinen stehen könne, hing von der nächsten Operation ab.
„Ich erwachte unter Schmerzen, aber dennoch befreit von einer riesigen Last.“ Die Worte seitens der Ärzte: „Alles ist gut verlaufen.“ Endlich wieder positive Rückmeldungen. Und dank Rollstuhl endlich auch wieder mobil unterwegs.
Neue Ziele!
So wie der Rollstuhl anfangs seinen Ehrgeiz und Willen weckten, stieg mit der Zeit aber doch wieder die Frustration.
„Ich wurde als zweitklassiger Mensch behandelt. Jede Stufe wurde zu einem unüberwindbaren Hindernis, an Regale in Supermärkte war kein Herankommen und im Menschengewirr nahm kaum jemand Rücksicht.“
Ungeduld. Unzufriedenheit. „Ich brauchte endlich wieder Bewegung!“
Ein Freund schob ihn das eine Mal sogar die fünf Kilometer über deren übliche Lauftreffrunde und Frank ließ sich zu Laufveranstaltung fahren, um seine Lauffreunde vom Rollstuhl aus anzufeuern. Dabei zu sein. Irgendwie…
Aber das Mitfiebern ließ natürlich Erinnerungen und Gefühle aufkommen.
Es konnte einfach nicht mehr so weiter gehen!
Seine Therapeuten verfolgten genau so gespannt die Rehabilitation wie Frank. Während andere Patienten mit ihrem Schicksal haderten, musste er gebremst werden.
„Ich quoll über vor Energie und konnte einfach nicht genug bekommen.“ Muskelaufbau, Massagen, die ersten ‚Schritte‘ auf dem Stepper und mit dem Ergotrainer. Aber immer wieder der Blick rüber zum Laufband.
Bis das „Go“ kam! Vorerst aber nur zum Gehen. Kurz darauf schloss er sich deshalb einer Nordic-Walking-Gruppe vom Rehazentrum an. Und irgendwann dann endlich das zweite „Go“ fürs Laufen.
Grinsend wurden die Laufschuhe geschnürt. Die körperlichen Beschwerden ausgeblendet. Woche für Woche kam Frank mit seinem Körper besser zurecht.
Irgendwann stieg er auch beim Lauftreff zumindest etappenweise wieder mit ein. Im Rahmen eines Staffelmarathons fand er wieder in die Szene zurück, wo er als Schlussläufer immerhin die letzten 4,2 Kilometer bewältigte und die Staffel somit ins Ziel brachte.
„Im Gegensatz zu früher, fokussierte ich nicht mehr die Zielzeiten, sondern war einfach nur froh, dabei zu sein.“
Statt auf seinen Herzfrequenzmesser zu achten, nach einer Uhr zu laufen oder sonstige Hilfsmittel wie Trainingspläne usw. zu nutzen, hört er jetzt viel intensiver auf seinen Körper.
Den Berlin Marathon 2009 verfolgte er aber noch mit gläsernen Augen vom Fernseher aus. Auf dem Schoß sein Laptop, um die Zwischenzeiten einiger Freunde zu verfolgen.
„Nächstes Jahr wird unser Jahr!“ stuppste ihn Ellen von der Seite an.
Im Februar 2010 wagte sich Frank erstmals wieder an einen Halbmarathon. Und trotz knöcheltiefen Schnees und einem extrem langen Winter, nahm er gemeinsam mit Ellen das Marathontraining für Berlin in Angriff.
Und dann war er auch schon da, der so bedeutsame Tag. Vor allem aber auch wegen der Menschen, die den beiden nicht nur in Gedanken beistanden. Von engsten Freunden bis hin zum Pastor und Bürgermeister – sie alle waren in Berlin mit dabei.
„Ein Dorf läuft Marathon“, veröffentlichte Frank später im Erlebnisbericht auf der Vereinshomepage des TSV Goldebek. Alle 14 Personen, die sich aus seinem privaten Umfeld zum Marathon angemeldet hatten, erreichten das Ziel. Davon neun Debütanten, u.a. sein Bruder und Ellen!
„Ein Lauf zurück ins Leben!“
Er schrieb…
„Schritt für Schritt liefen wir den harten Monaten der Vergangenheit davon, bewältigten Kilometer für Kilometer unsere Erlebnisse.
Emotionen, Glaube, Hoffnung, Liebe.
Das Brandenburger Tor kam in Sicht.
Freiheit – Erlösung – Wiedervereinigung.
Hand in Hand liefen wir die letzten Meter ins Ziel.
Zurück im Leben!
Freude – Stolz – Glück – Tränen.“
Das Leben selbst ist in vielen Facetten wie ein Marathonlauf: Du kannst aufgeben oder einfach durchhalten! „Nichts ist unmöglich – du musst es einfach nur machen!“
2012 folgte seine erste Triathlon-Langdistanz als Einzelstarter beim Ostseeman in Glücksburg.
2013 erfüllte er sich einen weiteren Lebenstraum als er in New York den Marathon laufen durfte.
2014 verbesserte er seine Zeit beim Ostseeman in Glücksburg um eine ganze Stunde.
2015 schaffte er es endlich in den Jubilee Club aufgenommen zu werden, nachdem er den Berlin Marathon mit einer neuen Bestzeit finishte.
2016 erhöhte Frank die Anzahl seiner Marathonattacken und setzte bereits hinter der 50. Teilnahme ein stolzes Häkchen.
„Laufen hat mein Leben verändert – definitiv! Und ohne diesen Sport, wäre mein Leben schon längst zu Ende! Niemand kann in die Zukunft sehen, aber ich wünsche mir, noch viele Jahre diesen Sport ausüben zu können.“