Manchmal geht einfach alles schief. Kaum hat man das Gefühl, es geht endlich wieder bergauf, lauert schon der nächste Rückschlag. Nicht selten kommen da Zweifel und bohrende Fragen auf: Warum gerade jetzt? Warum gerade ich? Der Ausspruch von Ex-Fußballprofi Jürgen Wegmann trifft bei mir leider momentan voll ins Schwarze: „Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu“ – Aber wie soll man mit all diesen Enttäuschungen umgehen?
Eigentlich war ich ganz optimistisch. Ich hatte wieder ein Ziel vor Augen und war mir sicher: Jetzt wird alles gut. Um es gleich mal vorneweg zu nehmen: Geklappt hat das nicht. Irgendwo bin ich falsch abgebogen oder habe die richtige Abzweigung verpasst. Ich bin jedenfalls nicht dort angekommen, wo ich ursprünglich hinwollte. Aber ich spreche in Rätseln, besser fange ich doch lieber von vorne an…
Das Problem ist, dass nicht mal am Anfang alles gut war. Der Anfang dieser kleinen Geschichte ist der tiefste Punkt meiner bisherigen sportlichen Karriere: Das Aus bei den Halbmarathon-Europameisterschaften in Amsterdam. Ich war am Boden.
Durch die Verletzung am Schienbein hatte ich ja schon starke Schmerzen. Wie schlecht es aber erst in mir drin aussah, habe ich zu Beginn gar nicht so richtig realisiert. Ich lag auf dem Asphalt, neben der Strecke, zusammengekauert, enttäuscht und immer noch fassungslos, warum ausgerechnet mir so etwas ausgerechnet jetzt passieren konnte.
Vorher hatte ich viel geweint. Vorher, als allmählich klar wurde, dass die Verletzung bis zum Tag X in Amsterdam nicht mehr verheilen kann. Danach waren da überhaupt keine Emotionen mehr. Ich war leer. Als nach acht Kilometern die Schmerzen kamen und ich mich nach zehn Kilometern endlich dazu durchringen konnte, mein Versprechen zu halten, nicht weiterzulaufen, wenn es wehtut, als ich die Lücke in der Absperrung gesehen habe und das Rennen möglichst außer Sichtweite der deutschen Fans vorzeitig beendet habe – in diesem Moment habe ich keine einzige Träne geweint. Ich war ganz ruhig. Ich habe dem besorgten Volunteer ohne Zittern in der Stimme gesagt, dass ich okay bin. Ich wollte keinen Arzt, nur eine Jacke, mir war kalt.
Zurück in der Heimat habe ich mich von meinen Freunden und meiner Familie trösten lassen. Ich wurde mit offenen Armen empfangen, alle hatten Mitleid, Verständnis. Aber ich habe keine Sekunde mehr geweint. Ich wollte keine Schwäche zeigen. Das ist nun mal der Sport. Da gibt es Höhen und Tiefen. Da muss jeder mal durch. Ich wollte stark sein und mir nichts anmerken lassen. Aufstehen, Krone richten, weiter geht’s.
Dass man trotzdem ahnen konnte, was in mir los war, ist mir erst ein paar Wochen später bewusst geworden: Man trifft die guten Freunde das nächste Mal und alle bemerken ganz vorsichtig, als könnten sie etwas Falsches sagen: „Schön, dass es dir wieder besser geht. Du kannst ja schon wieder lachen!“
Wieder lachen? Ich war erschüttert: Alle Verletzungen hin oder her – so sehr wollte ich mich davon nicht unterkriegen lassen, dass ich dadurch mein Lachen verliere. Meine Strategie, einfach so zu tun, als wäre nichts gewesen, war komplett gescheitert. Schauspielern ist wohl doch nicht so ganz mein Ding.
Aber ab diesem Moment, in dem ich mein Lachen also scheinbar wieder gefunden hatte, war ich mir sicher, dass nun auch die guten Zeiten wieder beginnen können. Jetzt werde ich wieder fit. Fitter als je zuvor. Ich komme zurück, schon ganz bald. Worauf noch warten?
Auf das Ausheilen der Verletzung. Das musste ich selbstverständlich abwarten. Doch selbst in dieser Zeit hatte ich nicht nur ein paar Hummeln unter dem Hintern, sondern mindestens einen ganzen Schwarm, wenn nicht zwei oder drei. Ohne Ablenkung in Form von Reisen, Unternehmungen, Ausflügen oder dem eindeutig Unbequemsten aller Optionen: Uni-Seminararbeiten, wäre ich unerträglich gewesen. Aber nach drei unbeschreiblich langen Wochen waren die Schmerzen zum Glück wie weggeblasen. Ich konnte wieder laufen, nein rennen – und wie!
Natürlich war meine Form noch lange nicht da, wo sie vor der EM in Amsterdam gewesen war. Aber mein Körper erinnerte sich sehr schnell daran, was er vor kurzem noch zu leisten im Stande war und immerhin stand ja schon bald die 10-Kilometer-Straßen DM in Hamburg vor der Tür. Da wollte ich wieder am Start stehen und es endlich allen zeigen.
Die ersten Tempo-Einheiten waren denkbar hart, mit der Zeit fühlte ich mich aber immer besser. Ich zog meine 1000er-Programme auf der Bahn in der sommerlichen 30-Grad-Hitze durch, ohne mich zu beklagen. Wenn abends ein Termin ansteht, muss man die Einheit eben auf Mittag verlegen. Geht ja genauso.
Ich kam schneller zurück ins Geschehen als gedacht und war mir deshalb ganz sicher: Jetzt kommt meine Zeit. Jetzt kann ich alles nachholen, was ich im Sommer durch meine Verletzung verpasst habe. Jetzt mache ich noch einen fulminanten Saison-Endspurt.
Aber die Dinge verlaufen eben oft anders, als man sie sich wünscht. Und wie ich schon vorweggenommen habe: Irgendwo auf meinem Weg habe ich mich tatsächlich verlaufen. So schnell wie es nach der Verletzung wieder aufwärts gegangen war, wurde ich nun erneut aus der Bahn geworfen. Im wahrsten Sinne des Wortes:
Ein Autounfall und eine hartnäckige Schleimbeutelentzündung sorgten dafür, dass das lang ersehnte Comeback doch wieder in unbestimmte Ferne rückte.
Das ist hart und vor allem verdammt schwer zu akzeptieren. Nach Amsterdam hatte ich mich ja noch bemüht, alle meine Emotionen möglichst gut für mich zu behalten. Das holte mich jetzt dafür doppelt und dreifach ein: Die Enttäuschung, die Wut, die große Traurigkeit. Dieses Mal konnte ich vor niemandem verbergen, wie stark mich dieser Rückschlag getroffen hatte. Warum ausgerechnet ich? Warum ausgerechnet jetzt? Und noch dazu: Warum denn schon wieder? Was mache ich denn falsch?
Genau das ist die Frage, mit der ich mich vielleicht schon viel früher hätte beschäftigen sollen. Nach der EM ging es mir nur darum, abzuwarten, bis die Schmerzen endlich weg sind. Aber um die auslösenden Faktoren, die Ursache, die mir im gesamten vergangenen Jahr so viele ärgerliche – aber vermeidbare – Probleme beschert hatte, sie war noch nicht behoben. Ich war zum wiederholten Mal an dem Punkt, an dem ich nicht mehr laufen konnte, weil da diese Schmerzen waren.
Da läuft also noch immer irgendetwas gehörig schief und dieses Hindernis muss ich jetzt aus dem Weg räumen. Da ist irgendwo Sand im Getriebe und ich habe bis dato einfach noch nicht so ganz erkannt, an welcher Stelle.
Doch in Zukunft will ich es besser machen und deshalb gilt es nun, herauszufinden, wo es hakt. Der menschliche Körper ist ein System, das nur rundläuft, wenn die vielen kleinen Bausteine intakt sind, die allesamt dazugehören.
Um nicht nur immer mal für ein paar Monate rennen zu können, nur um danach ernüchtert wieder eine Verletzungspause einlegen zu müssen, kümmere ich mich jetzt um mein System. Schließlich will ich meine Leistung steigern können, und das ohne jedes Mal wieder mit denselben Problemen zu kämpfen. Mittlerweile bin ich zwar wieder optimistisch, aber mit dem klaren Bewusstsein, dass sich da was ändern muss.
Ich will mir dabei auch helfen lassen. Denn natürlich bin ich wie jeder fest davon überzeugt, meinen Körper selbst am allerbesten zu kennen. Aber wie er genau funktioniert, warum es manchmal läuft, beziehungsweise warum es bei mir jetzt einfach schon wieder nicht läuft – das können nur die Experten sagen.
Ich arbeite mit ihnen längst nicht nur an einer Baustelle, sondern an vielen gleichzeitig. Ich versuche, in vielen Bereichen das zu verbessern, was ich längst in Angriff nehmen wollte und es immer erfolgreich geschafft habe, es doch wieder nur vor mir her zu schieben:
An erster Stelle steht meine Beckenfehlstellung, die nach unzähligen absolvierten Laufkilometern nun schon viel zu oft dafür gesorgt hat, dass Verletzungen an den Sehnen oder Muskelansätzen entstehen. Natürlich kann ich meinen Körper nicht einfach auseinander und wieder so zusammenbauen, dass alles passt. Aber mithilfe der richtigen Unterstützung und Beratung durch Ärzte, Orthopäden und Physios bin ich auf einem guten Weg und werde sicher eine Lösung für dieses hartnäckige Problem finden…
Hinzu kommen meine Weisheitszähne, die ich nach unzähligen schmerzvoll-schlaflosen Nächten endlich loswerden muss. Der Tenniskumpel meines Freundes, der als Kieferchirurg arbeitet, freut sich schon darauf, mir am Montag alle vier Stück auf einmal zu ziehen. Meine Vorfreude hält sich zwar in Grenzen, aber selbst eine Zahn-OP soll bei Läufern ja auf lange Sicht schon so einige Problemchen weniger bedeutet haben…
Mit der durch die Operation gezwungenermaßen verlängerten Laufpause, hängt noch ein weitere Punkt auf meinem Trainingsplan zusammen, den ich viel zu häufig vernachlässige oder nur widerwillig und nicht gerade konsequent durchführe: Alternativtraining. Ein bisschen Radfahren auf dem Ergometer und dabei Musik hören, etwas lesen oder mit irgendjemandem quatschen, das geht noch. Aber Aquajoggen, Athletik, Stabi, Gymnastik – all das sind Dinge, die ich einfach zu selten mache, obwohl sie mir möglicherweise nicht schaden würden…
Dann wäre da noch meine Ernährung, die alles andere als gesund ist. Vielleicht fällt es im wahrsten Sinne des Wortes nicht ins Gewicht, wenn man in einer harten Trainingsphase fünf Stück Kuchen auf einmal verdrückt – ob es die sinnvollste Sportlernahrung ist, lässt sich allerdings zu Recht anzweifeln. Denn auch in Zeiten, in denen mein Körper viel mehr Energie verbraucht als während meiner Verletzungsphase, lassen sich sinnvollere Möglichkeiten finden, ihm diese zur Verfügung zu stellen als ausgerechnet durch Torte, Cola und Schokolade…
Wenn man das so liest, klingt das ja alles schon sehr einsichtig und vernünftig, oder? In Wirklichkeit ist das natürlich nicht so einfach und klappt nicht von heute auf morgen. Veränderungen brauchen Zeit und es gehört auch eine große Menge an Geduld und Motivation dazu – und der geduldigste Mensch war ich leider noch nie. Aber ich werde mir natürlich große Mühe geben und die beste Belohnung ist ohnehin der Moment, an dem ich mich wieder an die Startlinie stellen kann, mit dem guten Gefühl dass ich fit bin und endlich wieder loslegen kann.
Außerdem ist da noch diese eine Geheimwaffe, die ich nun sicherlich nicht mehr hergeben werde. Nach meiner Enttäuschung bei der EM in Amsterdam ist sie mir scheinbar kurzzeitig abhandengekommen. Jetzt halte ich sie dafür umso stärker fest, denn sie macht mich nochmal doppelt so stark: Mein Lachen.
Alle Achtung für diese offene und ehrliche Darstellung der inneren Befindlichkeit! Was in der Öffentlichkeit oft nicht gesehen wird, ist die zum Sport gehörende Herausforderung, mit Niederlagen und Rückschlägen umgehen zu können. Und dass Franzi schreiben kann, hat sie nicht nur hier bewiesen.
Ganz toller Beitrag. Schön, dass wir so eng an deinen Gedanken teilnehmen können.