Dr. Sebastian Wolf ist Sportpsychologe. Er arbeitet mit diversen Einzelsportlern, Teams und Verbänden zusammen. Aktuell hat er unter anderem das Golf-Bundesliga Team Frankfurt auf die BL-Saison vorbereitet und betreut das Beachvolleyball Team Laboureur/Sude (Nummer 2 der Weltrangliste). Seit vielen Jahren arbeitet er bereits an der Seite des Baden-Württembergischen Tischtennisverband.
Larasch: Welche Rolle spielt der Kopf im Leistungssport?
Dr. Sebastian Wolf: „In wichtigen Wettkämpfen auf (sportlicher) Augenhöhe ist „der Kopf“, also die mentale Stärke, häufig erfolgsentscheidend. Wenn Sportler durch Wettkampfangst, Konzentrationsverlust o.ä. gehemmt sind, können sie ihr sportliches Potential nie voll ausschöpfen; automatisierte motorische Handlungen können dann unterbrochen, unflexibel, kontrolliert oder verkrampft werden. Und für das Training gilt: Wenn „der Kopf“ nicht motiviert ist, wird ein Sportler weniger leicht Schnelligkeit aufbauen oder eine Taktik lernen oder umsetzen. Wenn der Kopf nicht „fokussiert“ ist, wird er relevante Dinge nicht wahrnehmen. Alles bedingt sich gegenseitig.“
Larasch: Welche psychischen Aspekte beeinflussen das Leistungsvermögen – positiv als auch negativ?
Dr. Sebastian Wolf: „Wie gesagt, alles bedingt sich gegenseitig, aber ich zähle mal die Wesentlichen Dinge auf:
Negativ: Wettkampfangst, zu hohe oder zu niedrig gesteckte Ziele, reine Erfolgsmotivation (Ziel nur auf Ergebnis aus als auf die Handlungen/Leistungen an sich); keine optimale Regeneration; Rigidität im Denken, Fehlerunfreundlichkeit und Misserfolgsvermeidung, starke Abhängigkeit vom Trainer/Eltern, wenig Selbstbewusstsein, Teamkonflikte, fehlende oder verdeckte Kommunikation bei Konflikten im Team (oder mit Trainer); extremer Perfektionsanspruch, extreme und unrealistische Erwartungen vom Umfeld (Team, Management, Eltern, Trainer, Sponsor); wenig psychosozialer Support vom direkten Umfeld; erhebliche private Probleme (Trennungen, Schulstress/Stress im Studium o.ä.)
Positiv: adäquate Selbsteinschätzung (Leistung, Psyche usw.); Selbstorganisation, Selbststeuerung, Selbstkontrolle, Selbstbewusstsein, Gelassenheit, Zielstrebigkeit, Wille, Kreativität, Flexibilität, psychosoziale Unterstützung vom Umfeld, sichere Beziehung zwischen Trainer und Sportler sowie Teamkollegen untereinander, realistische und attraktive Ziele, an Grenzen gehen wollen, finanzielle Unabhängigkeit, Fehlerfreundlichkeit, Spaß an Challenge/Herausforderungen, Freude daran, jemand anderen „besiegen zu WOLLEN“, Spaß (Leistungssportler müssen ihren Sport lieben/geliebt haben); Sport muss hohe Funktionalität im Leben haben; sehr stark ausgeprägtes Leistungsmotiv bei gleichzeitiger Befriedigung anderer Lebensmotive; Fähigkeit, Misserfolge als Challenge und Lernmöglichkeit zu sehen.“
Leistung ist immer ein dynamisches Zusammenspiel aus psychischen und physischen Prozessen – im Training wie im Wettkampf.
Larasch: Wie wichtig ist die Motivation und wovon hängt diese ab?
Dr. Sebastian Wolf: „Ohne Motivation werden SportlerInnen nicht trainieren oder Wettkämpfe bestreiten. Motivation ist elementar wichtig im Leistungssport. Je höher das sportliche Niveau, desto wichtiger ist die Motivation. SportlerInnen erfüllen durch Leistungssport diverse Motive: Leistung, Anerkennung, Macht, Beziehung, Hedonismus usw. Diese Motive müssen dauerhaft und ständig aktiviert werden. Für Top-Leistung ist das Leistungsmotiv entscheidend und hängt unter anderem von folgenden Dingen ab:
- Ein Trainer, der viele Anreize setzt (abwechslungsreiches Training, diverse Wettkampfformen, Zuwendung, Vertrauen; Konsequenz)
- Eigene Ziele (S.M.A.R.T: spezifisch, messbar, attraktiv/ansprechend, realistisch, terminiert)
- Selbstorganisation -> Selbststeuerung –> Selbstbewusstsein
- Spaß an der Tätigkeit an sich
- Erlebte Fairness in Training, bei Wettkämpfen, Nominierungen etc.
- Teamzusammenhalt
Larasch: Was kann uns dabei helfen, damit wir unser wirkliches Potenzial gänzlich abrufen können?
Dr. Sebastian Wolf: „Das ist nicht so leicht zu beantworten. Es hängt z.B. davon ab, weshalb wir es NICHT schaffen das Potential abzurufen? Was hindert uns daran? Welche mentalen Faktoren machen dem Sportler einen Strich durch die Rechnung.
Ganz allgemein kann man sagen, dass eine optimale (auch mentale) Wettkampfvorbereitung „ein“ wichtiger Faktor darstellt, um das Potenzial voll ausschöpfen zu können. In diese Vorbereitung gehört immer:
- Sicherheit/Vertrauen in den technischen, taktischen, physischen und mentalen skills
- Regeneration vor dem Wettkampf
- Realistische Zielsetzung
- Lust an der Challenge und Wille zu siegen und auch Wille, den/die andere(n) „zu besiegen“
- Zeitmanagement
- Optimales Aufwärmen
- Konkrete Lösungsideen der anstehenden Aufgaben (Fokus auf Fitness, Taktik und Psyche) gemeinsam entwickelt mit Coach und Team
- Aufschreiben und Bewusstmachen der eigenen Stärken
- Eine eingeübte Technik zur Anspannungsregulation (z.B. Atemtchnik)
- Rückhalt vom Team
- Stabile Beziehung zu Trainer(in)
Stichwort Körpergefühl
Larasch: Wann wissen wir, wo die gesunde Mitte aus Fordern aber nicht Überfordern ist? Wie lernen wir rücksichtsvoll mit unserem Körper umzugehen?
Dr. Sebastian Wolf: „Das ist eine spannende Frage. Es gibt eine Reihe von psychischen und körperlichen Indikatoren, die uns zeigen, dass wir gerade über unsere Grenzen gehen. Sie können interindividuell unterschiedlich sein.
Klassische Anzeichen sind jedoch: gestörter Schlaf (Schwierigkeiten einzuschlafen, häufiges Erwachen, Früherweichen); dauerhaftes Gefühl von Müdigkeit/Energielosigkeit, Grübeln, negative Gedanken, Gefühle von Niedergeschlagenheit oder gedämpfte Gefühle, Verspannungen (Nacken), Magenschmerzen, Appetitveränderungen (Appetitlosigkeit oder das Gegenteil), Passivität, Rückzug oder gesteigerte Aktivität; Anfälligkeit für Krankheiten, Immunsuppression und häufige Erkältungen.“
Wichtig ist es, sich selbst einschätzen zu lernen. Wie reagiere ich ganz persönlich, wenn ich über meine Grenzen gehe. Reagiere ich mit Schlaf, reagiere ich mit Verspannungen oder fange ich an zu grübeln?
Achtsamkeitsübungen
Dr. Sebastian Wolf: „Erste Intervention könnten sein, sich 1-3 Mal pro Tag 2-10 Minuten zu nehmen, um in Ruhe in sich selbst und seinen Körper reinzuhören. Auch Protokolle (Handy/schriftlich) können hier helfen. Wer dafür offen ist, kann auch achtsamkeitsbasierte Meditationstechniken anwenden. Fokussierungen auf dem Atem, Bodyscans oder ähnliche Übungen können dabei unterstützen, wertfrei zu spüren, wie man selbst gerade drauf ist. Oftmals helfen auch Fremdeinschätzungen von guten Freunden, Trainern oder Partnern.“
Die Herzratenvariabilität
Dr. Sebastian Wolf: „Ich bin ein großer Fan von peripher-physiologischen Parametern. Die Herzratenvariabilität ist beispielsweise ein toller Indikator wie gestresst Sportler sind bzw. wie gut sie mit Stress umgehen können. Moderne Pulsmessgeräte liefern diese Informationen. Auch gibt es tragbare Biofeedbacksysteme, welche diese Parameter direkt während des Sports zurückmelden.
Wie auch immer, Sportler sollten ein Bewusstsein entwickeln, wie stark sie aktuell angespannt/aktiviert sind, wo das Optimum ist und wann Grenzen überschritten werden.
Der nächste, häufig schwierigere Schritt ist dann konsequent zu handeln. Das ist ein sehr spannendes Thema…“
Leistungssport und Leistungsdruck
Larasch: Wie lernen wir, den hohen Anforderungen standzuhalten und dem eigenen Anspruch gerecht zu werden?
Dr. Sebastian Wolf: „Wie oben bereits angedeutet, ist es extrem wichtig sich Ziele zu setzen, die nach den S.M.A.R.T.-Regeln erstellt wurden. Setze ich realistische Ziele, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, Erfolg zu haben und damit auch zufrieden zu sein. Ich sollte eine Tendenz haben, „mittelschwere“ Aufgaben anzustreben, anstatt zu leichte oder zu schwere. Eigene Zielsetzungen (in Absprache mit dem Trainer) sind elementares Werkzeug, um ausbalanciert mit Wettkampfdruck und Niederlagen umzugehen.
Ich frage häufig Sportler: Warum hast Du es verdient, dein Ziel zu erreichen? Weil ich….
Nicht wenige Sportler haben aber sehr rigide Ansprüche an sich selbst, die keine Fehler oder Niederlagen zulassen und dadurch kaum erfüllt werden können.
Zudem benutze ich häufig das Modell des inneren Parlaments. Der Sportler ist der Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin. Innen drin gibt es einen Perfektionsminister, der strenge Forderungen stellt. Nun geht es darum, als Bundeskanzler den Perfektionsminister zu beruhigen, ihm das Recht zu reden, zu entziehen o.ä. und auch anderen Ministern zuzuhören, z.B. dem Chill-Minister oder dem Motivationsminister oder beiden zusammen. Das hilft, sich realistische Ziele zu setzen und extreme Ansprüche zu entspannen.“
Mit Misserfolgen umgehen lernen
Dr. Sebastian Wolf: „Misserfolge sollte man als etwas Normales und Wertvolles anerkennen, weil es einfach dazugehört und man daran wachsen kann. Man sollte sich seiner Stärken, Fähigkeiten, Fertigkeiten bewusst sein, die dazu führen, dass ich das Ziel erreiche.“
Stichwort Übertraining
Larasch: Inwiefern übertönt strenger Ehrgeiz eigene Körpersignale? Wo fängt Motivation an und wo hört Ehrgeiz auf?
Dr. Sebastian Wolf: „Ich muss als Leistungssportler den Wille haben „an meine Grenzen“ zu gehen. Hochleistungssport ist immer ein Spiel mit persönlichen Grenzen. Ich brauche den eigenen Willen, den Ehrgeiz und die Freude an meine persönlichen Grenzen zu gehen, diese zu spüren, mich mit mir selbst zu messen und daran zu wachsen. Somit ist es auch wichtig, die Grenzen manchmal zu überschreiten, um die Limits kennen zu lernen und um die Limits noch leicht nach oben zu setzen.“
„Überschreiten wir jedoch ständig und dauerhaft die eigenen Limits, können oben beschriebene Symptome auftreten, die wiederum die Leistung hemmen und auch gesundheitsschädlich werden (physisch und psychisch). Alles ist eine Frage der Balance und des Zeitpunktes.
Im manchen Trainings und direkt im Wettkampf brauche ich Ehrgeiz, Wille, Stärke und Motivation, um an meine Grenze zu gehen. Dann brauche ich Zeit zur Regeneration.“
Jeder Sportler muss lernen, wann es Zeit ist, hart zu trainieren und wann der Zeitpunkt ist „hart zu chillen“.
Weniger ist manchmal mehr.
„Die Rolle des Trainerteams ist in diesem Zusammenhang vor allem dann entscheidend, wenn es um kindliche oder jugendliche Sportler geht. Diese sind erst dabei, sich selbst und ihren eigenen Körper einschätzen zu lernen. Die Kontrollfunktion muss also vom Trainerteam (oder den Eltern) kommen. Leider gehen auch manche Trainer über die Grenzen der Sportler(innen) hinweg, da sie von dem Credo ausgehen: je mehr Training, desto besser.“
Fazit: Die gesunde Mitte!
Wer sich dahingehend mal schlau machen möchte bzw. entsprechende Unterstützung sucht, kann mal auf diesem Netzwerk stöbern.