Langstreckler sind nicht nur ausdauernde Läufer mit hohem Kilometerpensum, sondern auch bunte Zugvögel. Regelmäßig zieht es sie während der kalten Wintermonate gen Süden. Auch wenn der Winter bislang noch relativ gemäßigt war und Schnee und Eis Mangelware blieben, weiß man dies zum einen nicht im Vorfeld und bucht vorsorglich einen Flug in die Wärme. Zum anderen wollen die Spitzenläufer nicht nur der Kälte entfliehen, sondern auch einmal etwas anderes sehen und essen. Eines der Ziele ist Monte Gordo in Portugal am Atlantik. Dort traf sich zum Jahreswechsel ein buntes Völkchen von Läufern. Neben Triathleten aus der Schweiz und Holland schlägt auch der Deutsche Leichtathletikverband gerne sein Quartier in diesem Retorten-Ort auf. Idyllisch ist anders kann man sagen, wenn man die Betonburgen und ein verrostetes, verrottetes Beton-Stahlgerippe sieht, das mitten an der Strandpromenade vor sich hin gammelt. Gepflegt wirken weder die Grünanlagen, noch viele Häuser. Aber das brauchen die Spitzensportler auch gar nicht im Trainingslager. Eher selten haben sie Muse, die Natur zu genießen oder ganz gemütlich auf dem Fahrrad zu rollen. Der Tagesablauf ist gestrafft: Laufen, Essen, ruhen, Essen, Mittagsschlaf und am Nachmittag Einheit Nummer zwei. Variationen und Abwechslung gibt es meist nur durch Verschiebungen innerhalb des Stundenplans. Oder eben mit „nur“ einer Laufeinheit und statt der zweiten Koordinationsübungen, „Stabi“, Kraftraum oder Physiotherapie.
Namen wie Simon Stützel, Marcel Bräutigam, Corinna Harrer, Alina Reh, Konstanze Klosterhalfen, Fabienne Schlumpf (Schweiz), Florian Orth, Diana und Elina Sujew, Hendrik Pfeiffer, Marcel Fehr, Richard Ringer und Altstar Dieter Baumann sind den Fans ein Begriff und laufen ständig durch Pinienwald und im Stadion des Nachbarorts Vila Real de Santo Antonio. Aber auch starke Junioren wie Pascal Kleyer (Karlsruhe, U 18, Achter über 800 Meter bei der WM 2015 in Kolumbien), Marius Probst (Wattenscheid) und Felix Wammetsberger (Karlsruhe) – die beiden Ranglistenersten über 3000 Meter U23, Vize-Europameister Fabian Gering über 10.000 Meter oder die schwarze Perle Petros Amanal nutzen das milde Klima zu einem guten Auftakt ins neue Jahr.
Was ist es also, das dieses Monte Gordo zu solche einem Sahnestückchen macht?
Da gibt es einige geschotterte, angenehme Crossstrecken durch den Pinienwald mit einigen saftigen Steigungen. Richtung Osten, aber auch im Westen bieten sich so abwechslungsreiche Pfade und immer die Möglichkeit, einen der Wege mit einem Lauf am Strand zu kombinieren. Also auch eine Prise Luftkur inklusive. Das Stadion im Nachbarort ist zwar laut Aushang gebührenpflichtig, aber vermutlich haben DLV und große Vereine wie TV Wattenscheid oder Telis Finanz Regensburg und die jeweiligen Sportverbände Sonderkonditionen ausgehandelt. Einzelne Läufer schmuggeln sich auch schon mal so durch die Pforten. Für Alternativtraining und Sportlern in der Reha-Phase gibt es außerdem ein großes Hallenbad mit 50 Meter-Becken am Sportzentrum. Erreicht wird das Sportzentrum mit Dauerlauf an der Schnellstraße auf einem Radweg, in rund zwei bis drei Kilometern. Die Schnellstraße ist zumindest in diesem Winter wenig befahren, denn eine Baustelle am östlichen Ortseingang verhindert Durchgangsverkehr.
Die Hotels sehen zwar gruselig aus, aber diese Bausünden kennen wir schließlich aus fast allen Mittelmeerländern. Wer innen drin wohnt, sieht nicht, wie es außen ist und darf den Komfort genießen. Und so kommen wir auch zu unserem Titel „Alcatraz“. Das ist nur ein kleines Wortspiel, zumal sich, angesichts des straffen Pensums der Spitzenläufer, die zwischen 120 und 200 oder gar mehr Wochenkilometer abreißen, doch ein bisschen das „Lagerfeeling“ – und bei manchen vielleicht sogar ein Lagerkoller, einstellen mag. Außerdem heißt eines der Läuferhotels „Alcazar“, daher diese kleine Buchstabenspielerei, weitere Hotels sind Dunamar, Vasco da Gama und das „Yellow-Hotel“. Schaut man auf das Buffet, merkt man, dass neben der üblichen Hotelkost viele frische Südfrüchte immer wieder nachgefüllt werden. Wer so viel läuft, braucht nicht nur einen guten Trainer und Physiotherapeuten im Stab, sondern auch eine gute Küche. Die Wirkung des Trainingslagers wird sich dann erst nach und nach einstellen, zumal die DLV Spitzenathleten meist noch weitere Trainingslager vor sich haben, wie etwa im Februar in Kenia.