Gibt es was Schöneres als Tempoläufe am Samstagmorgen?
Na gut, ich gehe davon aus, dass die meisten Leute es vorziehen, sich im Bett lieber noch einmal umzudrehen, während ich mit meinem Fahrrad den Uni-Berg zum Stadion hinauffahre. Aber die verpassen dafür alle, wie sich die Sonne gerade ganz vorsichtig zwischen den Wolken hindurchschiebt und die Welt um mich herum in warmes Morgenlicht taucht. Hach.
An der Laufbahn angekommen, herrscht nicht mehr ganz so romantische Stimmung. Ein paar meiner Vereinskollegen warten schon, allmählich trudelt auch der Rest der Truppe ein, alle noch ein bisschen schlaftrunken. Das Gähnen wird ihnen aber vermutlich recht bald vergehen, denn heute stehen 1000m-Läufe auf dem Programm.
Beim Einlaufen ist es dementsprechend still. Die Beine müssen sich erst an den Laufschritt gewöhnen, da bleibt nur Luft für ein paar kurz gehaltene Sätze. Bei Gymnastik und Koordination werden die meisten dann langsam etwas redseliger. Aber vielleicht kommt das auch nur durch die ansteigende Nervosität. Ist ja nicht so, als hätten wir uns hier zu einem Training der Sorte locker-easy-pillepalle getroffen. Die meisten haben sich jetzt jedenfalls gut aufgewärmt und warten eigentlich nur noch auf einen: Den Coach.
Auf die Minute pünktlich und mit Stoppuhr bewaffnet erscheint er zum vereinbarten Startzeitpunkt am Stadion. Nur leider hat er einen Begleiter dabei, den wir uns sicherlich nicht gewünscht haben: Regen. Erst tröpfelt es nur ganz leicht, doch mit der Zeit wird es immer nässer. Auf der Tartanbahn sammeln sich kleine Pfützen, die allmählich weiter anwachsen. Unsere Spikes sind also schon durchgeweicht, bevor wir unser Trainingsprogramm überhaupt begonnen haben. Meine anfängliche Samstagmorgen-Motivation hat sich zusammen mit der Sonne wieder hinter die dunklen Regenwolken verkrochen und ich muss gestehen, dass ein kuschelig-weiches Bett jetzt vielleicht doch eine Alternative wäre…
Recht viel Zeit bleibt jedoch nicht, um dem schönen Wetter hinterher zu trauern, denn jetzt werden die Gruppen eingeteilt. Ich soll mein Programm zusammen mit Dominik machen und ich bin heilfroh, dass er mich bei der Trainingseinheit begleitet. Wir marschieren also gemeinsam durch den Regen in Richtung Startlinie.
Ich gebe das Kommando, die Stoppuhr piepst, los geht’s. Die ersten hundert Meter sind noch ganz in Ordnung. Was dann passiert, kann ich nicht erklären. Erst als ich im Ziel bin, realisiere ich das Desaster: Zehn Sekunden über der Vorgabe. Auf 1000m.
„Was soll denn das?“, fragt der Coach und sieht mich fassungslos an, „also so kann das nicht weitergehen“. Ich bin völlig außer Atem. Und wütend. „Ich tue doch, was ich kann!“, jammere ich, muss aber schon wieder weiter. Die Pausen sind nämlich nicht lang. Jedenfalls nicht lang genug für mich, um ordentlich zu verschnaufen. Dominik scheint das Tempo dagegen bei weitem nicht so schwer zu fallen wie mir. Aber zum Glück kommentiert er meinen verbummelten ersten Lauf trotzdem nicht weiter.
Dominik redet eben insgesamt nicht so viel. Und das ist absolut okay, denn ich bin gerade wirklich ziemlich gut mit mir selber beschäftigt. Warum ist denn das heute so verdammt anstrengend? Warum fühlt sich alles so schwer an? Wie soll ich das Ganze bitte noch siebenmal wiederholen? Und dann auch noch so viel schneller? Egal, ich muss mich da jetzt wohl irgendwie durchkämpfen. So lange bis es nicht mehr geht. Dominik schafft das doch auch.
Der zweite Lauf ist jedenfalls ein gutes Stück schneller und spätestens in der dritten Runde sind wir im Soll. „Na geht doch“, meint der Coach. Langsam ist er wieder ein bisschen zufriedener und auch ich bekomme nach und nach ein besseres Gefühl. Manchmal braucht es eben ein paar Anläufe, bis man ins Tempo hineingefunden hat.
Runde für Runde laufen Dominik und ich nebeneinander her. „Nur noch zwei Stück, gleich haben wir’s geschafft“, meint er irgendwann. Ich rechne nach und stelle fest, dass wir tatsächlich schon sechs Läufe hinter uns haben. Das verging ja schneller als gedacht. Und wenn ich ganz ehrlich bin, macht es jetzt sogar echt Spaß. Trotz Regen. Trotz Wind. Trotz müden Beinen. Zusammen geht das schon.
„Ab jetzt bitte schneller werden, fünf Sekunden etwa“, ruft der Coach von der Tribüne. „Bitte waaaas?“ Ich tue so, als hätte ich durch den vielen Wind nichts verstanden. Der Sturm hat zwar in Wirklichkeit nicht die Worte, aber dafür meine gute Laune verweht: Jetzt noch schneller laufen? Der Coach hat gut reden. Er steht im Trockenen und muss nur die Knöpfe seiner Stoppuhr drücken. Aber hier draußen auf der Bahn geht das nicht so einfach. Ich bin doch schon total erschöpft.
„Was hat der gesagt?“, versuche ich meine Verständnisschwierigkeiten weiter vorzutäuschen. Doch Dominik hat mich durchschaut: „Du, ich hab keine Ahnung. Das hört man über die Entfernung aber auch echt schlecht“, entgegnet er und verkneift sich ein Grinsen. Natürlich weiß er, was der Coach gesagt hat. Er weiß nur genauso, wie schön ich mich wieder aufregen würde, wenn er das Gesagte nochmal wiederholt. Er bleibt ruhig, so wie es eben seine Art ist, während wir unsere letzten Runden auf der Pfützen-Bahn rennen.
Natürlich laufen wir dann doch fünf Sekunden schneller. Ich weiß nicht wie, aber zusammen bekommt man das ja immer irgendwie auf die Reihe. Am Schluss sind wir sogar noch ein bisschen flotter. Wir überqueren die Ziellinie, die Stoppuhr piepst ein letztes Mal, wir stehen völlig außer Atem an der Bahn und werden sogar vom Coach gelobt. Endlich geschafft! Den anstrengenden Teil des Tages haben wir hinter uns. Jetzt kann das Wochenende anfangen!
Vorher laufen wir uns aber noch ein bisschen aus. Während ich nun die ganze Zeit ununterbrochen wie ein Wasserfall rede, nimmt sich Dominik zurück und lässt mich erzählen. Es kann so angenehm sein, jemanden zu haben, der einfach nur zuhört.
Aber ist es nicht grundsätzlich das Beste, beim Laufen begleitet zu werden? Egal, ob derjenige nun viel oder wenig spricht? Ob er laut oder leise atmet, älter oder jünger ist, sich mehr oder weniger anstrengt als man selbst?
Trainingspartner machen nämlich viel mehr als nur zufällig dasselbe Trainingsprogramm: Sie sind Motivationsschub, Windschatten, Leidensgefährte, Ablenkung und die beste Unterstützung, wenn es mal nicht so läuft wie es laufen soll. Sei es bei einem anstrengenden Bahntraining, einem langen Dauerlauf oder hin und wieder auch im Wettkampf: Mit einem Trainingspartner fällt einfach alles doppelt so leicht und macht doppelt so viel Spaß!
Denn selbst wenn Laufen die Sache ist, die mir ohnehin am meisten Spaß macht, heißt das nicht automatisch, dass jede Trainingseinheit locker, schnell und unproblematisch vergeht. Hin und wieder muss man auch mal die Zähne zusammenbeißen. Aber eines steht wohl ganz klar fest: Gemeinsam kann man immer stärker zubeißen als allein.