Ed Whitlock ist mit seinen 85 Jahren und neu aufgestelltem Jahrgangs-Weltrekord (3:56:33 Stunden) über die Marathondistanz bereits eine Lauflegende. Schlicht und pragmatisch rannte der Kanadier die 42,195 Kilometer in Toronto in einem 30 Jahre alten T-Shirt sowie 15 Jahre alten Laufschuhen.
Er ist ein Vorbild für alle, die sich Höchstleistungen aufgrund von Lappalien nicht zutrauen.
Eine Motivation für jeden, der sich im (jungen) Alter zurück lehnt.
Bzw. er lässt keine Entschuldigung für vermeintliche Bewegungslegastheniker zu! Wenn selbst die senilen Knochen eines 85-Jährigen die Königsdisziplin rocken, gibt es keine Ausreden. Außerdem sind seine Knochen robuster als so manche Stelzen einer Couch-Potatoe, die eher als SENIL abgestempelt werden könnten.
Der anstehende Marathon in Dresden ist für mich ein passender Anlass, Euch eine weitere Lauflegende vorzustellen. Und zwar keine andere als Rudolf Harbig – der weltbeste Mittelstreckenläufer aus Sachsen.
Der am 08. November 1913 in Dresden geborene Leichtathlet war ein bescheidener, freundlicher und stets pünktlich um 22 Uhr ins Bett gehender Zeitgenosse, der sich neben drei Weltrekorden sowie zwei Europameistertiteln, insgesamt 18 Deutsche Rekorde (über 400m, 500m, 800m, 1.000m sowie in Staffeln über 4x400m und 4x800m) anheften darf.
Entdeckt und großgezogen wurde das Talent von Reichstrainer Woldemar Gerschler, der auch als Entdecker des Intervalltrainings gilt.
Das ‚Großziehen‘ beschränkte sich allerdings mehr auf Rudolfs Leistungen – seine insgesamt 201 Siege (an 175 Wettampftagen) sprechen für sich. Denn rein äußerlich wirkte Rudolf mit seinen 1,74 Meter und 68 Kilos eher schmächtig. Trotzdem war er ein zäher Kämpfer, was mit unter an den harten Tempowechseln im Training lag ->
Im Winter 200 Meter Wiederholungsläufe mit 90 Sek Geh-/Trabpause und einem Puls von ca. 180 Schläge/Min nach der Belastung ca. 120/130 Schläge/Min nach der Pause. Je näher die neue Saison rückte, umso geringer wurde die Anzahl der Wiederholungen und umso höher wurde die Geschwindigkeit, bis Rudolf in der Lage war, die 4–5×200 m in 800 Meter-Renngeschwindigkeit zu laufen.
Das bewies er dann besonders am 15. Juli 1939, wo er innerhalb einer Woche seine eigene Bestzeit (den eigens von ihm aufgestellten deutschen Rekord nur wenige Tage zuvor am 09. Juli 1939) noch einmal um 2,8 Sekunden unterbot. Seitens des Stadionsprechers fielen nur die Worte: „Silencio. Record Mondiale!“
So ist es! Nach 1:46,6min über 800m ließ Rudolf endlich nicht nur seinen ewigen Rivalen Mario Lanzi einige Meter hinter sich, sondern entriss auch dem bis dato Weltrekordhalter Sydney Wooderson aus Großbritannien (1:48,4min) den Titel.
Eine unfassbare Leistung, die als Schlagzeile „Eine Revolution im Mittelstreckenlauf“ durch die Presse ging. Aber um sicher zu gehen, dass diese Allerbestzeit auch richtig publiziert wurde, gaben die Journalisten die Zeit in Buchstaben weiter, damit sich nicht willentlich Zahlendreher einschlichen, die Rudolfs Zielzeit realistischer gemacht hätten.
Aber nein, mit seinen 1:46,6 Minuten hatte es schon seine Richtigkeit, wenngleich sich Kritiker und Zweifler darüber hermachten und Rudolf sogar des Dopings verdächtigten.
Das ließ sich aber nicht beweisen, sodass sein Weltrekord ganze 16 Jahre unangefochten blieb. Außerdem ist Rudolf immer noch der einzige, der die Weltrekorde über 400, 800 und 1000 Meter als Trio an sich riss.
Bei Olympischen Spielen erlangte er allerdings ’nur‘ die Bronzemedaille – 1936 in Berlin mit der 4 x 400m Staffel (siehe Video). Momente, die allein durch die Dramaturgie der Schrittfrequenz und des Mitfieberns seitens der Zuschauer, den Sport zeigen, wie er ist: leidenschaftlich und emotional. Und genau zu dieser Begeisterung müssen wir wieder zurück! Wobei diese dort als solches natürlich fragwürdig ist…
In einer Diktatur nämlich, bei der alles gleichgeschaltet ist/war, gehörte es zur Propaganda dazu, jene Stimmung zu inszenieren. Das NS- Regime nutzte die Chance Olympia, um sich weltweit als friedliche Regierung zu präsentieren. Wie es gemeint war, wissen wir längst. Zudem ist die Begeisterung nicht alles. Es geht vielmehr um ein reflektiertes Sportverständnis, das als solches leider oft weder bei den Sportfunktionären noch unter der Bevölkerung gegeben ist. Wichtig sind Sendezeit, Sendedauer, wie die Medien den Sport darstellen und was getan wird, um besonders der Leichtathletik jene Wertschätzung zu geben, die sie verdient. Und genau das ist leider geringfügig wenig.
Wie kann so auch ehrliche Begeisterung aufkommen? Wenn kaum einem gezeigt wird, was die Leichtathletik, den Sportler und besonders den Menschen dahinter eigentlich auszeichnet. So kann man auch jene Begeisterung der Zuschauer im Video als pseudo-sensationell deklarieren, wenn einem mittlerweile die Absicht des NS-Staates bekannt ist und die propagandistisches Blendung scheinbar bestens funktionierte.
Aber zurück zu Rudolf Harbig. Nach der Bronzemedaille hätte er selbstverständlich gerne auch die Goldmedaille in Angriff genommen, musste sich allerdings in einem anderem Gefecht unglücklicherweise geschlagen geben. Im Zweiten Weltkrieg am 5. März 1944 kam er als Fallschirmjäger in der Ukraine ums Leben und ging bzw. lief seither als Lauflegende in die Geschichte ein.
Sein Name ziert heutzutage viele Stadien und Sporthallen, Straßen und Plätze und er selbst findet sich auch auf Briefmarken. Seit 1950 verleiht der Deutsche Leichtathletik-Verband ihm zu Ehren den Rudolf-Harbig-Wanderpreis für bedeutende Leistungen in der Leichtathletik.
Unabhängig von seinen eigenen sportlichen Paradeleistungen warf sein Verhältnis zum Nationalsozialismus neben dem Dopingverdacht ebenfalls Kritik auf. Allerdings konnte man ihm auch das nicht sicher nachweisen. Der Sporthistoriker Volker Kluge beteuert viel mehr Rudolfs Bescheidenheit, „der willig folgte, was man ihm antrug“, was ihm aber nicht zwingend zu einem überzeugten Anhänger Hitlers machte.
Fest steht: Er hat alle mit seinen Leistungen beeindruckt und gilt noch immer als „Wunderläufer aus Dresden“, wie ihn der Autor Erhard Mallek in seiner Biographie würdigt.
Sonntag geht es aber wieder im Hier und Jetzt weiter: Über 7.500 Läuferinnen und Läufer machen sich über die 42,195km des 18. Piepenbrock Dresden-Marathons her. Wir schauen dann aber ein zweites Mal besonders auf den Hindernisläufer Philipp Reinhardt, der sich zum ersten Mal an der Halbmarathondistanz versucht. Am 09. Oktober konnte „Reini“ ja bereits bei den Great 10k in Berlin als drittschnellster Deutscher abliefern. Wir sind gespannt!